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Enthüllung der Fereshta Ludin: Die mit dem Kopftuch © Levante Verlag

Rezension zum Wochenende

Enthüllung der Fereshta Ludin: Die mit dem Kopftuch

Kürzlich legte Fereshta Ludin ihre Autobiographie "Enthüllung der Fereshta Ludin" vor – pünktlich zur von tuchtragenden Lehrerinnen lange ersehnten Revision des "Kopftuchurteils" des Bundesverfassungsgerichts. Dem aktuellen Urteil zufolge kann einer muslimischen Lehrerin das Tragen eines Kopftuchs nun nicht mehr im Voraus und unbegründet verwehrt werden. Frau Ludin wird die Erreichung ihres Lebenswerks vermutlich trotzdem nicht feiern – zu hoch war der Preis, den sie dafür zahlen musste.

Von Freitag, 08.05.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.05.2015, 13:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

376 Seiten stark ist die Biographie. Nichtsdestotrotz lässt sie beim Leser auch nicht eine einzige Minute Langeweile aufkommen. Fereshta Ludin erzählt aus ihrem bewegten Leben – von ihrer kurzen, glücklichen Kindheit in einem freien und friedlichen Afghanistan und ihrer anschließenden Odyssee durch Länder und Kulturen: Von ihren deutschen und amerikanischen Schwägerinnen, ihrem sorglosen, luxuriösen Leben in Deutschland als Kind eines Botschafters, ihrem Leben in Saudi-Arabien, wo sie nach dem Tod ihres Vaters beginnt, sich mit dem Islam (und seinen unterschiedlichen Interpretationsformen) auseinanderzusetzen und ihrer anschließenden Rückkehr nach Deutschland:

Diesmal jedoch nicht als Botschafterkind, sondern als diskriminierte Asylbewerberin, die (als notorische Einserschülerin und Tochter eines Princeton-Absolventen!) in einer Hauptschule landet. Ihr neues Leben in Deutschland hat es in sich: Hin und wieder begegnen ihr zwar auch hilfsbereite, aufgeschlossene Leute. Menschen, die sich für sie einsetzen – etwa ein atheistischer Lehrer, der ihr in seiner Freizeit Deutschnachhilfe gibt oder der herzensgute Leiter der Schule, an der sie, nach erfolgreicher Absolvierung von Abitur und Studium, ihr Referendariat absolviert. Die oft kleinen, aber allgegenwärtigen verächtlichen Blicke und Sätze, das Mobbing gegen die überzeugte Kopftuchträgerin, die doch einfach nur in Deutschland bescheiden und in Ruhe einen toleranten und friedlichen Islam leben möchte, durchziehen ihr Leben jedoch wie ein roter Faden. Gerade die Tatsache, dass sie den gängigen Klischees nicht entspricht – also weder in die Schublade der „einfachen, anatolischen Kopftuchfrau“ noch (definitiv!) die der religiösen Fanatikerin passt, provoziert ihr Umfeld. Sie beharrt standhaft auf ihrem Kopftuch. Warum nur? Aus übertriebenen Glaubenseifer?

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In Afghanistan und Saudi-Arabien hatte sie gelebt – ausgerechnet! Ist es denn möglich, dass sie trotzdem weder mit den Taliban noch mit Al-Qaida sympathisiert? – Es ist! Worum es ihr dann gehe, fragt sich der vorbelastete Leser. Frau Ludin gibt die Antwort – es ist nun an uns, ihr zu glauben oder das Buch von A bis Z als „Taqiya“ – die vermeintlich islamisch gebotene „Verstellung in Feindesland“ – abzutun. Es geht ihr um Gerechtigkeit. Es geht ihr um Authentizität und Selbstverwirklichung. Freilich nicht im materialistischen Sinne. Nicht so sehr die Karriere oder auch nur die Verwirklichung ihrer persönlichen Berufung – die Arbeit als Pädagogin – stehen für Frau Ludin im Vordergrund, sondern um das Recht, als der Mensch leben zu dürfen, der man ist.

Sie ist mit einer kopftuchlosen Mutter aufgewachsen, und ihr Bruder vertritt bis heute die Ansicht, das Tragen eines Tuches sei keine Pflicht für muslimische Frauen. Sie aber entschied sich, freiwillig, sehr früh dafür und trägt es seither. Es sei ein Teil ihrer Bekleidung, ein Stück ihrer Identität. Kein Symbol – lediglich ein Teil ihrer Person. „Wie kann ich Schüler lehren, authentische, aufrichtige Menschen zu sein, wenn ich selbst mich verbiege?“ Das ist die rhetorische Frage, die Fereshta Ludin immer wieder stellt. Es geht nicht.

Sie, die überzeugte Demokratin, Befürworterin eines säkularen Staates, entscheidet sich also für den Rechtsweg. Sie kämpft sich durch alle Instanzen. Ihre Ehe zerbricht darüber, sie beißt sich jahrelang durch, als berufstätige, alleinerziehende Mutter. Bis zum Burnout. Überaus lesbar geschrieben, spannend – aber schwere Kost ist dieses Buch! Teilweise mag man es kaum glauben: Frau Ludin wird auf Schritt und Tritt belagert, verfolgt, mit Vergewaltigung bedroht, in ihrer Schule werden anonym hetzerische Flyer verteilt. Von der Presse wird sie gezielt zerrissen. Man erschleicht sich unter falschem Namen Interviews, droht ihr bei Verweigerung, „irgendetwas“ zu schreiben, was ihr „gar nicht schmecken“ werde – und tut das auch fleißig!

Während der Verhandlung im Bundesverfassungsgerichts sitzen im Publikum Burkaträgerinnen. Ihre Fankurve? Mitnichten. Frau Ludin kennt die Damen nicht. Sie hat jedoch den dringenden Verdacht, dass es sich um die unfairsten ihrer Gegnerinnen handeln muss, mit denen sie schon zuvor wenig schöne Erfahrungen machen musste: Feministinnen! Wohl wissend, dass alle namhaften Medien vertreten sein würden, versuchten sie offensichtlich, nach dem Motto „Wehret den Anfängen!“ in dieser Verkleidung Stimmung gegen „radikale Islamisten“ zu machen. Nötig war das nicht mehr gewesen. Ihr Ziel haben feministische „Frauenbefreierinnen“ jedenfalls mehr als erreicht. Das Bundesverfassungsgericht verbat Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs im Jahre 2002 – wenn auch nur indirekt.

Das Leben ist nicht nur für die tuchtragenden Lehrerinnen unter den Muslimen seither nicht leichter geworden. Fereshta Ludin ist eine bescheidene, zurückhaltende Frau, die einen freundlichen, gemäßigten Islam vertritt und zur fanatischen Kämpferin hochstilisiert wurde. Nach der Lektüre ihre überaus sympathischen Autobiographie wünscht man ihr nur eins – dass man sie endlich in Ruhe lassen möge. Aktuell Rezension

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