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Das Dreiaffenprinzip - nichts gehört, nichts gesehen, nichts gesagt © grahamc99 auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Staatsangehörigkeit als Standesmerkmal

Wir brauchen eine Neubewertung der Reise- und Niederlassungsfreiheit

Als deutsche Staatsbürgerin kann ich in jedes mir x-beliebige Land reisen. Visa-Vorschriften sind für mich eine reine Formalität, mit einer Ablehnung muss ich in der Regel nicht rechnen. Umgekehrt verhält es sich etwas anders. Zeit, diese Praxis einmal kritisch zu hinterfragen. Von Laura Beusmann

Von Freitag, 23.09.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.09.2016, 16:50 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Wer nach Deutschland einreisen darf und wer nicht, unterteilt die Weltbevölkerung in unterschiedliche Gruppen. Ob ein Mensch nach Deutschland einreisen darf oder nicht, richtet sich dabei vorrangig nach einem Merkmal – der Staatsangehörigkeit. Kriminelle Vergangenheit, wirtschaftliche Unabhängigkeit und deutsche Sprachkenntnisse spielen zunächst einmal keine Rolle. Wer fragt schon einen US-amerikanischen, brasilianischen oder japanischen Staatsbürger nach seiner weißen Weste, nach Deutschkenntnissen und Kontostand? Den deutschen Staat interessiert das zunächst einmal nicht.

Die Staatsangehörigkeit ist ein Merkmal, das man sich nicht verdient. Man erhält die durch seine bloße Existenz. Diese Art der Privilegierung erinnert an eine Gesellschaftsordnung, die wir in Deutschland schon längst hinter uns gelassen glaubten: die mittelalterliche Ständeordnung.

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Die Staatsangehörigkeit ist ein Merkmal, das man sich nicht verdient. Man erhält sie durch seine bloße Existenz, einfach nur dadurch, dass man ist. Diese Art der Privilegierung erinnert an eine Gesellschaftsordnung, die wir in Deutschland schon längst hinter uns gelassen glaubten. An eine Ordnung, die wir heute als rückschrittlich und ungerecht empfinden, auf die wir als aufgeklärte, moderne und fortschrittliche Nation herabblicken. Sie erinnert an die mittelalterliche Ständeordnung, die Untergliederung der Gesellschaft in Klerus, Adel und Bauern.

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Stände sind anders als Klassen nicht zwingend ökonomischer Natur. Genauso wie es verarmten Adel und reiche Gutsbesitzer gab, gibt es verarmte Deutsche und wohlhabende Marokkaner. Der Soziologe Max Weber beschreibt Stände als Gemeinschaften, denen aufgrund eines gemeinsamen Merkmals eine bestimmte Art der Ehre zu Gute kommt und die damit einhergehend eine bestimmte Art der Lebensführung teilen. Berufe, deren Ausübung an den Erwerb bestimmter Qualifikationen gebunden ist, sind solche Stände, wir sprechen im Deutschen wortwörtlich von „Berufsständen“. Auch Clubs und Vereine lassen sich nach Webers Definition als Stände bezeichnen. Ihren Mitgliedern werden durch ihre Aufnahme bestimmte Rechte gewährt, die Außenstehenden verwehrt werden. Die Aufnahme in diese Clubs sollte nach unserem heutigen Gerechtigkeitsverständnis für die gesamte Gesellschaft durchlässig sein und dort, wo praktische Zwänge sie begrenzt, durch ausgleichende Unterstützung ermöglicht werden, so will es das im Grundgesetz verfestigte Sozialstaatsprinzip.

Doch in den Club der Deutschen kommt man nicht so leicht. Während wir auf nationaler Ebene zumindest versuchen, Privilegien abzubauen, die auf angeborene Merkmale zurückgehen, fehlt uns auf internationaler Ebene überhaupt erst das Bewusstsein dafür, dass es sich bei den bestehenden Visa-Vorschriften um gleichermaßen fundamental ungerechte, da ungerechtfertigte Privilegien handelt.

Wir befinden uns in einer Welt, deren Globalisierung aufgrund technischer Möglichkeiten immer rasender voranschreitet. Multinationale Konzerne dominieren die Wirtschaft, internationale Abkommen bestimmen die nationale Gesetzgebung, Forschung und Berichterstattung sind heute ohne Internet nicht mehr denkbar. Dank technischen Fortschritts sind die Staatsgrenzen heute so überwindbar wie noch nie. Doch die Durchlässigkeit der Grenzen ist selektiv und einseitig. Dadurch haben wir ungewollt oder gewollt einen neuen Stand nach mittelalterlichem Vorbild kreiert: Den des Kosmopoliten. Zugehörigkeitsmerkmal ist die Staatsangehörigkeit. Seine Privilegien sind faktisch nahezu unbegrenzte Reise- und Niederlassungsfreiheit und die damit ermöglichte aktive Teilhabe am stattfindenden Globalisierungsprozess.

