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Asyl © Tjook @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Entscheidungshektik

Studie stellt Asylverfahren in Deutschland mangelhaftes Zeugnis aus

Asylverfahren in Deutschland sind einer aktuellen Analyse zufolge mangelhaft. In der Entscheidungshektik käme die Sorgfalt zu kurz, die Betroffenen würden nicht ausreichend informiert und es gebe Mängel in der Rechtsberatung. Ein weiteres Problem sei die mangelnde Ausbildung der Dolmetscher.

Donnerstag, 01.12.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.01.2024, 13:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sozialverbände, Juristenvereinigungen und Menschenrechtler sehen aufgrund der derzeitigen Fülle an Asylentscheidungen die Rechte von Flüchtlingen gefährdet. Die Vorgabe nach dem großen Andrang Asylsuchender, möglichst viele Anträge abzuarbeiten, habe zu einer „fehlerträchtigen Entscheidungshektik“ geführt, kritisierten Diakonie und Pro Asyl am Mittwoch in Berlin. In einem von zehn weiteren Organisationen unterzeichneten „Memorandum“ fordern sie unter anderem mehr Sorgfalt bei den Anhörungen und eine bessere Ausbildung von Dolmetschern.

Für das Memorandum haben die Autoren 106 Fälle von Asylberatungsstellen oder Anwälten analysiert. Die Studie knüpft an eine ähnliche Untersuchung aus dem Jahr 2005 an. Ihr Ergebnis: Viele der damals festgestellten Mängel bestehen heute immer noch. Dazu zählen die Organisationen unter anderem das Fehlen ausreichender Informationen für die Antragsteller und einen Mangel an Rechtsberatung.

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Eines der gravierendsten Probleme in ihren Augen ist derzeit, dass die Entscheidungen oft nicht von den Behördenmitarbeitern gefällt werden, die auch in den Anhörungen sitzen. Per Mausklick würden die Gesprächsprotokolle in Entscheidungszentren abgegeben, kritisierte der Asylanwalt Reinhard Marx. Der unmittelbare Eindruck des Gesprächs sei aber die Basis für eine Entscheidung, sagte er. Marx hält die Trennung von sogenannter Ermittlung und Entscheidung für nur schwer vereinbar mit den rechtlichen Vorgaben.

Mangelnde Ausbildung der Dolmetscher

Zweites großes Problem ist in den Augen der Organisationen die mangelnde Ausbildung der Dolmetscher. Aussagen der Asylsuchenden würden oft verkürzt dargestellt, sagte Diakonie-Referentin Katharina Stamm. Es gebe keine Schulungen für die Sprachmittler, das müsse sich ändern, sagte sie. Pro Asyl berichtete von einem Fall, in dem der Dolmetscher direkt Einfluss genommen habe, indem er Schilderungen über die Ermordung einer christlichen Frau im Haus der Mutter der Antragstellerin abwürgt habe. Dies sei kein Einzelfall, erklärten die Organisationen.

„Wir wissen, dass sich das Bundesamt in einer historisch bisher einmaligen Situation befindet und sehen mit großer Anerkennung die Leistung, diese Herausforderung zu meistern“, sagte Diakonie-Vorstand Maria Loheide. Sie begrüßte zügige Verfahren, mahnte aber, dies dürfe nicht zulasten der Qualität gehen.

Bescheide ohne Rücksicht auf persönliche Umstände

Aufgrund des großen Andrangs von Flüchtlingen kam das für Asylanträge zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im vergangenen Jahr der Bearbeitung bei weitem nicht mehr hinterher. Die Zahl der Mitarbeiter wurde seither verdreifacht. Amtsleiter Frank-Jürgen Weise hat zudem die Einrichtung von Ankunftszentren auf den Weg gebracht, in denen möglichst innerhalb von 48 Stunden Antragstellung, Anhörung und Entscheidung vonstatten gehen sollen.

Das geschieht nach den Schilderungen mitunter auch ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände. Marx berichtete von einer Familie, die angehört werden sollte: Die Frau war hochschwanger, musste am Morgen der Anhörung zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht werden. Ihr Mann und die weiteren Kinder mussten dennoch im Zentrum bleiben und zur Anhörung, während sich die Frau später sogar rechtfertigen sollte, warum sie nicht erschien. „Einfachste Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit werden missachtet“, kritisiert Marx. Die Organisationen wollen nun über Verbesserungen in den Verfahren mit dem Bundesamt ins Gespräch kommen. (epd/mig) Aktuell Politik Studien

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  1. Reinhard Pohl sagt:

    Das Problem ist, dass das BAMF die Dolmetscherinnen und Dolmetscher überhaupt nicht qualifizieren will. Es gibt auch immer wieder Anhörer, die die Begleitung des Antragstellers durch jemand Sprachkundiges (die / der kontrollieren könnte) versuchen abzuwehren.

    Außerdem ist die Bezahlung so schlecht (ca. 30 % des Tarifs), dass das für die DolmetscherInnen auch keinen Anreiz bietet, sich freiwillig fortzubilden.