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Kerze © Markus Lütkemeyer @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

"Ist das hyggeligt!"

Dänische Gemütlichkeit zwischen Harmonie und Ausgrenzung

Dänemark - mit dem Land im Norden verbindet man Lego, Softeis und seit einiger Zeit auch "Hygge". Das Wort steht international für einen neuen Wohlfühltrend. Dabei ist es viel mehr als eine heiße Tasse Tee und ein wenig dänische Gemütlichkeit. Es kann ausgrenzend sein.

Von Ann-Kristin Herbst Montag, 20.03.2017, 4:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.03.2017, 17:39 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Flauschig, kuschelig und verblüffend aufgeräumt ist das Leben in Dänemark. Nach der Arbeit genießt der Klischee-Däne gerne eine heiße Tasse Tee, legt die Füße hoch – natürlich gut eingepackt in bunte Wollsocken – und genießt das leise Knistern des Kaminfeuers bei einer gepflegten Unterhaltung mit seinen engsten Freunden und seiner Familie. Ist das hyggeligt! Schnell ein Foto geschossen und bei Instagram hochgeladen. Unter dem Hashtag „hygge“ findet man fast 1,8 Millionen Posts. Fotos, die eine herrlich erholsame Welt zeigen.

Hygge gilt vielen als das Glücksrezept der Dänen, die im „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen regelmäßig ganz oben landen. Der neue Bericht kommt am Weltglückstag, dem 20. März, heraus. Dabei ist Hygge keine Anleitung zum Glücklichsein, sondern Ausdruck der dänischen Mentalität.

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Exportschlager Hygge

Und mittlerweile ist Hygge auch zum Exportschlager geworden: Beim Online-Versandhändler Amazon floriert der Begriff. Fast 1.500 Ergebnisse liefert das Stichwort, darunter viele Sachbücher, die beschreiben, wie man mehr Hygge in sein Leben bringt. Auch in Wohn-Blogs und -Zeitschriften geht es sehr hyggeligt zu.

Aber was ist Hygge überhaupt? Den Begriff kann man nicht übersetzen, Gemütlichkeit und Wärme kommen der Bedeutung am nächsten. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Hygge innerhalb der bürgerlichen dänischen Mittelschicht zum Synonym für die bewusste Auszeit. „Es ist eine subjektive Erfahrung, etwas, das uns gefällt und Sicherheit gibt“, sagt Jeppe Linnet. Der dänische Anthropologe forscht seit Jahren zum Thema.

Umfeld muss stimmen

Und was ist für die Dänen hyggeligt? Besuch in einem Studentenwohnheim in Aarhus, der zweitgrößten Stadt Dänemarks. Auf dem Tisch stehen Æbleskiver, dänische Krapfen. Die Deckenlampe ist ausgeschaltet, dafür spenden Kerzen ein warmes Licht. Sieben junge Studierende sitzen entspannt auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum und trinken Tee. „Es ist etwas, das dir innere Wärme gibt“, sagt Elisabeth Andersen nach kurzem Nachdenken. Sie studiert Modedesign. „Es ist wie eine Pause, in der man abschaltet und Kraft tankt.“

Das Umfeld muss stimmen, findet Julius Edward Miller Hvidt, Medizinstudent: „Ich kann Hygge nur mit meinen engsten Freuden und meiner Familie erleben. Ich muss mich komplett fallenlassen können, damit dieses Gefühl in mir entsteht.“

„Danke, es war sehr hyggeligt.“

Offenbar hat Hygge viel mit Gemeinschaft zu tun. Zum Abschied versichern sich die Dänen gerne, dass sie eine schöne Zeit zusammen hatten. „Wir sagen ständig: Tak for sidst, det var hyggeligt – Danke für die verbrachte Zeit, es war sehr hyggeligt“, sagt Elisabeth Andersen.

Was ist das für eine Gesellschaft, die sich gerne und oft versichert, dass Begegnungen gemütlich, schön und warm waren? Eine, die viel Wert auf Gleichheit und Harmonie legt, sagt Thomas Schmidt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Ahmad Beltagui hat er rund 1.000 Begegnungen in dänischen Online-Spielen wie Kniffel untersucht. „Wir gehen davon aus, dass das Verhalten in der virtuellen Welt sich nicht stark vom Alltäglichen unterscheidet“, sagt Schmidt.

Hygge definiert ein Innen und ein Außen, so das Ergebnis der Studie. In Gruppen schafft das Konzept Zusammenhalt und Bestätigung. Die Spieler behandeln sich fair und rücksichtsvoll. Doch nach außen gibt es eine klare Grenze. Wer außerhalb der Gruppe ist, wird mit Skepsis und Ablehnung behandelt.

Kann Hygge ausgrenzen?

„Hygge kann ausgrenzend sein“, meint auch Jeppe Linnet. Wenn sich eine Gruppe zu sehr über ihre Gemeinsamkeiten definiere, sei es schwer, sich für andere zu öffnen. „Hygge heißt auch, die Welt draußen zu lassen, sich abzuschotten“, sagt Linnet.

Das Konzept beschreibe eine typisch sozialdemokratische Vision, meint der Politikwissenschaftler Roger Buch. Die Gesellschaft funktioniere ähnlich wie eine Familie. Fairness, Gerechtigkeit und Vertrauen seien selbstverständlich. Erst dadurch werde die Gesellschaft stabil und verlässlich.

Die Kehrseite ist die Abgrenzung nach außen. Vor allem die Dänische Volkspartei habe dieses Prinzip verinnerlicht, sagt Buch. Seit 2015 ist sie zweitstärkste Fraktion. Für die Dänen setzt sie auf eine sozialdemokratische Politik, während sie gleichzeitig für rigide Einwanderungs- und Ausländergesetze steht.

Einladende Form von Hygge

Die Dänen wählten „Hygge“ im November vergangenen Jahres in ihren „Danmarkskanon“ – ein Leitfaden, der beschreiben soll, was das Land ausmacht. In Zeiten von steigender Einwanderung müsse man sich die eigenen Werte bewusster machen, begründete der dänische Kulturminister Bertel Haarder die Abstimmung.

Dänemark stehe vor der Herausforderung, eine offene, einladende Form von Hygge zu leben, die Flüchtlinge und Ausländer nicht ausgrenzt, sagt Thomas Schmidt. Im Aarhuser Studentenwohnheim freuen sich die Studierenden, anderen Hygge zeigen zu können. „Wir sind ja schließlich stolz auf unsere dänische Gemütlichkeit“, sagt eine der Bewohnerinnen. Bei Elizabeth Waind waren sie erfolgreich: „Hygge ist für mich, einen gemütlichen Abend mit Freunden oder meinen Mitbewohnern zu verbringen“, sagt die britische Journalistik-Studentin. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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