Würden wir die bestehenden Visa-Restriktionen in Deutschland auch noch für gerecht halten, wenn wir nicht wüssten, mit welcher Staatsangehörigkeit wir zur Welt kommen würden?

Natürlich könnten andere Staaten ihre eigenen Stände nach dem gleichen Modell entwerfen, indem sie ähnlich restriktive Visa-Bestimmungen für uns Deutsche erlassen. Wäre doch gerecht. Aug um Auge, oder nicht? Doch mal ehrlich, wer glaubt wirklich, dass Länder wie Ruanda, Nepal oder der Jemen angesichts der bestehenden Sachzwänge tatsächlich über die Freiheit verfügen, vergleichbar restriktive Visa-Bestimmungen zu erlassen. Und – wollen wir so ein System überhaupt? Sind Entwicklungen wie die EU, die UNO, das Völkerstrafgesetzbuch und die internationale Erklärung der Menschenrechte nicht ein Bekenntnis dazu, dass wir mehr rechtliche Gleichheit auf internationaler Ebene wollen statt weniger? Leitartikel Meinung Politik

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  1. Martin Schmid sagt:

    Aus eigener Erfahrung ein Beispiel: Du bist vielleicht Single oder Deine Kinder lernen eine/n Partner/in aus Indien, Afrika, China…..den sogenannten Drittstaaten kennen, verlieben sich und wollen in Deutschland gemeinsam das voreheliche Leben ausprobieren. Denn Prüfe wer sich ewig bindet :-) oder man will gar nicht heiraten!!!
    Geht leider nicht – du musst erst heiraten – also eine krasse deutsche Zwangsheirat……….die übrigens auch bei gemeinsamen Kindern stattfinden muss, um Einreisen und hier eine zeitlang leben zu dürfen!!!
    Touristenvisa werden in diesen Fällen keinesfalls ausgestellt!!!
    Grundrechte, Menschenrechte und die Natürlichkeit der Partner/innenwahl werden hartnäckig verwehrt. Und sogar mit Trauschein müssen langwierige kostenintensive Visaprozesse durchlitten werden.

  2. A.F.B. sagt:

    „…mit einer Ablehnung muss ich in der Regel nicht rechnen.“ Das trifft nicht für alle Länder zu. Israel verweigert auch bundesdeutschen Staatsbürgern bisweilen ohne Begründung die Einreise. Ein Journalist beklagte sich vor einiger Zeit einmal darüber, daß es so schwer sei, ein Visum für Saudi Arabien zu bekommen, nur für Nordkorea sei es noch schwerer. Bei manchen Ländern muß man das Visum vor Antritt der Reise im Heimatland beantragen und bekommt es nicht von der Botschaft des jeweiligen Landes in einem Drittland. Man kann also von jenem Drittland aus nicht in das Land einreisen, falls man den Entschluß dazu erst dort gefaßt hat, sondern muß zurück in sein Heimatland, um das Visum zu beantragen. Das galt z. B. für Touristen in Jordanien, die von dort aus einen Ausflug in die syrische Hauptstadt Damaskus machen wollten. Zudem durfte in dem deutschen Paß kein israelisches Visum sein. Erstaunlich ist auch, daß einige solcher Staaten von deutschen Staatsbürgern Bescheinigungen ihres Arbeitgebers verlangen, als ob diese die Absicht hätten, in jenen Ländern mit den Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt um unterbezahlte Jobs zu konkurrieren. Es wird auch die Vorlage eines Rückflugtickets verlangt – und was ist, wenn die Erteilung des Visums verweigert wird? … Dann hat man das Geld für das Ticket ausgegeben und kann die Reise nicht antreten. Somit sind Visa-Vorschriften häufig auch für bundesdeutsche Staatsbürger nicht bloß reine Formalität, insbesondere, wenn sie nicht so wohlhabend sind, um sich leicht einen zweiten Paß oder die Dienste einer Firma zu leisten, die ihnen das Visum besorgt und alle nötigen Formalitäten für sie erledigt.

  3. Zoran Trajanovski sagt:

    Rechtliche Gleichheit auf internationaler Ebene ?
    Liebe Frau Beusmann wir haben nicht mall auf nationale Ebene und vor Deutsches Gericht die gleiche rechte und sie Sprechen über internationale Visa rechte. Das beser sein, grosser,mechtiger und begerenswert, ligt daran in dem der Rest der Welt zu spüren bekommt das sie nicht für jedem ereichbar sein werden können. Dahinter stekt die Logik der Kapitalistische Ersten Welt und da kann man leider nicht vill endern.