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Ein Flüchtlingscamp in Chad für Flüchtlinge aus dem Sudan (Archiv) © European Commission DG ECHO @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nordafrikanische Flüchtlingskrise

Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimes ist nicht neu

Um die Zahlen der Flüchtenden zu verringern, sucht Europa nach einer neuen Nordafrikapolitik. Vor einem Jahr begann der "Khartum-Prozess". Damit sollen die Rechte und die Sicherheit von Flüchtlingen gestärkt werden - auf dem Papier. In der Praxis wird Staatsmacht unterstützt. Von Paul Simon

Von Mittwoch, 28.10.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.11.2015, 17:40 Uhr Lesedauer: 13 Minuten  |  

Als vor zwei Wochen Angela Merkel bei Anne Will saß, um mit der Nation mal ganz in Ruhe die Flüchtlingssituation zu besprechen, schien sie in einigen Momenten mit den Gedanken schon ganz weit weg. Als die Kanzlerin gefragt wurde, was das denn für ein Deutschland sei, zu dem wir uns jetzt gerade entwickeln, sprach sie nicht von kultureller Vielfalt oder demografischer Verjüngung. Sie sprach stattdessen von Außenpolitik: „Wir werden ein Deutschland sein, dass sich mehr in der Außenpolitik engagiert, ein Deutschland, dass mehr für Entwicklungshilfe ausgibt.“ In Zukunft würden Außen- und Innenpolitik nicht mehr voneinander zu trennen sein. Besonders im Mittleren Osten, besonders in Syrien dürfe Deutschland nicht länger tatenlos zusehen, sondern müsse sich mehr engagieren, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

Wie dieses verstärkte außenpolitische Engagement abseits von Entwicklungshilfe konkret aussehen würde, ließ Merkel dabei unausgesprochen – vielleicht auch, weil sie weiß, wie unpopulär in Deutschland vor allem ein militärisches Engagement im Nahen Osten nach wie vor ist. Wenige Wochen zuvor hatte Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, dem wie immer diese Rolle zu fiel, eine deutsche Beteiligung an den Militäreinsatzen in Syrien ins Gespräch gebracht. Doch in der Regierung will man diese Diskussion zur Zeit offenbar nicht.

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Schließlich ist schon die deutsche Offensive in der Türkei kontrovers genug. Angesichts der Verschärfung der dortigen innenpolitischen Lage zeugt die Annäherung an Erdoğan so kurz vor den Wahlen deutlich von den Prioritäten unserer Regierung: Kritik an der türkischen Regierung wird plötzlich sehr leise, wenn man auf ihre Zusammenarbeit bei der Abriegelung der östlichen EU-Grenze angewiesen ist.

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Der Nahe Osten ist allerdings nicht die einzige Region, der gegenüber Europa angesichts der Flüchtlingszahlen seine Politik neu ausrichtet. Die große Mehrheit der Flüchtlinge kommt zwar im Moment über die Türkei und Griechenland, aber die Südmittelmeerroute – aus Libyen nach Italien oder Malta – hat keinesfalls an Bedeutung verloren. Der UNHCR zu Folge erreichten dieses Jahr allein bis August fast 120.000 Menschen auf diesem Weg Europa. Die meisten von ihnen stammen aus dem subsaharischen Afrika, vor allem aus Eritrea (23%), Nigeria (13%) und Somalia (8%).

Vor Jahren hat deshalb die EU schon beschlossen, seine Nordafrikapolitik neu auszurichten. Im Oktober 2014 begann der „Khartum-Prozess“, in dem sich die EU mit Eritrea, Äthiopien, Somalia, Südsudan, Sudan, Dschibuti, Kenia, Ägypten und Tunesien zur besseren Kontrolle und Regelung der nordafrikanischen Migration abstimmt. Die EU unterstützt diese Staaten durch Entwicklungshilfe sowie gezielt mit Projekten, welche die Situation von Flüchtlingen in Lagern oder auf der Reise in Nordafrika verbessern sollen: Von der Versorgung somalischer Kriegsflüchtlinge in Kenia bis hin zu Berufsausbildungsprogrammen für junge Eritreer in Äthiopien und der Forderung nach stärkerem rechtlichen Schutz von Migranten. Es geht darum, die Rechte und die Sicherheit von Flüchtlingen zu stärken – auch mit dem Ziel, ihnen den Anreiz für die lebensgefährliche Reise nach Europa zu nehmen, indem man ihr Elend lindert.

Im Vordergrund steht deshalb vor allem auch die engere Zusammenarbeit bei der polizeilichen Bekämpfung illegaler Migrationswege, die Verfolgung von Schleppern und die bessere Koordination und Ausbildung der nordafrikanischen Polizei. Als Gegenstück zur Verschärfung der europäischen Polizeiaktionen gegen Schlepper in den internationalen Gewässern des Mittelmeeres ab Oktober, versucht man so die Staaten Nordafrikas selbst zum stärkeren Grenzschutz anzuhalten.

Zu diesem Zweck wurde etwa an der Polizeischule Kairo unter europäischer Beteiligung ein Trainingszentrum für die Mitgliedsstaaten des Khartum-Prozesses eingerichtet. Ebenso ist schon in der Absichtserklärung vom Oktober 2014, ohne konkret zu werden, von der Möglichkeit des Einrichtens von „reception centers“ in den teilnehmenden Ländern Nordafrikas die Rede. In diesen „Centern“ sollen Flüchtlinge ihre Asylanträge stellen können – lange schon ein Ziel derer, die den Strom der Flüchtlinge nach Europa begrenzen möchten.

Von Anfang an ist der Khartum-Prozess als eine restriktive Maßnahme kritisiert worden, bei der es vor allem darum geht, die Zahlen der Flüchtlinge in Europa durch bessere polizeiliche Grenzsicherung in Nordafrika zu vermindern. Dabei wird eine Stärkung diktatorischer Regimes etwa im Südsudan oder Eritrea in Kauf genommen.

Das Internetportal statewatch.org veröffentlichte eine Erklärung eines Treffens des „Steering Committees“ des Khartum-Prozesses in Sharm el Sheikh vom April diesen Jahres. Darin ist von der „Stärkung der menschlichen und institutionellen Kapazitäten“ der Polizeikräfte in Eritrea und dem Südsudan die Rede. Wie diese Stärkung konkret aussehen soll und wie viel Geld von der EU an welche Stellen genau fließen wird, bleibt offen. Transparent ist dieser Prozess nicht, Informationen werden geheim gehalten. Vor Ort in Sharm el Sheikh war auch eine deutsche Gesandtschaft. Leitartikel Meinung

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  1. Diego sagt:

    Liebes Migazin-Team, in dem Artikel „Unzulässige Begriffe in der Diskussion um Geflüchtete“ kritisieren Sie den Begriff Flüchtlingskrise, was ich als fundiert und gut empfinde. Vor diesem Hintergrund wäre es toll, wenn Sie selbst den Begriff nicht mehr nutzten – siehe Überschrift des Artikels. Was ist Ihre Perspektive dazu?