Sozialhilfe für EU-Bürger
EU-Kommission fordert Einzelfallprüfung statt pauschale Ablehnung
EU-Kommission stellt klar: Es gibt keinen Grund für Hysterie. EU-Bürger haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe vom ersten Tag an. Sozialhilfe könne aber auch nicht automatisch ausgeschlossen werden. Jeder Einzelfall müsse gesondert geprüft werden – nach einem neuen Leitfaden.
Dienstag, 14.01.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 19.01.2014, 21:16 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
EU-Kommissar László Andor verteidigte am Montag die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union und erteilte vor allem Stimmen aus Deutschland und Großbritannien, die in den vergangenen Wochen und Monaten hitzige Debatten über vermeintliche Armutseinwanderer entfachten, eine klare Absage. „Mobile Arbeitskräfte aus anderen EU-Ländern zahlen mehr Steuern und Sozialabgaben in die Kasse ihrer Gastländer, als sie an Sozialleistungen von diesen Ländern bekommen“, stellte Andor klar.
Die Debatten würden „übermäßig emotional und fehlerhaft“ geführt, erklärte der für Beschäftigung, Soziales und Integration zuständige EU-Kommissar und stellte einen in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten erstellten Leitfaden vor, in der erläutert wird, unter welchen Bedingungen EU-Bürger Anspruch auf Sozialleisten haben. Der Leitfaden soll den Mitgliedstaaten bei der Anwendung der EU-Vorschriften helfen und Klarheit über die strittigen Fragen schaffen.
Kritierienkatalog soll helfen
László: „Das EU-Recht sieht eindeutige Schutzbestimmungen vor, die den Missbrauch der Sozialsysteme in anderen EU-Staaten verhindern sollen. Dieser Leitfaden wird es den Behörden der Mitgliedstaaten erleichtern, die Schutzbestimmungen im Zusammenhang mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort anzuwenden.“
Danach haben Beschäftigte und selbstständig Erwerbstätige in dem Land Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit, in dem sie arbeiten. Nicht erwerbstätige Personen wie Rentner oder Studierende etwa sind in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts anspruchsberechtigt. In dem Leitfaden wird auf die spezifischen Kriterien hingewiesen, die bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts berücksichtigt werden müssen, wie z. B.: familiäre Verhältnisse, Dauer und Kontinuität des Aufenthalts, Art der Erwerbstätigkeit oder die Wohnsituation.
Kommission hält an Einzelfallprüfung fest
Darüber hinaus sieht der Leitfaden konkrete Beispiele und Hilfestellung in Fällen vor, in denen die Feststellung des Wohnorts schwierig sein kann, wie im Falle von Grenzgängern, Saisonarbeitern, entsandten Arbeitnehmern, Studierenden, Rentnern und hochmobilen nicht erwerbstätigen Personen.
Laut Kommission ist jedenfalls wichtig, dass jeder Einzelfall gesondert geprüft wird. Das bedeute nicht, dass Sozialhilfe vom ersten Tag an zu zahlen ist. Es gebe keinen automatischen Anspruch darauf, wenn jemand in ein anderes Land geht. Es gebe aber auch keinen Automatismus, nach dem arbeitslose EU-Bürger generell keine Sozialhilfe bekommen. Wenn jemand nach drei Monaten Sozialhilfe beantrage, müsse nach dem im Leitfaden genannten Kriterien geprüft werden, wo der Betreffende seinen gewöhnlichen Wohnort hat und ob daraus ein Anspruch auf Sozialhilfe erwächst.
Hintergrund der Debatte
Hintergrund der Debatte ist ein Gerangel über deutsches und europäisches Recht. Während das deutsche Sozialgesetzbuch II arbeitssuchende EU-Bürger von Hartz IV kategorisch ausschließt, geben immer mehr Gerichte EU-Bürgern recht, die dagegen klagen. Begründung: Die deutsche Regelung verstößt gegen Europarecht. Damit Rechtsklarheit herrscht, hat das Bundessozialgericht Mitte Dezember den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen und um Klärung gebeten.
Download: Der „Leitfaden zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts“ der Europäischen Kommission liegt in englischer Sprache vor und kann hier heruntergeladen werden.
Wie die Luxemburger Richter entscheiden werden, ist noch ungewiss. Gut sieht es für die deutsche Regelung aber nicht aus. Im September 2013 hatte der EuGH in einem relevanten Fall bereits zugunsten eines EU-Bürgers entschieden. Es ging aber nicht um einen Rumänen oder Bulgaren, der in Deutschland Sozialhilfe beantragt hatte, sondern um einen deutschen Rentner, der in Österreich lebt.
Kein Beleg für Armutsmigration
Weil der Rentner nur eine kleine Erwerbsminderungsrente aus Deutschland bezieht, beantragte er in Österreich die sogenannte Ausgleichszulage, um auf das Existenzminimum aufgestockt zu werden. Die Behörden lehnten den Antrag pauschal unter Verweis auf das österreichische Gesetz ab. Der Rentner könne seinen Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren. Somit habe er nach österreichischem Gesetz kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und damit auch keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das überzeugte die EU-Richter nicht. Es komme auf den gewöhnlichen Aufenthalt an und darauf, ob die Gewährung der Leistung das Sozialsystem „unangemessen“ belastet – eine Einzelfallprüfung also.
Ungeachtet von der ohnehin in der Kritik stehenden deutschen Gesetzeslage, fordern CSU Politiker unter dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ weitere Einschränkungen für EU-Bürger, um Deutschland für vermeintliche Armutseinwanderer unattraktiv zu machen. Seit dem Jahreswechsel werfen CSU Politiker vor allem Bulgaren und Rumänen vor, wegen den Sozialleistungen nach Deutschland einzuwandern. Die Bundesregierung hatte indes bereits vor Monaten erklärt, dass es sich bei der Einwanderung aus diesen Ländern nicht um Armutsmigration handelt. (bk) Leitartikel Politik
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