Hendrik Lammers, IBIS, Flüchtlingsberater, Psychologie, Lernförderung
Hendrik Lammers, Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Migration und Diskriminierung © Privat, bearb. MiG

Gesetzesverschärfung

Vom Asylsuchenden zum „gläsernen Flüchtling“?

Deutscher Bundestag beschließt härtere Abschiebepraxis und Analyse privater digitaler Daten im Asylverfahren. Was bedeutet das für Flüchtlinge und ihre Rechte? Von Hendrik Lammers

Von Montag, 22.05.2017, 4:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.05.2020, 16:21 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Am Donnerstag, den 18. Mai 2017 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz „zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“. Die Regelungen bedeuten weitreichende Folgen für geflüchtete Menschen und ihre Bürger- bzw. Menschenrechte. Voraussichtlich am 02. Juni soll der Bundesrat über das Gesetz entscheiden.

Neben rechtlichen Verschlechterungen, die unter anderem die Unterbringung und Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden berühren, steht besonders die geplante Auswertung ihrer privaten Daten in der Kritik der Opposition, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Sozialverbände. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) bezweifelt die Erforderlichkeit und Verfassungskonformität der Regelungen. Pro Asyl spricht von einem „Hau ab – Gesetz“.

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Auswertung privater digitaler Daten

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), welches die Prüfung von Asylanträgen vornimmt, soll laut Gesetzesbeschluss Datenträger von Asylsuchenden durchleuchten und darauf enthaltene Informationen speichern dürfen. Die Auslese von Daten auf Handys, Tablets oder Laptops sollen Angaben über Identität und Staatsangehörigkeit liefern. In 50-60 % der Fälle würde eine Auslese notwendig, beziffert der Gesetzgeber. Sollte sich eine Person der Durchsuchung von Geräten verweigern, hole sich das BAMF den Zugang über den Telekommunikationsanbieter. Die Ausländerbehörden dürfen bereits seit 2015 auf Handys und andere Geräte zugreifen. Da sie diese Möglichkeit aber nur selten nutzen, ist fraglich, wie nützlich diese Regelung überhaupt sein soll.

Auslese als „normale“ Praxis

Hätte das Gesetz im Jahr 2016 bereits Bestand gehabt, wären in dem Jahr theoretisch rund 150.000 Menschen betroffen gewesen. Die hohe Zahl zeigt: Es geht nicht nur um vermeintlich begründete Einzelfälle. Die Erhebung identitätsbezogener Anhaltspunkte durch eine Analyse privater Telekommunikationsdaten erhält den Status einer „normalen“ Praxis. Die Behörden begegnen auch intimen Hintergründen der Menschen, wie Kommunikation mit Familienmitgliedern oder AnwältInnen. Auch wenn diese nach dem Gesetz letztlich keine Relevanz für die „Identitätssicherung“ haben sollen. Wie sollte man wissen, was brauchbar ist, wenn man es nicht einsieht?

Dazu besteht das Risiko, dass die Gesamtbewertung der Daten weitführende „Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen bis hin zu einer Bildung von Verhaltens- und Kommunikationsprofilen ermöglichen“, mahnte die Datenschutzbeauftragte des Bundes Voßhoff in ihrer Stellungnahme an den Bundestag. Die materielle Durchsicht aller Daten – davon ist beim BAMF die Rede – birgt jedenfalls die Option auf eine umfangreiche Personenanalyse.

Überwachung der Überwacher?

Aber wer überwacht diese Maßnahmen? Der Bundesrat hatte in seinen Änderungsvorschlägen eine Evaluation verlangt. Seiner Ansicht nach gilt die Notwendigkeit einer Überprüfung umso mehr, je stärker Regeln Grundrechte einschränken. Ohne Reflexion über den Sinn, die Angemessenheit und das Steuerungspotential von rechtlichen Änderungen ergebe sich „ein erhebliches rechtstaatliches Defizit“. Der Gesetzesbeschluss folgt dem nicht. Eine Evaluation sieht der Beschluss nicht vor. Die an Abschiebungen beteiligten Organe kontrollieren ihr Vorgehen und die Wirkungen selbst, begründet der Gesetzesentwurf.

Erleichterung von Abschiebungen

Dem Gesetzgeber geht es in erster Linie darum, Abschiebungen effektiver zu machen. Abschiebehindernissen – wie fehlende Informationen zur Identität – soll der Kampf angesagt werden. Deshalb enthält der Beschluss neben der personenbezogenen Datenanalyse weitere Festlegungen: längere Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, verschärfte Residenzpflicht für bestimmte Personengruppen, unangekündigte Abschiebungen auch nach einjähriger „Duldung“ (§ 60a Aufenthaltsgesetz) sowie verlängerter Abschiebegewahrsam.

Bemerkenswert ist, dass es sich bei vielen Menschen, denen eine Abschiebung droht – den „Geduldeten“ – um Menschen aus akuten Kriegs- und Krisengebieten handelt. Reisen sie nicht „freiwillig“ aus, können sie abgeschoben werden. In Deutschland haben sie nur stark eingeschränkte Rechte. Sie erhalten lediglich eine „notwendige“ Versorgung zum Lebensunterhalt, verminderte Gesundheitsversorgung und eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. In der Regel werden sie in Sammelunterkünften untergebracht.

