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Symbolfoto © e.roeske auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

6-Monat-Bilanz

Mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte als im Vorjahr

Allein in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres wurden schon mehr Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registiert als im gesamten vergangenen Jahr. Derweil wird Bayerns Vorstoß, Flüchtlinge in Sonderlager zu sortieren, kontrovers diskutiert.

Freitag, 24.07.2015, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.07.2015, 17:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte haben deutlich zugenommen. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres wurden 202 Delikte gezählt. Das seien in etwa so viele wie im gesamten vergangenen Jahr, teilte das Bundesinnenministerium am Donnerstag in Berlin mit. Unterdessen sorgten die bayerischen Pläne zu einer nach Herkunftsländern sortierten Erstaufnahme von Asylsuchenden weiter für Diskussionen.

Laut Bundesinnenministerium wurden von den 202 Übergriffen in der ersten Jahreshälfte 173 Rechtsextremisten zugeordnet. 22 dieser 173 Angriffe waren Gewaltdelikte wie Körperverletzungen und Brandstiftungen.

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Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte vor Veröffentlichung der aktuellen Zahlen den Vorwurf zurückgewiesen, die Flüchtlingspolitik des Freistaats schüre Ressentiments und bereite den Boden für ein Erstarken des Rechtsextremismus. „Das beste Mittel gegen Rechtsextremismus ist, dass der Staat konsequent handelt“, sagte Herrmann im Morgenmagazin des ZDF. Dazu gehöre es auch, einen Missbrauch des Asylrechts zu bekämpfen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) indes lehnte eine zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge vom Balkan entsprechend der bayerischen Pläne ab.

Die bayerische Staatsregierung will Flüchtlinge künftig bereits bei ihrer Ankunft in zwei Gruppen unterteilen: in jene mit Schutzbedürftigkeit und jene ohne Bleibeperspektive. Nach einem Beschluss des Kabinetts sollen für letztere Gruppe zwei neue Erstaufnahmeeinrichtungen in Grenznähe entstehen. Dorthin sollen Menschen vor allem aus den Balkan-Ländern gebracht werden, deren Asylanträge offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben Die Asylverfahren sollen dort in der Regel nach zwei Wochen bereits entschieden sein.

Innenminister Herrmann sagte im ZDF, wer Hilfe brauche, solle diese rasch bekommen. Andere sollten „recht schnell“ wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden. Er verurteilte zugleich Aufrufe zur Gewalt gegen Flüchtlinge als „absolut skandalös“.

Auf die Aussichtslosigkeit der Anträge von Menschen aus Balkan-Ländern wies auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, hin. Er brachte im Interview mit bild.de ins Gespräch, das sogenannte Taschengeld für Asylsuchende zu kürzen oder zu streichen. „Manche Antragsteller vom West-Balkan geben in Anhörungen ganz offen zu, dass sie nur fünf Monate in Deutschland bleiben und die staatliche Hilfe von monatlich 143 Euro erhalten wollen“, sagte Schmidt.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger sagte der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post: „Wir wollen die Menschen aus den Krisengebieten, die alles verloren haben und dringend unsere Hilfe brauchen, nicht verschrecken. Den Weg Bayerns beschreiten wir deshalb in NRW nicht.“ In den Landeseinrichtungen würden die Ankommenden in ihrer Landesprache über ihre Bleibe-Perspektive informiert. „Den Menschen vom Balkan sagen wir klar und deutlich, dass sie keine realistische Chance auf ein Bleiberecht haben“, sagte Jäger.

Als „durchaus eine Idee“ wertete die Migrationsbeauftragte des Bundes, Aydan Özoğuz (SPD), den bayerischen Vorschlag einer nach Herkunftsländern sortierten Erstaufnahme. Die Regelung der Erstaufnahme sei jedoch nicht Sache Bayerns, sondern des Bundes, betonte die Staatsministerin am Morgen im RBB-Inforadio. In einer später verbreiten Erklärung indes warf sie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) eine „beschämende Abschreckungsrhetorik“. Seehofer erwecke den Eindruck, „dass er ‚Abschiebelager an den Grenzen‘ aufmachen will“.

Für Linke-Politikerin Ulla Jelpke ist die Einrichtung von Speziallagern für Flüchtlinge aus dem Westbalkan ein „gravierender Verstoß gegen den universellen Schutzgedanken des Asylrechts“. Wenn Flüchtlinge aufgrund ihrer Herkunft bereits vor der Bearbeitung ihrer Asylbegehren in die Kategorien ’schutzwürdig‘ und ‚ohne Bleibeperspektive‘ aufgeteilt und letztere auch noch in gesonderte Abschiebelager verfrachtet würden, könne man kaum noch von einer unvorbelasteten Einzelfallprüfung sprechen. Die ist aber im Asylrecht ausdrücklich vorgeschrieben. „Eine solche Politik ist Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten“, so Jelpke.

SPD-Politikerin Özoğuz erläuterte, es müsse möglich sein, Asylanträge aus den Balkan-Staaten zu entscheiden, solange die Menschen noch in der Erstaufnahmeeinrichtung sind. Leider gebe es nicht in allen Bundesländern genug dieser Erstaufnahmen, so dass die Länder – anders als das Gesetz es vorsieht – auch Asylbewerber mit voraussichtlich aussichtslosen Anträgen nach wenigen Tagen oder Wochen auf die Kommunen verteilen würden.

Städtetagspräsidentin Eva Lohse (CDU) sagte der Tageszeitung Die Welt: „Wie ein Land seine Erstaufnahmen organisiert, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass die Asylbewerber die ersten drei Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben.“ (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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  1. aloo masala sagt:

    Die originale Meldung der Nachrichtenagentur Reuters enthält ein interessantes Detail, das auch von den meisten Medien ignoriert wurde:

    „Zu Übergriffen werden Brandanschläge ebenso gerechnet wie Proteste vor Asylbewerberheimen.“ (http://de.reuters.com/article/topNews/idDEKCN0PX1P720150723)

    Proteste, auch wenn wir sie verachten, sind immer noch gedeckt durch die Meinungsfreiheit.

  2. Matthias sagt:

    Tatsächlich ist die Erstaufnahme Aufgäbe des Bundes. Aber die Außenstellen des Bamf und die Bezirksregierungen (die Aufgaben für den Bund wahrnehmen) sind nunmal in den Bundesländern. Und wenn sich Bayern für eine eigene Art der Flüchtlingsunterbringung stark macht, das Bamf dem nicht entgegentritt, dann sind solche CSU-Lösungen denkbar.

    Immerhin zahlen die Kommunen ja auch einen Großteil der (in NRW zuletzt bis zu 80 % der Kosten) Flüchtlingsunterbringung, da hat man vor Ort auch gewisse Mitspracherechte über das Wie.

    Eine Sortierung der Flüchtigen ist m.E. Auch sinnvoll. Aus der Erstaufnahmeeinrichtung ins Kosovo oder Serbien abzuschieben ist praktikabler als dies aus den Kommunen heraus zu steuern.

    Die Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge aus Syrien, dem Nordirak oder Eritrea wird im Übrigen deutlich höher sein, als die für Flüchtige aus dem Balkan.

    Der Verwaltungsaufwand für einen syrischen Flüchtling beträgt auch nur einen kleineren Prozentsatz als der Aufwand für einen Kosovaren, die Sortierung ist nach meiner unwissenschaftlichen Meinung außerordentlich sinnvoll.

    Frau Jelpke findet alles skandalös, was nicht aus ihrer Feder stammt. Da kann man auch Onkel Horst aus Thüringen zitieren, der wird ähnlich stellvertretend sein wie das Ullala.

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