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Hauptbahnhof München © christopher_brown @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Syrischer Journalist

Syrer verlassen ihr Land nicht einfach so

Maksim Alissa berichtet für das syrische Fernsehen vom Münchner Hauptbahnhof. Auch er selbst hat vor vier Jahren in Deutschland Asyl beantragt. Ob in Syrien tatsächlich eine Aufbruchstimmung Richtung Deutschland - wie von der CSU befürchtet - herrscht, erzählt er im Gespräch.

Von Christiane Ried Freitag, 18.09.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.09.2015, 20:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Herr Alissa, wie erleben Sie die Ankunft Tausender Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof?

Maksim Alissa: Was da in München derzeit passiert, ist ein großes Ereignis. Noch nie sind so viele Menschen aus dem Nahen Osten, vor allem aus Syrien, nach Deutschland und Europa gekommen. 20.000 Menschen auf einmal wie am vergangenen Wochenende – so etwas habe ich nicht erwartet. Die Gastfreundschaft der Münchner hat mich schon beeindruckt: Ich habe Bürger gesehen, die vor Rührung geweint haben. Ein Mann hat einer syrischen Frau einfach so 20 Euro in die Hand gedrückt. Es hätte auch anders kommen können. Immerhin gibt es auch viele Menschen, die gegen Asylbewerber demonstrieren.

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Die Flüchtlinge sind in München fast schon euphorisch begrüßt worden. Folgt nicht irgendwann Katerstimmung, wenn der erste Jubel verebbt ist?

Alissa: Ich habe schon viele Flüchtlinge getroffen, die tatsächlich nach einigen Monaten ernüchtert waren. Sie wussten halt nicht, wie lange das Asylverfahren dauert oder dass sie erst in Erstaufnahmeeinrichtungen kommen. Das ist aber immer noch besser, als in Syrien um sein Leben zu fürchten. Die Flüchtlinge müssen lernen, dass die Deutschen nicht hopplahopp etwas machen. Da brauchen sie Geduld, die Mitarbeiter in den Behörden geben ihr Bestes.

Horst Seehofer hat jetzt im „Spiegel“-Interview angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingsandrangs gesagt: „Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu bekommen.“ Sind seine Sorgen berechtigt?

Alissa: Nein, ich denke nicht. Meine Eltern zum Beispiel sagen: ‚Egal was in Syrien passiert. Wir verlassen unser Land nicht.‘ Mein Vater ist 70 Jahre alt – er will nicht in Deutschland sterben und er will in seinem Alter auch keine neue Sprache mehr lernen. Außerdem ist er Rentner, er könnte gar nicht mehr arbeiten. Was soll er also in Deutschland? Es gibt viele Leute, die das ähnlich sehen. Es sind vor allem die jungen Leute, die fliehen, weil sie keine Zukunft in Syrien sehen. Es gibt keine Arbeit, außerdem befürchten sie, im Militärdienst verheizt zu werden. Und die Frauen haben Angst vor Vergewaltigungen durch die IS-Truppen.

Viele Flüchtlinge rufen „Germany, Germany“ oder tragen ein Bild von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor sich her. Woher kommt das positive Bild von Deutschland?

Alissa: Die Syrer denken, dass Deutschland ein finanziell starkes Land gibt. Es gibt ein Grundgesetz, also ein gutes demokratisches System. Außerdem glauben sie, dass in einem solch großen Land bestimmt Arbeit zu finden ist. Die Mehrheit der Syrer kommt ja nicht wegen des Geldes. Sie wollen dem Staat nicht auf der Tasche liegen, sondern schnellstmöglich arbeiten. Deutschland jedenfalls halten viele Syrer für das beste Land für sich.

Was fühlen Sie, wenn Sie die Flüchtlingsbilder sehen? Es geht ja auch um Ihr Land und um Ihre Landsleute.

Alissa: Ich bin traurig. Wir wollten Reformen, mehr politische Parteien, Pressefreiheit. Nach der Revolution 2011 hat das Assad-Regime viele politische Aktivisten verhaften lassen, gegen Demonstranten ging es mit Waffengewalt vor. Derzeit sind elf Millionen Syrer im In- und Ausland auf der Flucht. Das ist fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 23 Millionen. Wenn die Situation so bleibt, wird es Syrien in ein paar Jahren nicht mehr geben.

Wie sieht Machthaber Assad das Ausbluten seines Landes?

Alissa: Assad sagt, dass Europa gegen Syrien kämpft und den Plan verfolgt, das Land quasi leerzuräumen. Was er selbst oder sein Vater getan haben, das sagt er natürlich nicht. Die Leute fliehen ja wegen seiner Politik – und nicht, weil Europa sie will. Vielen Syrern ging es zu Hause sehr gut, sie hatten Geld, eigene Läden. Man darf nicht vergessen: Die Syrer verlassen ihr Land ja nicht einfach so – sie werden gezwungen durch den Bürgerkrieg, durch das Assad-Regime, durch den Islamischen Staat,…

Sehen Sie eine Lösung im Syrien-Konflikt?