Tatsächlich werden viele „geduldete“ Menschen wegen der Sicherheitslage in ihren Herkunftsländern nicht abgeschoben. Bürgerkrieg ist nach dem deutschen Asylrecht noch kein hinreichender Grund für eine Anerkennung als Asylberechtigter, Flüchtling oder des subsidiären Schutzes. Zehntausende Asylsuchende erhalten damit keine Aufenthaltserlaubnis, können aber auch nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Abgelehnte Asylsuchende aus Afghanistan sind dafür ein Beispiel. Die Sicherheitslage in dem Land am Hindukusch ist katastrophal. Das geht auch aus den Berichten des Auswärtigen Amtes hervor. Trotzdem wird etwa die Hälfte der Asylanträge von Menschen aus Afghanistan vom BAMF abgelehnt. Sie erhalten eine Duldung und fallen damit unter die „Ausreisepflichtigen“, die Innenminister Thomas de Maizière (CDU) abschieben will, wenn sie nicht selber ausreisen – und zwar „auch wenn es umstritten ist, wenn es wehtut“.

Vermengung von Innerer Sicherheit mit Asyl- und Aufenthaltspolitik

Der Gesetzesbeschluss reagiert zudem auf das Dauerthema Innere Sicherheit. Es soll elektronische Fußfesseln und erleichterte Abschiebehaft bei besonders schwerwiegendem „Ausweisungsinteresse“ geben. Wer allerdings ein „Gefährder“ sein soll, bleibt rechtlich unbestimmt. Straf- und ordnungsrechtliche Regelungen werden hier mit asyl- und aufenthaltsrechtlichen vermengt. Diese Verbindungen nähren ein generelles Misstrauen gegenüber den Schutzsuchenden.

In diesem Zusammenhang wirkt es paradox, dass bei Terrorverdächtigen ein Zugriff auf das Mobiltelefon richterlich erlaubt werden muss, während diese Vorbedingung für die Datendurchleuchtung von Menschen im Asylverfahren nicht gelten soll. Nach dem Vorhaben der Bundesregierung reicht es schon aus, wenn BAMF-Personal mit einem zweiten juristischen Staatsexamen über die Durchsuchung aufgrund fehlender Identitätsdokumente entscheidet. Ein polizeilicher Verdacht auf eine Straftat ist demnach nicht nötig.

Kontrolle jetzt schon weitreichend

Das BAMF kann schon jetzt umfangreich mündliche und schriftliche Informationen zu Flucht, Herkunft und Staatsangehörigkeit im Asylverfahren erheben und auswerten. Das Asyl- sowie das Aufenthaltsgesetz bieten der Bundesbehörde viele Kontrollinstrumente. Sie reichen von der persönlichen Anhörung über den europaweiten Austausch personenbezogener Informationen zwischen den Innenbehörden bis hin zur Pflicht, „die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden“ (§ 15 Asylgesetz).

Der Bundesregierung reicht dies nicht. So greift sie weiter in die Bürgerrechte von Asylsuchenden ein und geht einen weiten Schritt zum „gläsernen Flüchtling“. Vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung zeigt sie sich unbeeindruckt – obwohl das Bundesverfassungsgericht dieses 1984 zum Grundrecht erklärt hatte. Aktuell Meinung

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  1. Wiebke sagt:

    Wenngleich solche Maßnahmen zunächst nur an einer Minderheit ausprobiert werden, sollten alle Bürger sich darauf vorbereiten, dass Ähnliches bei nächster Gelegenheit auch ihnen droht. Es gibt genügend Beispiele aus der Vergangenheit, dass so der totalitäre Überwachungstaat anfängt.

  2. Ludwig von Haller sagt:

    Liebe Wiebke, mir ist ein Überwachungsstaat lieber als ein Staat der seine Bürger nicht mehr vor kriminellen Subjekten schützt! Schutz der Staatsbürger und Kuscheljustiz passen eben nicht zusammen!

    Deshalb sage ich: immer her mit dem Überwachungsstaat, so schnell wie möglich. Wer nichts zu verbergen hat, brauch sich auch keine sorgen machen!

