Heinrich Bedford-Strohm, EKD, Evangelische Kirche, Vorsitzender
Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD © epd/mck

Interview

EKD-Chef Bedford-Strohm gegen Flüchtlingskontingente „exklusiv für Christen“

Für den obersten Repräsentanten der deutschen Protestanten kommt in der Flüchtlingspolitik ein Vorrang für eine bestimmte Religionszugehörigkeit nicht infrage. Nach einem Besuch in der Türkei wirbt er im Gespräch für eine differenzierte Sicht auf das Land.

Von Burkhard Weitz Dienstag, 04.10.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.10.2016, 13:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Sie haben sich im Osten der Türkei über die Situation der Flüchtlinge dort informiert. Was haben Sie zu sehen bekommen?

Heinrich Bedford-Strohm: Ich habe in Diyarbakir ein Flüchtlingslager mit Jesiden besucht, das die Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) mit ihren Partnern betreut. Die DKH leistet da eine starke Hilfe. Kinder und Jugendliche werden auf beeindruckende Weise mit Spielen und kreativer Arbeit begleitet, mit einem Computerraum und Sprachkursen.

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Haben Sie auch mit Flüchtlingen gesprochen?

Bedford-Strohm: Ja. Eine jesidische Familie hat mir erzählt, wie sehr sie sich wünscht, wieder mit ihren Verwandten vereint zu sein. Ein Sohn lebt in Deutschland. Aber sie haben keinerlei Aussicht, dort hinzukommen. Sie wissen nicht, was die Zukunft bringt, sie haben keinen Ort, wo sie hin können. Ohne die psychosoziale Hilfe in dem Lager kann ich mir nicht vorstellen, wie das Leben dort auszuhalten wäre. Jetzt steht der Winter bevor, die Zelte sind schwer zu heizen.

Die CSU fordert: „Vorrang für christliche Zuwanderer“. Wie sehen Sie das nun nach Ihrem Besuch?

Bedford-Strohm: Primär zählt die Würde und die Bedürftigkeit der Menschen, und nicht die Angehörigkeit zu einer bestimmten Religion. Jeder Mensch braucht etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf, Begleitung. Deswegen muss klug überlegt werden, wie wir Flüchtlinge so verteilen, dass die aufnehmenden Länder das leisten können und die Flüchtlinge gut integriert werden können. Einen Vorrang für eine bestimmte Religionszugehörigkeit kann man aber nicht akzeptieren.

Sie haben auch den aramäischen Priester in Diyarbakir getroffen. Hat er sich zu der Frage geäußert?

Bedford-Strohm: Ich habe gefragt, wie er die unterschiedlichen Botschaften, die ich bekomme, beurteilt. Auf der einen Seite höre ich: Wir sollen keine Anreize schaffen, dass Christen den Nahen Osten verlassen und damit das Christentum dort ganz verschwindet. Und auf der anderen Seite höre ich: „Bitte helft uns, die Christen werden hier bedroht, wir wollen hier weg.“ Priester Akbulut hat gesagt, dass es natürlich gut ist, wenn das Christentum im Nahen Osten weiter bestehen bleibt. Aber niemand kann den Christen vorschreiben: „Bleibt hier.“ Sie brauchen ein sicheres Zuhause.

Was schließen Sie daraus?

Bedford-Strohm: Wir haben eine Verantwortung, dass Menschen, deren Leib und Leben in Gefahr ist, einen sicheren Zufluchtsort finden. Deswegen unterstütze ich Christen aus Nordsyrien, deren Hilferufe ich bekomme, bei ihrem Versuch, auf legale Weise an einen sicheren Ort zu gelangen. Doch legale Fluchtwege gibt es derzeit kaum. Deswegen empfinde ich es als Widerspruch, wenn Politiker einerseits sagen, sie wollten Christen aufnehmen, und wenn ich, sobald ich mich für bestimmte Christen einsetze, zu hören bekomme: Es gibt keine Kontingente. Das passt nicht zusammen. Ich fordere nicht Kontingente exklusiv für Christen. Sondern ich glaube, wir brauchen mehr Möglichkeiten, dass Menschen in unmittelbarer Gefahr legal nach Europa einreisen können, wWas dann auch Christen zugute kommt.

Tun sich die evangelischen Landeskirchen und die EKD mit dem Thema Christenverfolgung schwer?

Bedford-Strohm: Nein, überhaupt nicht. Wir treten seit langem für Christen ein, die verfolgt werden. Wenn wir Berichte bekommen, prüfen wir, was tatsächlich passiert ist. Es ist völlig klar, dass zum Beispiel Mobbing von Christen oder von wem auch immer in Flüchtlingsunterkünften oder anderswo nicht akzeptabel ist. Man muss aber erst die Vorgänge aufklären, bevor man Konsequenzen zieht. Und man muss alles tun, damit es gar nicht erst dazu kommt: gute Betreuung, kleinere Unterkünfte und anderes. Die Gemeinden stehen den Flüchtlingen offen. Viele Menschen begleiten sie aktiv.

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige politische Situation in der Türkei?

Bedford-Strohm: Die Pressefreiheit zu verletzen und massenhaft staatliche Angestellte und Beamte zu verhaften und zu suspendieren, ist nicht akzeptabel. Das ist nicht mit den europäischen Werten vereinbar. Gleichzeitig bin ich beeindruckt, wie gastfreundlich die Menschen in der Türkei, einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit, gegenüber den drei Millionen aufgenommenen Flüchtlingen sind. Aus der Türkei vernehmen wir keine nennenswerten Berichte über Fremdenfeindlichkeit. Das zeigt, wie großzügig die Türken auf die Flüchtlingsbewegung reagieren. Man sollte das einmal ausdrücklich würdigen. Nur dann kann man die kritischen Fragen an die Türkei auch glaubwürdig stellen. (epd/mig) Leitartikel Politik

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