Kunst, Kultur, Flüchtlinge, Schlesische 7
Künstlerisches Projekt des Jugend-, Kunst- und Kulturzentrums "Schlesische 27"

Im Fokus

Kunst und Flucht in der Einwanderungsgesellschaft

Seit dem das Thema Flucht in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, haben künstlerische Projekte mit und von Geflüchteten zugenommen. Kunst wird in diesen Zusammenhängen als Ausdrucksweise und Grundhaltung genutzt. Von Felix Maas

Von Mittwoch, 01.03.2017, 4:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 15.03.2017, 18:08 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Zwischen der belebten Hermannstraße im Berliner Szenekiez Neukölln und dem Tempelhofer Feld erstreckt sich der Jerusalemfriedhof. Von der Hermannstraße kommend, gehe ich eine Allee entlang, die den vorderen Teil des Friedhofs mit einer weiter hinten liegenden Brachfläche verbindet, auf der Geflüchtete im vergangenen Jahr einen großen Garten angelegt haben. Es ist bereits dunkel, aber an den einzelnen Bäumen der Allee hängen runde Lampions, die den Weg in den Garten weisen. Auf dem Weg treffe ich einige Gäste aus der Nachbarschaft mit ihren Kindern, die kleine Lampions wie Laternen durch die Dunkelheit tragen. Von weitem sieht man jetzt den Garten. Er wird in der Mitte durch einen langen Holzsteg geteilt und durch unzählige farbige Lichtinstallationen beleuchtet. Einige Besucher gehen auf dem Steg durch den Garten und betrachten die Lichtinstallationen, die teilweise die Form von Planeten, teilweise von Tieren und unterschiedlichen geometrische Körpern haben. Andere stehen um kleine Feuerstellen, unterhalten sich und trinken warmen Punsch.

Kunst als Grundhaltung für die Bewältigung des Alltags

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Junge Geflüchtete, die in den vergangenen Jahren in Berlin angekommen sind, arbeiten in der Gärtnerei seit etwas mehr als einem Jahr mit Künstlern, Architekten und Freiwilligen aus der Nachbarschaft. Im alten Steinmetzhaus auf dem Friedhof wurde eine kleine Gartenschule mit Unterrichtsräumen, Küche und Werkstatt eingerichtet und auf der Friedhofsbrache ist ein großer Garten mit Blumen- und Gemüsebeeten entstanden, der vor allem in den wärmeren Monaten auch von den umliegenden Bewohnern als Begegnungsort genutzt wird. Das künstlerische Projekt wurde gemeinsam vom Jugend-, Kunst- und Kulturzentrum Schlesische 27 und vom Architekturkollektiv raumlaborberlin initiiert und unter anderem von der Kulturstiftung des Bundes finanziert. Neben Deutschunterricht, Berufskunde und Gartenarbeit spielen künstlerische Aktionen und Workshops eine zentrale Rolle. Auch die Lichtinstallation im Garten an diesem Abend ist das Ergebnis eines Workshops, bei dem neben den Geflüchteten und Künstlern aus dem Projekt auch Schüler einer Willkommensklasse aus Berlin beteiligt waren.

Sven von der Schlesischen 27, der als Nachbarschaftskoordinator viel Zeit mit den Geflüchteten in der Gärtnerei verbringt, beschreibt das Projekt als einen Ort, an dem man als geflüchtete Person ankommen und erst mal einfach sein kann. Hier treffe man auf andere Menschen und könne aus der eigenen Isolation und dem Erlebten herauskommen. Für Sven ist der künstlerische Aspekt im Projekt vor allem als Grundhaltung zu verstehen. Das bedeute, dass man sich zwar immer an einer Idee oder einem Konzept orientieren könne, dass man aber die Spontanität und auch die Experimentierfreudigkeit behalte und so leichter mit den zahlreichen Schwierigkeiten im Alltag zurechtkomme.

