Integration von Flüchtlingen
Vom Arzt zum Wachmann?
Wie funktioniert die berufliche Integration eines Flüchtlings hierzulande? Drei Jahre lang hat Julia Smilga einen aus Syrien geflüchteten Arzt begleitet. Sie findet dabei viele Parallelen zu ihrer eigenen Flüchtlingsgeschichte.
Von Julia Smilga Montag, 19.12.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.12.2016, 17:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Deutschland im Wahljahr 1998: „Deutschland ist kein Einwanderungsland! Wir müssen die Zuwanderung so eng wie möglich begrenzen“ – fordern CDU und CSU. Die FDP setzt sich für ein Zuwanderungsgesetz mit festgelegten Obergrenzen ein. Und auch die Sozialdemokraten fordern eine wirksame gesetzliche Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. 54 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostbürger stimmen bei einer Meinungsumfrage dem Satz zu, „Ausländer nehmen Arbeitsplätze weg“. Sie sehen in ihnen eine Gefahr für das Land.
Deutschland im Wahljahr 1998. Ich erinnere mich gut an die damalige Stimmung im Lande. Ausgerechnet ein Jahr zuvor hatte sich meine Familie für die Umsiedlung von Russland nach Deutschland entschieden. Meine Eltern und ich waren drei von etwa 200 000 jüdischen Kontingentflüchtlingen, diesen Ex- sowjetischen Bürgern jüdischer Abstammung, die seit 1991 offiziell nach Deutschland auswandern durften, dank der Wiedergutmachungspolitik der Bundesrepublik.
Dass die Stimmung in Deutschland damals nicht unbedingt ‚zuwandererfreundlich“ war, hat meine Mutter als erste von uns Dreien mitbekommen. Als erfahrene Deutschlehrerin glaubte sie, gute Berufschancen in Deutschland zu haben. Doch ihr Lehrerdiplom wurde hier nicht ein Mal bewertet. Laut damaliger Gesetzgebung besaßen jüdische Kontingentflüchtlinge grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch auf Anerkennung ihrer beruflichen Abschlüsse. Meine Mutter war damals 50. Ohne ein gültiges Diplom bekam sie keine richtige Arbeit. Sie blieb ihr Leben lang Sozialhilfeempfängerin.
Ausländische Ärzte, die als Altenpfleger arbeiten oder Ingenieure, die Taxi fahren, sind keine Ausnahme, sondern eher die Regel.
Ein Schicksal, das sie mit vielen Zuwanderern teilte. Je länger ich in Deutschland lebte, desto klarer wurde mir: ausländische Ärzte, die als Altenpfleger arbeiten oder Ingenieure, die Taxi fahren, sind keine Ausnahme, sondern eher die Regel.
In den fast 20 Jahren seit unserer Umsiedlung hat sich Deutschland verändert. „Wir sind ein Einwanderungsland!“, bekennt sich die Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer 2006. Angetrieben vom stets wachsenden Mangel an Fachkräften verabschiedet die Bundesregierung 2011 das Gesetz „zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“. Nun haben alle Anrecht auf Prüfung ihrer Diplome, viele Hürden wurden beseitigt.
Dann – 2014-2015. Eine Kanzlerin, die sich auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihe ein „Wir schaffen das!“ zum Programm macht, und daran festhält.
Anfang 2014 lerne ich den geflüchteten syrischen Arzt Bassam kennen, sein Einleben in Deutschland, habe ich seitdem begleitet. In diesen drei Jahren muss ich festzustellen: trotz all der Veränderungen haben Flüchtlinge, die heute nach Deutschland kommen, keine besseren Chancen auf ein Berufsleben hier wie meine Mutter damals.
Sprache gilt als Schlüssel zur Integration. Doch noch wichtiger für die Integration der Zuwanderer ist ein ihrer Qualifikation entsprechender Arbeitsplatz. Nur wer finanziell unabhängig ist, in seinem Beruf arbeitet und sich mit deutschen Kollegen austauscht, ist sich sicher: ich bin ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft. Und genau das heißt Integration.
Berufliches Scheitern kein Einzelfall
Die Erreichung dieses Ziels hängt nicht nur von den guten Sprachkenntnissen der Zuwanderer ab, ihrer Akzeptanz hiesiger Gesellschaftswerte oder von der enormen Motivation, es hier zu schaffen. Die deutsche Gesellschaft selbst stellt den Migranten Hürden auf diesem Weg auf.
Podcast-Tipp: Den Radiofeature zu diesem Beitrag können Sie als Podcast auf Bayern 2 hören. Erstausstrahlung war 17. Dezember 2016. Dauer: 52:30 Minuten
Bassam hat im Turbotempo Deutsch gelernt. In 12 Monaten erreichte er B2 Niveau. Diese Sprachkenntnisse sind Voraussetzung für seine Arbeit als Arzt hierzulande. Doch von einer Arbeit ist er noch jahrelang entfernt: Seit anderthalb Jahren ist Bassam damit beschäftigt, mit dem Informationsbrief, den ihm die Approbationsstelle der Regierung von Oberbayern ausgestellt hat, eine Stelle als Praktikant zu finden. Das Problem: die Informationen, was sein ukrainisches Diplom hier wert sei und welche Schritte notwendig seien, um zu einer deutschen Berufserlaubnis zu kommen, sind dermaßen verklausuliert, dass nicht einmal Ärzte, die ihm helfen wollten, damit klarkommen. Die Krankenhäuser weisen Bassams Bewerbungen ab – wegen widersprüchlichen Anforderungen und der unklaren Rechtslage. Und die zuständige Regierung von Oberbayern kann an den vorgegebenen Gesetzesrechtlinien auch nichts ändern.
Dabei herrscht vor allem in Bayerns ländlichen Regionen ein akuter Ärztemangel. Der Rückgang bei den Hausarztpraxen in den letzten zehn Jahren liegt bei 14 Prozent, Tendenz – steigend. Laut aktueller Mitgliederbefragung des Marburger Bundes bleiben in 50 % der kommunalen Krankenhäuser mehrere Arztstellen unbesetzt – oft monatelang. Die Hälfte der befragten Klinikärzte müssen deswegen bis zu 60 Stunden die Woche arbeiten.
Deutschland braucht den Arzt Bassam Allabaid. Und der Syrer möchte hier so schnell wie möglich in seinem Traumberuf arbeiten. Aber wie können die beiden zueinander finden?
Heute weiß ich: das berufliche Scheitern meiner Mutter vor 20 Jahren war kein Einzelfall. Von den 200 000 jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion blieben in Deutschland etwa 40% arbeitslos. Unter ihnen waren auffallend viele Akademiker.
Unter heutigen Flüchtlingen gibt es auch viele hochqualifizierte Fachkräfte: Lehrer, Ingenieure, Ärzte, IT- Spezialisten. Sie sind gerade dabei, ihre berufliche Perspektive in Deutschland zu klären. Es wird höchste Zeit, dass Deutschland dieses Potential sinnvoll nutzt. Aktuell Wirtschaft
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