Bremer Modell
Medizinische Versorgnung von Flüchtlingen auf den Prüfstand stellen
Mit dem "Bremer Modell" können Flüchtlinge medizinisch besser versorgt und gleichzeitig Kosten gespart werden. Mittlerweile überlegen auch andere Bundesländer, ob sie dieses Modell einführen sollen. Das wäre ein Gewinn für alle.
Von Dieter Sell Mittwoch, 03.06.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.06.2015, 12:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Eine fiebrige Erkältung, eine Magen-Darm-Grippe, rasende Kopfschmerzen: Wenn Flüchtlinge in Deutschland akut krank werden, dürfen sie in aller Regel nicht einfach zum Arzt gehen. Jede Behandlung muss zunächst bei den zuständigen Sozialbehörden beantragt und genehmigt werden. Anders ist das nur in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Dort reicht mit Einschränkungen eine Plastikkarte, die in der Arztpraxis vorgezeigt wird. Mittlerweile überlegen auch andere Bundesländer, ob sie dieses „Bremer Modell“ einführen sollen.
Britta Ratsch-Menke denkt mit Unbehagen an die Zeit vor dieser Gesundheitskarte für Flüchtlinge zurück. „Die Bürozeit des Sachbearbeiters im Sozialamt entschied manchmal, ob jemand zum Arzt gehen konnte oder nicht“, erinnert sich die Geschäftsführerin des ökumenischen Vereins für Ausländerarbeit „Zuflucht“. Es habe viele Probleme mit einer zügigen Behandlung gegeben – „und es konnte durchaus zu gefährlichen Notfällen kommen. Und beim Arzt war dann auch sofort klar: Dieser Mensch ist anders zu behandeln.“
So sieht es noch immer in den allermeisten Bundesländern aus, auch nach einer Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes, die kürzlich in Kraft getreten ist. In Bremen hingegen hat sich die Situation zehn Jahre nach Einführung der Gesundheitskarte entspannt. „Die allermeisten Behandlungen gehen unproblematisch über die Bühne“, berichtet Ratsch-Menke.
Nach Absprache mit der Gesundheitsbehörde bekommen Flüchtlinge im kleinsten Bundesland von der AOK Bremen/Bremerhaven eine Karte, mit der sie zum Arzt ihrer Wahl gehen. Der bürokratische Aufwand ist klein, die Behandlung kann schneller starten. Die Karte gilt zunächst einmal für die ersten 15 Monate nach Ankunft der Flüchtlinge in Bremen.
„Ein pragmatisches Modell, das ohne Mehrkosten gut funktioniert“, bilanziert AOK-Vorstandsvorsitzender Olaf Woggan. Mittlerweile gibt die Bremer Kasse auch für Hamburg Gesundheitskarten für Flüchtlinge aus. Dort sind es nach Angaben von AOK-Sprecher Jörn Honst knapp 10.000, in Bremen etwa 3.500. „Für die Flüchtlinge ist die Karte ein Stück Freiheit“, lobt Ratsch-Renke das Modellprojekt.
Die Behandlungskosten übernimmt der Staat, die Krankenkasse bekommt eine Verwaltungspauschale von etwa zehn Euro pro Flüchtling, mit der sie ihre Kosten deckt. Andere Bundesländer erwägen, ob sie das „Bremer Modell“ übernehmen sollten, um Kosten für Personal und Verwaltung zu sparen. Im Gespräch ist eine bundeseinheitliche Rahmenrichtlinie, die das vereinfachen könnte. Die Gesundheitskarte für Asylsuchende sei schließlich eine „gesamtstaatliche Aufgabe“, sagt eine Sprecherin des brandenburgischen Gesundheitsministeriums.
„Es wäre tatsächlich hilfreich, wenn es Vorgaben für einen Vertrag mit den Krankenkassen gäbe“, betont Holger Diekmann vom diakonischen Flüchtlings-Projekt „Willkommen“ in Bremen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist eingesetzt, die Verhandlungen laufen. Doch der Weg ist mühsam und vor allem langwierig. „Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion.
Um die Gesundheitskarten ausgeben zu können, nutzt die Bremer AOK eine Bestimmung aus Paragraf 264 des Fünften Sozialgesetzbuches. Danach kann sie die Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung übernehmen. „Wer das will, kann das sofort anpacken und umsetzen“, sagt Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). AOK-Mann Woggan nimmt kein Blatt vor den Mund: „Dass dieses Modell nicht schon längst flächendeckend eingeführt ist, ist ein politisches Versäumnis, für das es keine Entschuldigung gibt.“
Dem schließt sich der Bochumer Rechtswissenschaftler Markus Kaltenborn an, der in der abweichenden Behandlung von Flüchtlingen einen Verstoß gegen die Menschenrechte sieht. „Erkrankungsrisiken und medizinischer Behandlungsbedarf hängen nicht vom aufenthaltsrechtlichen Status der betroffenen Personen ab“, bringt es Kaltenborn auf den Punkt. Auch Diakonie-Experte Diekmann spricht Klartext: „Den Anspruch, Asylsuchende zu diskriminieren, lässt sich die Bundesregierung was kosten“, sagt er mit Blick auf die teure Bürokratie bei der herkömmlichen Versorgung per Antrag.
Doch auch mit der Gesundheitskarte ist nach Einschätzung von Flüchtlingshilfsorganisationen längst nicht alles gut. „Das ursprüngliche Ziel, Flüchtlinge nicht zu diskriminieren, ist noch nicht erreicht“, sagt Diekmann. Denn mit dem „Bremer Modell“ werde nur umgesetzt, was das Asylbewerberleistungsgesetz vorgebe. Ein Blick in die „fachliche Weisung“ dazu zeigt: Leistungen wie etwa Zahnersatz, längere psychotherapeutische Behandlungen und Hilfen bei chronischen Krankheiten werden nicht bezahlt, wenn sie nicht mit akuten Schmerzen verbunden sind.
Während in anderen Bundesländern noch geprüft wird, ob die Gesundheitskarte eingeführt werden sollte, plädiert Bremen deshalb dafür, Flüchtlinge komplett gleichzustellen. „Optimal wäre es, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wird und Flüchtlinge wie regulär Versicherte in der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen werden“, fordert Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin. Das sei auch deshalb gut, weil Gesundheit Integration bedeute, betont die Bremer Gesundheitspolitikerin Zahra Mohammadzadeh (Grüne): „Wer gesund ist, kann seinen Alltag besser bewältigen.“ (epd/mig) Aktuell Politik
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