"Mischen Sie sich hier ein!"
Bundespräsident ruft Einwanderer zu ihrer Bürgerpflicht auf
Bundespräsident Gauck lässt sich von Schülern in Offenbach erklären, wie die Integration von Einwanderern an Schulen funktioniert. Er selbst richtet ernste Worte an die Einwanderer: Auch sie haben die Pflicht zur Verteidigung der Demokratie.
Von Jens Bayer-Gimm Mittwoch, 30.11.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.11.2016, 16:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Ich will den Bundespräsidenten sehen“, sagt Victor Leca. „Und ich will meine Schule repräsentieren“, ergänzt Emma Gyuraki. Victor ist vor zwei Jahren aus Moldawien nach Deutschland gekommen, Emma vor einem Jahr aus Ungarn. Beide sprechen mit Akzent, aber fließend Deutsch. Sie gehören zu rund 20 ausgewählten Schülern, die Joachim Gauck am Dienstag in der Theodor-Heuss-Schule in Offenbach am Main trifft. Kurz vor Ende seiner Amtszeit will der Bundespräsident über Integration sprechen. Der Ort ist Programm: Offenbach hat einen Ausländeranteil von 37 Prozent, die meisten Schüler kommen aus Einwandererfamilien aus aller Welt.
Der Hof ist quer abgesperrt, die Schüler drängen sich dicht am Absperrband. Als die Limousine des Bundespräsidenten vorfährt, brandet Beifall auf. In der Schulbücherei begrüßt Gauck in Begleitung seiner Lebenspartnerin Daniela Schadt die ausgewählten Schüler: „Hallo, guten Morgen!“ Die Mädchen und Jungen aus drei Schulen präsentieren ihre Projekte, die die Integration fördern: Schüler als Schiedsrichter, Theater gegen Rassismus, interkulturelle Schulband, Berufsvorbereitung, Schulpaten.
Vertreter der Theodor-Heuss-Schule stellen das Projekt „Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken“ vor. Seit 2008 unterrichten dabei evangelische, katholische und islamische Religionslehrer gemeinsam. „Wir müssen aus dem Bereich, den wir als Gruppe zugewiesen bekommen haben, ausbrechen, um Begegnung zu finden“, sagt ein Schüler. „Die Schüler haben gelernt, dass sie bleiben können, wie sie sind, und dass sie daher auch die anderen respektieren können“, fasst die Mitgründerin, die evangelische Schulpfarrerin Carolin Simon-Winter, zusammen.
„Gibt es denn keine Spinner, keine Faulpelze, keine Cliquen bei euch?“ fragt der Bundespräsident. „Das sind nur Einzelne“, antworten die Schüler. „Gruppen können Druck ausüben, da muss man den Mut aufbringen, sich zu widersetzen.“ „Ich bin überrascht, wie gut ihr drauf seid, ernsthaft und locker“, erwidert Gauck. Die Schüler zeigten, dass Einwanderer „nicht nur gegen Wände laufen“.
In seiner Rede in der Schulaula nimmt der Bundespräsident vor allem die Einwanderer in die Pflicht. Sie müssten gemeinsam mit den Deutschen Extremismus und Terrorismus bekämpfen. „Wir müssen Demokratie und Menschenrechte gemeinsam verteidigen“, sagt Gauck. Dabei zähle nicht die Herkunft, sondern die Haltung. „Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen denen, die für eine offene, demokratische Gesellschaft sind, und denen, die sie nur ausnutzen, um Hass, Zwietracht und Gewalt zu säen.“
Das Grundgesetz schützt nach den Worten des Bundespräsidenten alle Bürger, aber es sei auch für alle Bürger verpflichtend. Die Gesellschaft dürfe einen Widerspruch gegen Grundwerte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die säkulare Verfassung des Staates nicht hinnehmen. Einwanderer dürften nicht fremdenfeindlich attackiert werden, betont Gauck. Aber sie dürften auch nicht alleine gelassen werden, wenn sie aus grundrechtswidrigen Normen des Herkunftslandes wie etwa einer Zwangsheirat ausbrechen wollten. „Parallelgesellschaften können sich als Sackgasse erweisen, wenn Einwanderer die Begegnung mit der Mehrheitsgesellschaft vermeiden.“
Einwanderer sollten weiter ihre Kultur pflegen dürfen, unterstreicht der Bundespräsident. Menschen mit zwei Kulturen seien wichtig, weil sie Fremde an die Gesellschaft heranführen könnten. Gauck fordert Einwanderer auf: „Mischen Sie sich hier ein, gestalten Sie die Zukunft für alle mit!“ Noch gebe es zu wenige Einwanderer in Parteien, Stadträten und Elternbeiräten. „Wenn Zuwanderer sich vor allem als Opfer von Diskriminierung verstehen, bringen sie sich um ihre Potenziale“, sagt Gauck. Letztlich hänge es vom Willen des Einzelnen ab, ob er ein Teil der Gesellschaft werden wolle. „Wer sich integrieren möchte, schafft es auch“, sagt Gauck: „Wir müssen mehr miteinander tun, damit dieses Land liebenswert bleibt.“ (epd/mig) Aktuell Politik
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