Alissa: Eine Lösung ohne den Sturz von Assad gibt es nicht. Wenn Assad weg ist, verschwindet auch der IS. Denn die beiden stehen sich nahe. Assad betreibt Handel mit dem IS und bekommt unter anderem Öl, im Gegenzug kämpfen viele Assad-Leute für den IS. Das Problem ist, dass die USA nicht so recht eingreifen wollen – warum auch immer.

Ihre Eltern und Ihre Geschwister leben noch in Syrien. Haben Sie Angst um sie? Immerhin sind Sie ja ein Assad-kritischer Journalist.

Alissa: Meine Eltern leben in Al-Hasaka, in der Nähe zur türkischen und irakischen Grenze. Dort ist es noch relativ ruhig, obwohl vor ein paar Monaten der südliche Teil der Stadt für einige Zeit in die Hände des IS gefallen ist. Aber klar: Ich habe schon ein bisschen Angst.

Zurück nach Syrien können Sie als Assad-Kritiker nicht. Mussten Sie auch in Deutschland Asyl beantragen?

Alissa: Ja. Ich bin am 27. September 2003 als Student nach Deutschland gekommen. Ich bin nach Tübingen, um dort – auf Wunsch meiner Eltern – Medizin zu studieren. Ende 2011 wollte ich dann aber das Studienfach wechseln, weil ich mich einfach mehr für Politik und Medien interessiert habe. Die Ausländerbehörde lehnte aber ab und teilte mir nach der Revolution in Syrien mit, dass ich Deutschland verlassen muss. Mir blieb dann nur die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Denn ich habe Demos gegen das Assad-Regime organisiert und regelmäßig Artikel über die Menschenrechtssituation in Syrien geschrieben. Wäre ich zurückgekehrt, wäre ich verhaftet worden oder hätte meine Familie in Gefahr gebracht. Nach zehn Monaten kam mein positiver Bescheid. Ich bin dann nach Berlin und habe angefangen, als Journalist zu arbeiten.

Das ging ja offenbar alles ziemlich reibungslos…

Alissa: Ja, zum Glück. Die ersten vier Monate nach meinem positiven Asyl-Bescheid bekam ich noch Unterstützung vom Staat. Seitdem arbeite ich als Korrespondent in Berlin. Mit den Flüchtlingen von heute kann und will ich mich aber nicht vergleichen. Ich war ja schon in Deutschland und konnte Asyl beantragen, musste also nicht auf einer Flucht um mein Leben fürchten. Jetzt möchte ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Zurück nach Syrien können Sie nicht. Wie sieht der Kontakt zu Ihrer Familie aus?

Alissa: Ich habe meine Eltern 2006 zum letzten Mal gesehen. Ich möchte bald in die Türkei oder in den Irak reisen, wohin auch meine Eltern kommen könnten. Meine Schwester lebt mit ihrer Familie in Al-Hasaka. Sorgen macht mir eher mein Bruder, der nach Deutschland kommen möchte.

Sie sind anerkannter Flüchtling. Können Sie ihn nicht im Rahmen der Familienzusammenführung herholen?

Alissa: Das gilt nicht für Geschwister. Nachzug gibt es nur für Ehepartner und Kinder unter 18. Wenn ich meinen Bruder nach Deutschland holen wollte, müsste ich für ihn einen Paten finden, der ein bestimmtes Mindest-Netto-Monatsgehalt nachweisen kann. Ein Visum für ein Studium zu bekommen, ist wohl auch eher schwierig. Er ist ja schon 25. Als einzige Möglichkeit bleibt da nur die Flucht. Und das bedeutet eine Reise auf Leben oder Tod.

Würden Sie ihm raten zu fliehen?

Alissa: Nein. Ich würde ihm raten, in die Türkei zu gehen und dort Arbeit zu suchen. Oder in den Irak. Er ist erwachsen, er muss das entscheiden. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft Interview

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  1. Monika Fares sagt:

    Syrer verlassen ihr Land nicht einfach so!

    Ein sehr interessanter Artikel!
    Allerdings hätte ich folgende Fragen :
    1.) Was muss man als „Pate“ (erfoderliches Einkommen vorhanden)
    veranlassen, einen Syrer/Syrerin nach
    Deutschland zu holen ?
    2.) Können auch Verwandte (mit Deutschem Pass) Pate sein?
    3.) Wie bekommt ein Syrer ohne syrischen Reisepass/Personalausweis
    ( z.B. Syrer ist aus der syr. Armee dessertiert und in die Türkei
    geflüchtet) ein Visum für Deutschland ?
    Für die Beantwortung dieser Fargen wäre ich sehr dankbar!
    Ich selbst bin ehrenamtlich in einer zivilen Flüchtlingshilfegruppe tätig!
    Freundliche Grüße
    M.F.