Kirchenasyl
Bayerische Pfarrer im Visier der Justiz
Kirchenasyl war niemals unumstritten. Nicht in den Kirchen selbst - und schon gar nicht in der Politik. Es wurde bislang in Deutschland respektiert, eine rechtliche Grauzone ist es dennoch. In Bayern zieht der Staat nun offenbar die Zügel an.
Von Daniel Staffen-Quandt Montag, 20.03.2017, 4:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.03.2017, 17:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Doris Otminghaus war nicht überrascht, als der Anruf von der Polizei kam. „Ich hatte ehrlich gesagt schon früher damit gerechnet“, sagt die evangelische Pfarrerin von Haßfurt. Sie wusste von ihren Kollegen, evangelisch wie katholisch, dass die Staatsanwaltschaften inzwischen beinahe gegen jeden Pfarrer, in dessen Gemeinde es Kirchenasyle gibt und gab, wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ ermitteln. Also ging Otminghaus am Mittwoch dieser Woche zur Polizei und stand dort Rede und Antwort. „Ich habe bis heute nichts Schriftliches“, sagt sie. Auch damit ist die evangelische Theologin bayernweit kein Einzelfall.
Die bayerische evangelische Landeskirche erläutert, dass ihr „einige Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer in Bayern“ bekannt sind. Im Fall von Otminghaus bestätigte ein Sprecher der Bamberger Staatsanwaltschaft das laufende Ermittlungsverfahren. Zum Ausgang könnten derzeit keine Aussagen gemacht werden, sagte ein Sprecher. Möglich seien eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe bei diesem Tatbestand. „Wir sind verpflichtet, eine Ermittlung einzuleiten, wenn Hinweise zur Beihilfe bei einem unerlaubten Aufenthalt vorliegen“, erläutert der Sprecher der Staatsanwaltschaft auf epd-Anfrage. Legalitätsprinzip heißt das im Juristendeutsch.
Diese Verfahren seien „in der Regel im ersten Fall“ folgenlos eingestellt worden, sagt Landeskirchensprecher Johannes Minkus. Allerdings wohl oft verbunden mit dem Hinweis, „dass damit im Wiederholungsfall nicht mehr zu rechnen ist“. Pfarrerin Otminghaus sagt dazu: „Es ist Wahljahr. Und in Bayern wird besonders hart durchgegriffen, um beim Wähler zu punkten.“ Das Kirchenasyl sei ein „labiles System“, sagt Otminghaus, es sei ein Gewohnheitsrecht, das die Staatsgewalt in Bayern nun versuche anzugreifen, indem sie die Pfarrer einschüchtere: „Ich vermute einen Zusammenhang zwischen den Ermittlungen und der Landespolitik.“
Vermutung: Weisung der Staatsregierung
Mit dieser Vermutung ist Pfarrerin Otminghaus nicht alleine. „Wir denken, dass es eine Weisung der Staatsregierung oder einzelner Ministerien an die Staatsanwaltschaften gab“, erläutert ein Kirchenasyl-Experte. Dass er sich nur anonym äußern will, begründet er mit der Angst vor weiteren Gängelungen durch Behörden. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaften laufe der Absprache zwischen den Kirchen, dem Bundesinnenministerium und dem Bundesamt für Migration und Flüchtling aus dem Februar 2015 zuwider, wonach Kirchenasyle respektiert würden, wenn man sie dosiert anwende. Solche Verfahren gäbe es bundesweit nur in Bayern
Ein Sprecher des Justizministeriums hingegen stellt klar, eine Vorgabe, solche Ermittlungsverfahren proaktiv einzuleiten, gebe es nicht. Eine Antwort auf die Frage, ob die absolute Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer wegen eines Beihilfe-Verdachts in den vergangenen Monaten zugenommen habe, bleibt das Ministerium jedoch schuldig. Die Faktenlage in Bayern ist bislang: Kirchenasyle sind offiziell nicht geduldet, die Behörden sehen aber von Zwangsräumungen ab. Das Bundesamt hat bei Kirchenasylen eine Prüfung der Einzelfälle zugesichert, wenn ein Dossier über die Betroffenen vorgelegt wird.
Angriff gegen die Institution Kirche
Landeskirchen-Sprecher Minkus betont, ein Kirchenasyl sei immer nur der letzte Ausweg, eine „ultima ratio“, um einen Menschen im Einzelfall vor einer humanitären Notlage zu bewahren: „Durch Kirchenasyle wird dem Recht zum Recht verholfen.“ Das sei aber nur dann möglich, wenn es für die Betroffenen eine Perspektive in Deutschland nach dem Ende des Kirchenasyls gibt. Die Pfarrer, gegen die momentan ermittelt wird, unterstütze man mit Rechtsberatung, man übernehme Anwaltskosten, nicht aber mögliche Geldbußen und -strafen. Eine Verurteilung wegen eines Kirchenasyls bleibe dienst- und disziplinarrechtlich folgenlos.
Doris Otminghaus ist das zu wenig. Sie gewähre Kirchenasyl „nicht als Privatperson“, sondern als Pfarrerin und immer mit der Zustimmung des Kirchenvorstandes. Sie sieht die Landeskirche als Dienstherrin in einer umfassenderen Fürsorgepflicht. „Wenn der Staat also nun gegen mich wegen meiner dienstlichen Tätigkeit ermittelt, ist das kein Angriff gegen mich persönlich, sondern gegen die Institution Kirche“, sagt sie. Daher erwarte sie sich eine klare öffentliche Wortmeldung der Kirchenleitung: „Da muss die Kirche sofort parat stehen, da müssen alle Alarmglocken läuten. Da darf man nicht zu viel Nähe zur Staatsregierung suchen.“ (epd/mig) Aktuell Panorama
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