  3. Hermes Baraadri sagt:

    Als am Anfang Pegida eine Positionspapier veröffentlichte mit 19 Punkten, hat man es ausgelacht. Nun ist es nun die Politik, die verfeinert und bereinigt, betrieben und durchgesetzt wird. Ich liste die Neun Forderungen bzw. Zielsetzungen von Pegida auf:
    POSITIONSPAPIER der PEGIDA (vom 8. 12. 2014)
    1. PEGIDA ist FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist Menschenpflicht!
    2. PEGIDA ist FÜR die Aufnahme des Rechtes auf und die Pflicht zur Integration ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (bis jetzt ist da nur ein Recht auf Asyl verankert)!
    3. PEGIDA ist FÜR dezentrale Unterbringung der Kriegsflüchtlinge und Verfolgten, anstatt in teilweise menschenunwürdigen Heimen!
    4. PEGIDA ist FÜR einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller EU-Mitgliedsstaaten! (Zentrale Erfassungsbehörde für Flüchtlinge, welche dann ähnlich dem innerdeutschen, Königsteiner Schlüssel die Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt)
    5. PEGIDA ist FÜR eine Senkung des Betreuungsschlüssels für Asylsuchende (Anzahl Flüchtlinge je Sozialarbeiter/Betreuer – derzeit ca.200:1, faktisch keine Betreuung der teils traumatisierten Menschen)
    6. PEGIDA ist FÜR ein Asylantragsverfahren in Anlehnung an das holländische bzw. Schweizer Modell und bis zur Einführung dessen, FÜR eine Aufstockung der Mittel für das BAMF (Bundesamt für
    Migration und Flüchtlinge) um die Verfahrensdauer der Antragstellung und Bearbeitung massiv zu kürzen und eine schnellere Integration zu ermöglichen!
    7. PEGIDA ist FÜR die Aufstockung der Mittel für die Polizei und GEGEN den Stellenabbau bei selbiger!
    8. PEGIDA ist FÜR die Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung!
    9. PEGIDA ist FÜR eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten!

    ZumTeil sind diese Positionen, wenn auch in Lightformat, realisiert worden. Einige sind nie sogar Thema gewesen wie Punkt 3 und ist immer noch ein Wünsch. Punkte 6 (zweiter Teil), 7, 8 und Neun sind irgendwie bekannt. Punkte 4, 5 sind noch nicht in Erfüllung gegangen. Da frage ich mich, was ist aus diesem land geworden nach dem heroischen Einsatz und Engagement von Zivilgesellschft und Freiwilligen? Worin hat sich dieser Elan verwandelt?
    Man sollte diese Positionene einmal ohne „Pegida ist“ lesen! Daher ist es nicht abwegig zu behaupten, dass der Geist der Pegida doch obsiegt hat! wenn es konkret um politische Zielsetzungen und Forderungen geht, die nun mal verabschiedet sind. Man hat zwar die Forderungen der Pegida bereinigt und konform umgeschrieben bzw. man hat den nur Stall des Augiasausgemistet, aber im Kern sind es dabei geblieben.

  4. Hernst sagt:

    @Wiebke
    @Ludwig von Haller

    Die Wahrheit liegt wie immer genau dazwischen, wir brauchen kein Überwachungsstaat, aber wir brauchen auch keinen naiven Kuschelstaat, der sich von Kleinkriminellen über den Tisch ziehen lässt.
    Es geht hier darum festzustellen ob einer sich staatliche Leistungen erschleichen will oder nicht, ob jemand sich hier illegal aufhalten will oder nicht und wenn es da Zweifel gibt, dann soll man diese Zweifel aus dem Weg räumen. Man könnte auch so verfahren, dass man nur denjenigen Asyl und Leistungen zukommen, die sich zweifelsfrei identifizieren können. Bei Asylbeanträger mit intaktem Smartphone, aber ohne Ausweispapiere ist Skepsis durchaus angebracht, da es ja schon erstaunlich ist, dass Flüchtlinge ihre Papiere mit ihren Smartphones nicht abfotografiert haben. Es gibt wohl was zu verbergen…

    Deutschland hatte schon immer Schwierigkeiten damit pragmatisch zu handeln und die Deutschen denken auf eine fatalistische Art und Weise zu ideologisch und sind so in ihren Lösungsmöglichkeiten völlig eingeschränkt, ob von linker oder rechter Seite.

  5. Mechse sagt:

    Nun ja. leider tendieren 90% aller Flüchtlinge dazu, dass sie keinen Pass mehr haben. Verloren haben sie ihn alle. Das Smartphone hat man aber nicht verloren. Es findet hier ein Massenbetrug aller erster Güte statt und das MUSS unterbunden werden. Ich bin auch der Meinung, wer mit seiner Identität lügt, muss ohne wenn und aber in das Land abgeschoben werden, aus dem er stammt. Und ja, das KANN man rausfinden, wenn man will.

  6. Kemal sagt:

    Liebe Mechse! Die Neubeschaffung eines Passes dürfte im Vergleich zum Kauf eines neuen Handys unwesentlich schwieriger sein. Was meinen Sie?

  7. Pingback: LabourNet Germany Wer telefoniert, ist schneller „ausreisepflichtig“ » LabourNet Germany

  8. Müllerin sagt:

    @ Mechse: Woher haben Sie die Zahl 90%??? Ich bin hauptberuflich in der Flüchtlingsarbeit tätig und kann Ihre Zahlen so nicht bestätigen. Wesentlich weniger haben keinen Pass, die Mehrheit davon aus Gründen, die sie nicht zu verantworten haben, z.B. weil sie nie einen Pass hatten oder weil ihnen der Pass von einem Schlepper abgenommen und nie zurückgegeben wurde bzw. weil ihr Boot im Mittelmeer gekentert ist und sie alles verloren haben. Der Anteil derer, die bewußt ihre Identität verbergen, ist also eher kleiner, als von Ihnen angegeben.