Yasin Baş © Baş, bearb. MiG
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Positionspapier

Grünen stellen Grundrecht für Muslime infrage

Die Grünen, einst eine innovative und tolerante Partei, macht zunehmend Wahlkampf auf dem Rücken von islamischen Religionsgemeinschaften. Ihnen soll der Körperschaftsstatus versagt werden - mit abenteuerlichen Argumenten. Von Yasin Baş

Von Mittwoch, 02.12.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 02.12.2015, 15:03 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

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Grünen-Chef Cem Özdemir und der religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Volker Beck, lehnen in einem gemeinsam veröffentlichten Papier die Anerkennung der bestehenden islamischen Vereinigungen als Religionsgemeinschaften ab. Das Thesenpapier mit dem Titel „Islam einbürgern“, das die beiden Politiker vor wenigen Tagen veröffentlichten, hat immerhin eine ansehnliche Überschrift. Der an einigen Stellen destruktive Inhalt und die teilweise misslungen und pauschalen Gedankengänge jedoch scheinen genau das Gegenteil der Titelbezeichnung bezwecken zu wollen.

Özdemir und Beck torpedieren mit ihren Forderungen nicht nur die Fortschritte der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen (NRW). In NRW hatte die rot-grüne Regierung zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, die eine Anerkennung der islamischen Vereinigungen als Religionsgemeinschaften untersuchen sollten. Ein Gutachten kam bereits zu einem positiven Ergebnis. Unterrichtete Kreise gehen davon aus, dass ein weiteres Urteil wohl Anfang des kommenden Jahres fertiggestellt sein wird.

Rot-grüne Praxis widerspricht den Positionen von Özdemir und Beck

Zudem stehen einige der im Papier erwähnten Positionen im nachdrücklichen Widerspruch zur geltenden Praxis in Hessen, Niedersachsen, Bremen und Hamburg, alles Orte, wo die Grünen mitregieren und wo islamischer Religionsunterricht schon seit Jahren erteilt wird. In diesen Ländern sind die islamischen Religionsgemeinschaften bereits rechtlich anerkannte Partner des Staates und stehen kurz vor der Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Hier wurden mit den islamischen Vereinigungen Staatsverträge geschlossen, die z.B. die Besetzung öffentlich-rechtlicher Gremien, Erteilung von islamischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, islamische Feiertage, Bestattungsrituale, religiöse Betreuung in Krankenhäusern, Heimen und Justizvollzugsanstalten oder den Bau von Moscheen vertraglich regeln.

KRM vertritt über 75 Prozent der organisierten Muslime in Deutschland

Mit dem Thesenpapier von Beck und Özdemir wird genau genommen ein Grundrecht für die Muslime zur Debatte gestellt. Die beiden Herren werfen den muslimischen Organisationen vor, sie sprächen für eine Minderheit der Muslime. Sie ignorieren, dass gerade die im Koordinationsrat der Muslime (KRM) organisierten Dachverbände Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR), Zentralrat der Muslime (ZMD), Türkisch-Islamische Union (DITIB) und Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) für über 75 Prozent der organisierten Muslime sprechen.

Von den bestehenden etwa 2400 Moscheegemeinden in Deutschland gehören über 1800 Gemeinden den religiösen Vereinigungen des KRM an. Diese Realität scheinen Özdemir und Beck bewusst oder unbewusst der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Sie schreiben, dass die Religionsgemeinschaften im KRM „nur rund 20 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime“ vertreten.

Außerdem erwähnen sie Vereine die aus Einzelmitgliedern bestehen. So wird suggeriert, dass es sich bei diesen Zusammenschlüssen um Großorganisationen handle, die nicht beachtet würden. Die islamischen Verbände im KRM sind überdies bei der Präventionsarbeit gegen Radikalisierung und Fanatismus wichtige Partner des Staates. Auch im Hinblick auf die Wohlfahrt- und Flüchtlingspolitik werden sie in Zukunft noch viel beitragen.

Doppelte Standards bei der Bewertung von Religionsgemeinschaften?

Die teilweise ethnisch-sprachlich geprägten Strukturen und die nach wie vor präsente emotionale Verbundenheit der Religionsgemeinschaften mit den ehemaligen Herkunftsländern scheinen ebenso eine Barriere zu sein, da sie eine kritische Darlegung im Papier finden. Die vier großen islamischen Religionsgemeinschaften seien in ihrer Zusammensetzung „national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt“.

Hier stellt sich jedoch die Frage, ob nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Organisationen wie der Zentralrat der Juden, die griechisch-orthodoxe, serbisch-orthodoxe oder russisch-orthodoxe Kirche haben ebenso sprachliche und national-ethnische Bindungen zu ihren so genannten Herkunftsstaaten.

Religionsgemeinschaften mit Nähe zur Politik und Herkunftsstaaten

Ebenfalls die in einigen Bundesländern als Körperschaften anerkannte Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) oder die Ahmaddiyya Muslim Gemeinschaft haben natürlicherweise Kontakte zu den Ländern, aus denen ihre Mitglieder ursprünglich stammen. Teilweise beteiligen sich einige dieser Verbände und Religionsgemeinschaften in der aktiven Politik. So haben beispielsweise Funktionäre der AABF bei den letzten beiden Parlamentswahlen in der Türkei sogar als Abgeordnete für die „Partei der demokratischen Völker“ (HDP) kandidiert und damit aktiv Politik betrieben.

