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Karen Krügers "Eine Reise durch das islamische Deutschland" © rowohlt Verlag

Rezension zum Wochenende

Karen Krügers „Eine Reise durch das islamische Deutschland“

Quer durch Deutschland ist sie gereist, hat viele Muslime besucht und diese zu ihrem Glauben befragt. Karen Krüger, FAZ-Redakteurin, präsentiert die Facetten des Islam in Deutschland in Form von Reportagen und Berichten.

Von Freitag, 09.09.2016, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.09.2016, 17:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Autorin und Journalistin Karen Krüger hat sich auf eine islamische Reise eingelassen, ohne Deutschland zu verlassen. Sie hat im Gepäck ihr Fachwissen zu Geschichte und Soziologie mitgenommen. Vielleicht ist auch diese Expertise der Grund, warum es ihr so gut gelungen ist, von ihren Gesprächspartnern so viele persönliche Statements zu bekommen. Sie hat prominente Namen wie den Schauspieler Fatih Çevikkollu oder Religionspädagogin Lamya Kaddor getroffen. „Früher waren wir Kümmeltürken, seit dem 11. September sind wir Top-Terroristen“ sagt Çevikkollu, Sohn einer türkischen Familie. Die Islamwissenschaftlerin Kaddor, die für einen „liberalen Islam“ steht, plädiert für einen individuellen und zeitgemäßen Glauben.

Auf der Suche nach islamischen Identitäten präsentiert Karen Krüger auch islamische Verbände und Gruppierungen, wie z.B. die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.), der größte Dachverband der Moscheen. Lange und ausführlich hat sich die Autorin mit Islam beschäftigt und verschiedenen Gesichter kennen gelernt. Sie beschreibt auch die Gefahren, die von einem traditionell und streng ausgelegten Islam ausgehen. Hierzu gehören die strengen, patriarchalen Denkstrukturen, das Wesen des Salafismus und die „Generation Dschihad“.

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Insbesondere schwache und enttäuschte junge Menschen fühlen sich angezogen, wenn ihnen Sicherheit und klare Strukturen geboten werden. Die Fülle der Möglichkeiten, die freie Gesellschaften bieten, verunsichern viele Jugendliche. „Statt der Freiheit, alles tun zu können, verheißt der Salafismus die Freiheit, nicht alles tun zu müssen. An die Stelle von Ambivalenz setzt er klare Regeln, statt Kopfzerbrechen fraglose Wahrheiten – die religiöse Bildung bleibt daher rudimentär.“ Der einzelne kann sich in das System einordnen.

Karen Krüger hat Sunniten und Aleviten besucht, hat mit allen über ihre jeweiligen Traditionen gesprochen und große Unterschiede gesehen, hier ein Beispiel über Aleviten: „Manche Aleviten begreifen das Alevitentum eher als Kultur und Philosophie und nicht als Religion: Aleviten fasten nicht im Ramadan und pilgern nicht nach Mekka. Sie beten nicht fünfmal am Tag und leben nicht nach dem Koran und dessen Geboten und Vorschriften – Schweinefleisch ist nicht verboten, auch der Verzicht auf Alkohol ist für sie kein Muss.“

Die Journalistin schreibt, dass viele streng gläubige Muslime Politik und Religion als eine Einheit sehen. Es sind die Extreme, die das Zusammenleben erschweren. Extremismus spaltet die Gesellschaft und zerstört den Frieden. Die Autorin zeigt in ihrem Buch, dass kritische Debatten unter Muslimen und Andersgläubigen dazu führen können, dass Menschen ihre Religion individuell ausleben und ihren eigenen Weg zu Gott finden. Ein großes Diskussionsthema im Islam und auch auf der Reise der Autorin ist die Rolle der Frau. Karen Krüger präsentiert unter anderem in dem Kapitel „Muslimische Frauen und Sexualität“ gesellschaftliche Zwänge und Vorstellungen von Ehre, die in vielen Köpfen und Ländern noch nicht überwunden sind, auch in Europa.

Ausführlich schildert die Autorin ihre Recherchen und begegnet den einzelnen Menschen mit Respekt. Sie bietet keine vorgefertigte Meinung, sondern gibt den Unterschieden Raum. Durch die lebendige Erzählform nimmt sie den Leser mit auf ihre Reise, zeigt ihm viele Bilder und Eindrücke.

In Zeiten, da diskutiert wird, ob der Islam zu Deutschland und Europa gehört oder nicht, ist es gut, dass dem Leser eine solche Reise geboten wird. Es sollte nicht nur über die Muslime gesprochen werden, sondern mit ihnen. Genau das hat die Autorin getan. Politisch und gesellschaftlich bleibt zu hoffen, dass sich hierzulande und auch weltweit der friedliche, individuell ausgelegte und zeitgemäße Islam durchsetzt. Es ist gleichzeitig wichtig, über Grenzen und Tabus zu reden, wie dies zurzeit beim Thema Gewalt gegen Frauen passiert.

Die Kapitel zu den Frauenthemen haben mir persönlich gezeigt, dass es noch viel zu tun gibt. Die aktuellen Diskussionen um ein Burka-Verbot bestätigen für mich die Aktualität des Themas und auch die vorhandenen Ängste der Menschen. Kampagnen wie „Nein heißt Nein“, unterstützt von diversen Frauenverbänden und dem deutschen Komitee von UN Women zeigen ebenfalls, dass es noch vieler Gespräche bedarf.

„Eine Reise durch das islamische Deutschland“ von Karen Krüger gibt für viele Diskussionen Denkanstöße. Wir müssen miteinander reden, das ist für mich die Botschaft! Aktuell Rezension

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