Inva Kuhn, Antimuslimischer Rassismus, Kreuzzug, Abendland, PapyRossa Verlag
Inva Kuhns "Antimuslimischer Rassismus. Auf Kreuzzug für das Abendland" © PapyRossa Verlag

Rezension zum Wochenende

Antimuslimischer Rassismus als Legitimation für Kriege

Das Themenfeld des antimuslimischen Rassismus in der Bundesrepublik ist aktueller denn je. In ihrem Buch benennt Inva Kuhn Akteure, Handlungsfelder und Strategien und verknüpft mögliche Gegenstrategien mit anderen relevanten Politikfeldern. Von Michael Lausberg

Von Michael Lausberg Freitag, 10.04.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.04.2015, 18:37 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Der antimuslimische Rassismus ist in Bundesrepublik in allen Gesellschaftsschichten vertreten. Diese Spielart des Rassismus wird nicht mehr in biologistischer Weise vorgetragen, sondern verschiebt sich auf die kulturelle Ebene. 57,5% der Befragten behaupteten eine Rückständigkeit des Islam, 56,3% halten ihn für eine „archaische Religion“. 1

Kurz nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris fühlen sich mehr Menschen „vom Islam bedroht“. Bei einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung macht „der Islam“ 57% der deutschen Bevölkerung Angst. Paradoxerweise ist in Sachsen und Thüringen, wo die wenigsten Muslime in Deutschland leben, das subjektive Bedrohungsgefühl mit 70% am höchsten. In Nordrhein-Westfalen, wo viele deutsche Muslime leben, empfinden 46% so. 2

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Schon im September berichtete Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, resignierend: „Ob in der Schule oder im Arbeitsalltag, ständig müssen Muslime sich für die Taten von Terroristen rechtfertigen.“ 3

Die PEGIDA-Aufmärsche im Winter 2014/2015 mit zum Teil bis zu 25.000 Menschen in Dresden waren der stärkste Ausdruck eines antimuslimischen Rassismus, wo der „Untergang des Abendlandes“, der „Verlust westlicher Werte“ und die „drohende Islamisierung“ der Gesellschaft“ beschworen wurden (8f). Dass dort rechte Hooligans des lokalen Fußballvereins Dynamo Dresden wie die Gruppen „Hooligans Elbflorenz“ oder „Faust des Ostens“ mitmarschierten und die Aufmärsche von Personen aus neonazistischen Organisationen mitgestaltet wurden, schien niemanden zu stören.

Die Verantwortlichen für den antimuslimischen Rassismus sind nicht nur am „rechtsextremen“ Rand zu verorten, sondern vor allem in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft. Medien, Kirchenvertreter sowie prominente Meinungsführer wie Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowsky, Henryk M. Broder, Udo Ulfkotte, Akif Pirincci und Necla Kelek sind laut Kuhn für die ideologischen Grundlagen für Organisationen wie PEGIDA oder HOGESA mitverantwortlich (96).

Veronika Bellmann, sächsische Bundestagsabgeordnete der CDU, bemerkte im Januar 2015, dass eine „fortschreitende Islamisierung“ Deutschlands schon „infolge der demografischen Situation, der Geburtenfreudigkeit auf der einen und den Geburtsdefiziten auf der anderen Seite gegeben, unabhängig von Ideologisierung oder Missionierung durch Imame, Hassprediger oder andere“ gegeben sei. Weiterhin behauptete sie, dass „der Islam“ die „Weltherrschaft“ anstrebe. Michael Stürzenberger, ehemaliger CSU-Pressesprecher, bezeichnete „den Islam“ als „Krebsgeschwür“. 4

Vor allem in den Debatten um Moscheeneubauten wie in Köln, Duisburg oder Berlin gab es zahlreiche antimuslimische Stellungnahmen, die unter dem Label „Islamkritik“ gesellschaftsfähig wurden. 5 Dieser Rassismus richtet sich gegen jene Personen, die aus einer (christlichen) dominanten gesellschaftlichen Position heraus „als solche wahrgenommen und markiert“ werden. Somit sind auch vom antimuslimischen Rassismus Menschen betroffen, die sich gar nicht als solche verstehen (23). Eine Differenz auf kultureller Ebene und eine „Affinität zum Terrorismus“ durchdringen fast alle Debatten zu dem Thema Islam.