Erwähnt und kritisieren Volker Beck und Cem Özdemir diese Tatsache vielleicht deshalb nicht in ihrem Positionspapier, weil sie und die Grünen bei den türkischen Parlamentswahlen mit deutschen Steuergeldern die HDP unterstützt haben? Selbst die Katholische Kirche in Deutschland untersteht einem anderen Staat. Aktuell Meinung

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  1. Benedikt Erb sagt:

    Dass die Grünen diesen Rückschritt vollziehen, irritiert tatsächlich. Sicherlich sind die muslimischen Dachverbände in ihrer religionsverfassungsrechtlichen Eignung für die Kategorie „Religionsgemeinschaft“ und damit auch für den Status KdöR anders zu bewerten als die beispielsweise die Mitgliedergemeinschaften ev. und kath Kirche. Die muslimischen Dachverbände sind ja eher Mitgliedergemeinschaften von Vereinen und Moscheeverbänden und weniger von Einzelpersonen. Dies aber als unüberwindbares Kriterium in Eisen zu gießen ist vollkommen stagnativ und keine Hilfe bei einer unbedingt notwendigen progressiven und zeitgemäßen Neuinterpretation des Religionsverfassungsrechts.

    Auch die Bremer Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer kommt in ihrem Gutachten von 2012 zu dem Schluss, dass die Dachverbände sehr wohl Aufgaben übernehmen und Strukturen erfüllen, die der Kategorie „Religionsgemeinschaft“ genügen: http://www.hamburg.de/contentblob/3620004/data/download-religionsgutachten.pdf

    Schade Grünen — sollte das Konsens werden, vertut ihr eine wichtige Chance!

  2. karakal sagt:

    Die „Grünen Muslime“ scheinen überhaupt keinen Einfluß auf ihre Parteiführung zu haben. Wozu sind sie denn dann überhaupt da? Nur als nützliche Idioten, um muslimischen Wählern vorzutäuschen, die Partei der Grünen sei nicht islamfeindlich?

  3. Dirk Brehmer sagt:

    Leider ist schon der Titel des Blogs unzutreffend, da die Anerkennung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts kein Grundrecht darstellt, sondern ganz konkreter Vorausssetzungen bedarf. In dem sehr gut artikulierten Artikel von cem Özdemir und Volker Beck ist auch aufgeführt, dass die Ditib eine türkische Religionsbehörde ist und somit alle Moscheen vom türkischen Staat finanziert werden, der Predigttext zentral aus Ankara jeden Freitag vorgegeben ist. Warum nimmt Herr Bas nicht dazu Stellung ?

    Stattdessen ergießt er sich in unzutreffenden Beleidigungen der Grünen, die überhaupt nicht den Kern treffen.

  4. Umdenker sagt:

    Man kann nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen bei diesem Artikel. Schon allein, dass die DITIB direkt dem türkischen Staat untersteht, mach es meiner Meinung UNMÖGLICH, dass sie hier als Körperschaft anerkannt wird.

  5. Alexei sagt:

    Ich finde die Entscheidung nicht verkehrt. Eine „zentralisierte“ Organisation bei der alles zusammenläuft, ermöglicht es doch diese zentrale Organisation zu beeinflussen.Das wirkt sich auf alle untergebenen Organisationen aus.Wenn also zum Beispiel Saudi Arabien auf die Idee kommt,bei uns Unruhe zu stiften,dann brauchen sie ein zentrales Objekt,dass sie beeinflussen können.Sei es durch finanzielle Unterstützung oder durch Vorgabe von Inhalten. Eine Dezentralisierung würde das verhindern. Der Islam sollte bei uns an den Schulen gelehrt werden, denn da bilden wir die Leute aus und wir finanzieren sie über unsere Steuern.Da weiss man,dass die kinder einen liberalen Islam lernen,da der Staat die Dachorganisation ist. Bei unabhängigen Dachorganisationen, besteht immer die Gefahr der Einflussnahme von Außen.

  6. Matthias sagt:

    Das Recht eine KdöR zu gründen ist kein Grundrecht. Das Grundrecht der freien Religionsausübung ist durch die fehlende Möglichkeit eine Körperschaft zu gründen nicht angegriffen.

    Tatsächlich kann ich es verstehen, dass eine Vertretung der Muslime längst überfällig ist, aber eben eine Vertretung der Muslime, nicht aber eine Vertretung der muslimischen Vereine.

    Die Einflussnahme der Zentralrats der Juden mit der Einflussnahme der AKP auf DITIB gleichzustellen ist mehr Frechheit als ein gutes Argument. Der Staat Israel, ebensowenig wie der Vatikanstaat geben keine Predigttexte vor, DITIB schon. Ebensowenig tut das Pakistan auf die Ahmadiyyaverbände. Eine emanzipatorische Entwicklung der muslimischen DITIB -Gemeinden wird auf diese Weise erschwert.

    Die grünen Muslime sind im Übrigen nicht verpflichtet, ihre religiösen Ansichten gegen Özdemir durchzusetzen, sofern es überhaupt nennenswerte anderslautende Ansichten gibt. Es gibt doch auch Christen bei den Grünen, sollen die nun auch anfangen zu jammern? Vielleicht ist man unabhängig vom religiösen Bekenntnis grün…..

  7. posteo.de sagt:

    Ich möchte noch anmerken, dass auch nicht alle Christen das vermeintliche Grundrecht genießen, in einer KdÖR organisiert zu sein. Die meisten Freikirchen und die Orientkirchen in Deutschland sind nicht als KdÖR anerkannt und können trotzdem ein aktives Gemeindeleben pflegen.