Emigration

Deutschland – das Land der Auswanderer

Bei der Debatte um die angebliche Armutsmigration wird vollkommen vergessen, dass auch Deutsche aus den verschiedensten Gründen jedes Jahr zu Tausenden das Land verlassen und das nicht erst seit den letzten Jahren - ein kleiner Blick auf die deutsche Geschichte der Auswanderung.

Von Dienstag, 14.01.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.10.2015, 14:47 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Die Freizügigkeit in Europa wurde schon oft Zielscheibe vielfältiger Attacken aus den politisch konservativen Kreisen. So verbreiteten sich vor 30 Jahren Ängste vor „Billigarbeitskräften“ aus Spanien und Portugal, die die deutsche Baubranche ruinieren würden. Vor zehn Jahren debattierte man dann über die polnischen Gastarbeiter.

Mit der Zeit erwiesen sich diese Horrorszenarien als falsch. In Teilen der Politik wird aber weiterhin versucht, vom altgedienten Gespenst der „Einwanderung in den sozialen Systemen“ und der „Wegnahme der Arbeitsplätze“ zu profitieren, wie es gegenwärtig in Bezug auf Rumänen und Bulgaren geschieht.

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Hinter all diesen Debatten verbirgt sich ein Stückchen Arroganz: Europa wird großgeschrieben, im Hinterkopf behält man eine Menge Nationalegoismus: berechtigt? Schlechtes vergisst man, Gutes bleibt im Gedächtnis hängen.

Die Vergangenheit mutiert zu einer gegenwartsfernen Substanz. Dabei gehören Deutsche selbst zur Gruppe der Auswanderer. Die deutsche Auswanderungsgeschichte stellt einen unabdingbaren Teil der gesamtdeutschen Geschichte dar. Im 19. und im 20. Jahrhundert machte sich die heutige Wohlstandsnation mehrfach auf dem Weg ins Ausland, erst mal aus rein wirtschaftlichen Gründen. Überfüllte Schiffe kamen in die „Neue Welt“, nach New York, Baltimore und Philadelphia. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten folgten politische Flüchtlinge. Auch im 21. Jahrhundert verlassen viele Deutsche ihre Heimat.

Über 42 Millionen US-Staatsangehörige trugen bei der Volkszählung im Jahr 2000 in die Zeile Abstammung „German“ ein. Das machte 15,2 Prozent der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten aus. Russell Andrew Kazal bezeichnet die Deutschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „eine der am höchsten organisierten und am stärksten bemerkbare Einwanderergruppe der USA“. „Pennsylvania Deitsch“, eine eigene Sprache der Deutschamerikaner mehrheitlich pfälzischer Abstammung, wird heute immer noch gesprochen. In Kanada lebten 2006 über drei Millionen Menschen deutschen Ursprungs, was etwa 10 Prozent der kanadischen Bevölkerung entsprach. Nach 1933 gingen jüdische und nichtjüdische Einwohner Deutschlands ins Ausland. Als die deutschen Minderheiten mehrere Länder Ost- und Südmitteleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten, emigrierten viele Donauschwaben in die USA.

Die Wirtschaftswoche schrieb: „Deutschland ist Ein- und auch Auswanderungsland“. Zwischen 2001 und 2006 hat sich die Zahl der deutschen Abgewanderten um 42 Prozent erhöht. Laut dem Statistischen Bundesamt verließen 2011 rund 680.000 Menschen das Land, darunter über 141.000 mit deutschem Pass. Das sind bei weitem nicht nur gutsituierte Rentner, die ihre Ruhe an der spanischen Küste genießen möchten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung präsentiert ein Kollektivporträt der deutschen Auswanderung: jung, weiblich und kinderlos. Im vergangenen Jahr warb Bayern im Ausland mit „Return to Bavaria“ um die Rückkehr von deutschstämmigen Auswanderern.

Der Deutsch-Amerikanische Nationalkongress betitelt die deutsche Einwanderung in die USA als „Erfolgsgeschichte“. Dessen Sprachrohr, das German-American Journal, spricht von der „kulturellen Bereicherung Amerikas durch den Zuzug der Deutschen“. Können auch wir etwa den Zuzug aus dem Ausland nach Deutschland als kulturelle Bereicherung unserer Gesellschaft betrachten wie das in den USA geschieht? Wünschenswert wäre es allemal. Aktuell Meinung

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  1. Wolfgang Weinem sagt:

    Natürlich!!! Deutschland – die EU – ist kein Land für ein faires Leben! ich vergleiche die EU gern mit folgendem Beispiel: Ein Haus mit vier Mietparteien (MP). 1. MP sehr fleißig, 5 T€ Einkommen; 2. MP fleißig. 3T€ Einkommen; 3. MP, 1,5 T€ Arbeitsamt; 4. MP, Null-Bock – Sozialhilfe/Hartz IV; – jetzt kommt die EU und wirft alles in einen Topf, rührt einmal um und Teil durch fünf… Wer dann noch gern hier ist und besonders seinen Lebensabend verbringen will… ich weiß nicht…der ist selbst schuld…

  2. Han Yen sagt:

    Die „Armutsmigration“-Debatte wird von der Regierung mißbraucht. Die Arbeitgeberseite betrügt EU Ausländer gern um ihren Lohn, weil sie sich in unserem Arbeitsrecht nicht auskennt und die Gewerkschaften schwach aufgestellt sind. Durch die Schwächung der Arbeitslosenhilfe durch Hartz 4 hat auch die Streikfreude deutlich nachgelassen.

    In der Baubranche wird gern mit Subunternehmern gearbeitet, die dann Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland anwerben. Gern gehen diese Subunternehmen auch plötzlich pleite, um die Lohnauszahlung zu vermeiden.

    Die Austeritätspolitik macht den Bürgern vor, als ob es im Interesse des Staates läge, Staatsschulden abzubauen. Tatsächlich sind Staatsschulden das Standbein der privaten Kreditaufnahme, weil nur mit Staatsschulden die Risikotransformation der Finanzinstitutionen funktionieren. Staaten haben niemals ein Interesse daran, dass es keine Staatsschulden gibt, solange es sich um kapitalistische Staaten handelt, und diese Wachstum brauchen und wollen. In diesem Rahmen macht der Vorwurf des Sozialtourismus auch wenig Sinn.

    Mehr Sorgen machen sollte man sich über die Ideenlosigkeit der Opposition, Migrantenorganisationen und der europäischen Nichtregierungsorganisationen. Wir brauchen eine Ausweitung des Streikrechtes, so dass mit jedem Streiktag die Arbeitgeberseite eine Strafe zahlen muss. Die BRD ist jetzt ein Lohnsteuerstaat. Armutslöhne tragen da wenig zur Finanzierung des öffentlichen Haushaltes bei. Das öffentliche Interesse steht in diesem Fall auf der Seite der „Armutsmigranten“. Ein besseres Streikrecht allein hilft schon sehr viel weiter, um die Arbeitgeberseite einzuschüchtern.