Zur Macht des Wortes

Unzulässige Begriffe in der Diskussion um Geflüchtete

"Einmal entsandt, fliegt das Wort unwiderruflich dahin". Vor 2000 Jahren kannte Horaz die Macht der menschlichen Sprache recht gut. 2015 haben das anscheinend weite Teile der deutschen politischen und journalistischen Elite verlernt. Von Dmitri Stratievski

Von Dienstag, 27.10.2015, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 27.10.2015, 16:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Wortwahl wird in der aktuellen Debatte um geflüchtete Menschen immer weniger Bedeutung beigemessen. Die politische und mediale Landschaft, und zwar nicht dem rechten Spektrum nahestehende, beherrschen Wortkonstruktionen, die nicht nur Ängste schüren, sondern auch Menschen beleidigen, die bei uns Schutz und Sicherheit suchen, und im Endeffekt falsche Botschaften an die Bevölkerung vermitteln.

Im laufenden Jahr kamen bei den Berichterstattungen und Wortbeiträgen viele Klischees in die Welt, die unbewusst oder auch bewusst die Spannung in der Gesellschaft in die Höhe treiben. Die „Flüchtlingskrise“ ist hier der Spitzenreiter. Eine Google-Recherche nach diesem Wort ergibt knapp acht Millionen deutschsprachige Treffer, angefangen mit den Live-Ticker von renommierten Zeitungen bis zu den Zitaten prominenter Meinungsmacher.

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Der Duden bezeichnet eine „Krise“ als „Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Lage”. Auf diese Weise werden, auch wenn oftmals nicht vorsätzlich, gewisse Warnsignale transportiert. Man verbirgt damit „ernstzunehmende Gefahren“. Was ist dabei „gefährdet“?

Wer von der „Flüchtlingskrise“ redet, der stört uns, in die Situation schutzbedürftiger Syrer, Iraker oder Afghanen hineinzuversetzen, die ihre zerbombte Heimat notgedrungen verlassen mussten. Der Spiegel schwatzt: „Der Andrang auf Deutschland hält unvermindert an“, während Die Welt konstatiert: „Die Bundespolizei kapituliert vom Flüchtlingsstrom“. Dadurch wirken die massenmedialen „Gefahrenbilder“ noch kräftiger. Es kriselt in Deutschland. Diese Krise ereignet sich aber nicht in einer Flüchtlingsunterkunft, sondern auf den Straßen Dresdens, wo die neuen-alten Hassprediger mit ihren Tiraden ein Fall für den Verfassungsschutz werden.

Eine andere Gruppe bilden Begriffe, die im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs alleine aufgrund der dunklen Kapitel der deutschen Geschichte einen Platzverweis bekommen sollten. Der Begriff „Flüchtlingslager“ hat sich im deutschen politischen Sprachraum fest eingebürgert.

Das „Lager“ steht für die Aussonderung der Menschen nach einem bestimmten Prinzip (Abstammung, Religion, politische Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer feindlichen Armee etc.) und ist mit der Einschränkung der Freizügigkeit und weiteren Menschenrechten untrennbar verbunden. „Lager“ waren nicht nur die Konzentrationslager unter Hitler, sondern auch die Haftstätten des Gulags unter Stalin sowie in den anderen Diktaturen.

In der Aufklärungsarbeit benutzt man für die Bezeichnung einer provisorischen Unterkunft, zum Beispiel im Rahmen einer Jugendbegegnung, das englische Wort „camp“, das im Deutschen keine negative geschichtspolitische Färbung besitzt.

Die als Novum verbreiteten „Transitzonen“ sind ebenfalls nicht neu und haben Vorbilder. So bezeichnet man nicht nur bestimmte Bereiche an Flughäfen, wo die umgestiegenen Fluggäste ohne entsprechendes Visum sich bewegen können. Die NS-Führung praktizierte verschiedene „Zonen“, die man nach dem damaligen Kriegsgeist betitelte. Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde die saarländische Bevölkerung aus dem potenziellen Kampffeld an der deutsch-französischen Grenze evakuiert. Dieses Gebiet nannte man „Rote Zone“, oftmals auch „Transitzone“. Genauso hießen die Landstriche zwischen dem besetzten Teil Frankreichs und dem Kollaborationsstaat Henri Philippe Pétains.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2010 im Artikel „Stiche mit dem linguistischen Messer“: „Worte sind nicht nur Schall und Rauch, wie der Volksmund behauptet. Sie können seelisch verletzen und die körperlichen Leistungen schmälern“. Aktuell Meinung

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