Flucht als Megathema im Kunst- und Kulturbetrieb

Seit dem das Thema Flucht vor knapp zwei Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, haben künstlerische Projekte wie die Gärtnerei enorm an Bedeutung gewonnen. So werden beispielsweise im Rahmen der allgemeinen Projektförderung der Kulturstiftung des Bundes neben der Gärtnerei zahlreiche Projekte wie das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg oder das Open Border Ensemble an den Münchner Kammerspielen unterstützt. Auch jenseits der staatlichen Kulturförderung ist Flucht seither in den Fokus künstlerischer Aufmerksamkeit gerückt. Flucht wird dabei immer häufiger zum Stoff künstlerisch-politischer Auseinandersetzung mit der Gegenwartsgesellschaft. Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, ist ein prominentes Beispiel aus dem Theaterbereich, das seit 2014 in zahlreichen Inszenierungen für viel Diskussion und ausverkaufte Säle gesorgt hat. Auch der chinesische Künstler Ai Weiwei hat das Thema für sich entdeckt. Vor allem mit der Installation aus Schwimmwesten an den Säulen des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt und durch Bilder des Künstlers an einem Strand, die an den ertrunkenen Alan Kurdi erinnern, konnte Ai Weiwei viel Aufmerksamkeit erregen. Durch provokante Aktionskunst hat schließlich das Zentrum für Politische Schönheit mit dem Ersten Europäischen Mauerfall, dem Flüchtlingsfressen und weiteren politisch-ästhetischen Interventionen eine breite Debatte über den gesellschaftlichen Umgang mit Flucht in Europa entfacht.

Kunst wird in diesen Zusammenhängen als Ausdrucksweise und Grundhaltung genutzt, häufig mit den Zielen auf das Thema Flucht aufmerksam zu machen, wichtige Debatten anzuregen und – wie in der Gärtnerei – den unzähligen Schwierigkeiten, mit denen viele der Geflüchteten in Deutschland konfrontiert werden, etwas entgegenzusetzen. Auf der anderen Seite hilft das populäre Thema aber auch Künstlern und Kulturinstitutionen dabei, Aufmerksamkeit zu generieren. Dabei werden mitunter wie bei Ai Weiei dominante Medienbilder und Stereotype Darstellungen von traumatisierten Bootsflüchtlingen oder von dem toten Kind am Strand bedient und somit ein einseitiges Bild eines vielschichtigen Phänomens zementiert. Dieser Instrumentalisierung des Themas Flucht für die eigenen Zwecke und der häufig damit einhergehenden Bildung und Verfestigung von Stereotypen, wurde in jüngster Vergangenheit viel Kritik entgegengebracht. Wo die Grenzen zwischen einer anmaßenden Instrumentalisierung, einem berechtigten Eigeninteresse bzw. einem schützenswerten Freiraum der Künstler und einem wertvollen oder emanzipativen Beitrag verlaufen, kann jedoch selten eindeutig aufgezeigt werden und sollte nicht von einem Standpunkt außerhalb der Kunst- und Kulturwelt entschieden werden.

Interkulturelle Öffnung von Kulturinstitutionen und künstlerischen Angeboten

Eine mögliche Annäherung an diese Frage bietet Friederike Tappe-Hornbostel von der Kulturstiftung des Bundes. Sie betont, dass im Fokus der Kulturförderung die Öffnung von Kulturinstitutionen und künstlerischen Angeboten für alle Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft stehen müsse. Dies gelte nicht zuletzt für diejenigen, die als Geflüchtete erst kürzlich in Deutschland angekommen sind. Vergleichbar mit der interkulturellen Öffnung der Verwaltung müsse sich die Realität einer diversen Gesellschaft auch in der Kunst- und Kulturlandschaft widerspiegeln. Nur unter den Bedingungen einer Kunst- und Kulturlandschaft, die allen Teilen der Gesellschaft offensteht, kann über die aufgeworfene Frage nach Grenzen zwischen wichtigen Beiträgen und illegitimer Instrumentalisierung – durchaus kontrovers und mit künstlerischen Mitteln – entschieden werden.

Dass eine solche Öffnung von Kulturinstitutionen und künstlerischen Angeboten nicht von heute auf morgen gelingt, ist den Beteiligten in der Gärtnerei bewusst. Daher sehen sie das Projekt als Experimentierfeld für neue künstlerische Formate, die von den Geflüchteten wahrgenommen und bespielt werden können. So nutzen seit Kurzem einige syrische Künstler einen der Räume im alten Steinmetzhaus als Atelier, einmal in der Woche trifft sich ein Gospelchor in der Gärtnerei und in regelmäßigen Abständen werden Ausflüge in Berliner Museen organisiert. Auch größere Veranstaltungen, wie die Lichtinstallation im Garten, gehören zu den experimentellen Formaten. Sie bieten nicht nur Gelegenheit die Kunstwerke auszustellen, sondern bei warmem Punsch kann auch gemeinsam darüber diskutiert werden. Aktuell Feuilleton

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