Im Falle des antimuslimischen Rassismus sind Kategorien wie Kultur oder Religion synonym für „Rasse“ zu verstehen. Seit den 1980er Jahren gab es gegen Menschen muslimischen Glaubens ein Dutzend Bombendrohungen und über hundert Anschläge gegen Moscheen mit Brandsätzen und Schusswaffen. Kuhn bemerkt dazu: „Doch der erste Schritt zur Menschenhatz ist immer der pauschalisierte Generalverdacht, die rassistische Zuschreibung negativer Eigenschaften auf ganze Personengruppen. Es sind diese politischen Risikogruppen, die Deutschland wirklich lebensgefährlich machen: die ministeriellen Scharfmacher, uniformierten Blockwarttypen und ressentimentgeladenen Populisten, die in jedem Jugendlichen mit nahöstlicher Herkunft den potentiellen ‚Schläfer‘ sehen.“ (8f). Die Reduzierung auf ihren Glauben und die damit verbundene monothematische Einengung der Persönlichkeit in der Dominanzgesellschaft sind für viele Menschen muslimischen Glaubens ein Problem (10).

Die Exklusionsmechanismen des antimuslimischen Rassismus schaffen eine Abgrenzung nach außen und eine Identitätsstiftung im Innern. Das „fortschrittliche und aufgeklärte Abendland“ auf der einen Seite, das von sich selbst verkörpert wird, und das „rückständige, primitive Morgenland“ auf der anderen Seite werden quasi als naturgegebener Dualismus betrachtet. Kuhn bezieht sich auf Edward Saids Erörterung des „Orientalism“, dem ein „komplexer Prozess des Fremd- uns Different-Machens, (…) eine dualistische Logik zugrunde liegt: ‚die anderen‘ und ‚das abendländische zivilisierte Selbst‘.“ (30). Spätestens seit der westlichen Aufklärung sieht der „Okzident“ den „Orient“ bzw. „den Islam“ als unterlegen und unterentwickelt an, der der „Zivilisierung“ durch den Westen bedürfe.

Die Ursprünge dieser rassistischen Zuschreibungen muslimischer Menschen finden sich bereits im Umfeld der Kreuzzüge im 11. Jahrhundert. Im Laufe der Jahrhunderte besaßen diese Konstruktionen des antimuslimischen Rassismus immer ihre konjunkturellen Dynamiken. Der heutigen Zeit angepasst wurde nun das alte Feindbild „Islam“ reaktiviert und mit neuen „Thesen“ gefüllt (36). Das traditionelle Islambild bekam durch die Golfkriege und dem Anschlag am 11. September die neue Komponente des „kriegerischen Islam“ (35).

  1. Decker, O./Kiess, J./Brähler, E. u.a.: Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012, Bonn 2012
  2. Aachener Nachrichten vom 9.1.2014
  3. Süddeutsche Zeitung vom 5.9.2014
  4. Süddeutsche Zeitung vom 28.5.2011
  5. Vgl. dazu Benz, W: Antisemitismus und „Islamkritik“. Bilanz und Perspektive, Berlin 2011
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  1. Cil sagt:

    Das sind doch alles alte Hüte, die dort beschrieben werden. Die Rezension macht keine Lust, das Buch zu lesen.

  2. Eine sehr gute, (vielleicht auch ergänzende, mehr „Lust“ machende?) Rezension des Buches nimmt im Übrigen der Publizist und Verleger Koray Yılmaz-Günay beim Rezensionsportal kritisch-lesen.de vor: http://kritisch-lesen.de/rezension/pegida-fiel-nicht-vom-himmel

    Lesen lohnt sich!

  3. Volker sagt:

    Die Rezension macht keine Lust darauf, seine Zeit mit immer den gleichen Parolen zu verschwenden. Wir kennen doch alle schon die Propaganda, die eine kritische Haltung zum Islam direkt mit den Büchern von Sarrazin, den durchaus intelligent und unterhaltsam geschriebenen Kolumnen von Broder und/oder wirren Aussagen von Michael Stürzenberger in Verbindung bringt. Ich würde mich freuen, wenn da mal endlich ein Autor auftauchen würde, der die Aspekte in den Fokus nehmen würde, die hauptsächlich zu einer kritischen Haltung zum Islam führen können (oder gar bei gesundem Menschenverstand führen müssen).
    Eine Überzeugung gegenüber einer Religion oder Weltanschauung mit Rassismus gleichzusetzen macht mir sogar Angst. Die Rezension läßt genau das von diesem Buch erwarten.

  4. fabian goldfein sagt:

    Danke! Hätte ich die Rezension nicht gelesen, hätte ich von der Existenz dieses Buches nichts mitbekommen. Ich werde mir das Buch besorgen.