Politische Inszenierung

Wie Flüchtlingszahlen zu einem Problem aufgebauscht werden

Im März verkündete das statistische Bundesamt einen neuen Einwanderungsrekord nach Deutschland. Prompt klagte die niedersächsische Landes-CDU über angeblich zu geringe Abschiebungen. Kai Weber über die Inszenierung und Dramatisierung von Problemen.

Von Kai Weber Freitag, 27.03.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.03.2015, 17:59 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Bemerkenswert an den vom statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen ist nicht nur ihre Höhe: Der Wanderungssaldo, also die Differenz aus Einwanderung und Abwanderung, betrug 2014 mehr als 600.000. Auch die Zusammensetzung der Einwanderung ist interessant: 60% aller Eingewanderten kommt aus der EU. Weit über 200.000 Einwanderer kamen z.B. aus Polen, ohne dass dies im öffentlichen Drama irgendeine Rolle gespielt hätte. Die weiteren Hauptherkunftsländer sind Rumänien, Bulgarien, Italien und Ungarn.

Erst auf den hinteren Plätzen folgen Herkunftsländer von Flüchtlingen, an der Spitze Syrien mit knapp 40.000. Migration ist, das machen diese Zahlen deutlich, zuallererst eine Migration auf dem Weltmarkt für Arbeit, erst sekundär auch Fluchtmigration, die weniger als 20% der Gesamtmigration nach Deutschland ausmacht.

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Vor den Hintergrund dieser Zahlen (und ihrer zumeist positiven Bewertung) ist es immer wieder irritierend, warum vergleichsweise geringe Flüchtlingszahlen zu einem riesigen öffentlichen Problem aufgebauscht werden. Kein Zweifel, die Unterbringung von Asylsuchenden ist für viele Kommunen eine Herausforderung.

Aber ist es wirklich bedeutsam, dass 3.000 ausreisepflichtige Flüchtlinge noch nicht aus Niedersachsen abgeschoben wurden? Oder dass knapp 600 Flüchtlinge auf eine Entscheidung im Härtefallverfahren warten? Steuern wir deshalb, wie Oppositionsführer Björn Thümler (CDU) meint, „auf einen Punkt zu, dass es irgendwann kracht“? Ist es gar gerechtfertigt, vor einer „Situation wie in den Neunzigerjahren“ zu warnen, „als es zu Attacken auf Wohnheime kam“?

Das öffentliche Lamentieren über angebliche Vollzugsdefizite und die Forderung nach „Zurückführung abgelehnter Asylbewerber“ schüren genau den Rassismus, den Herr Thümler zu bekämpfen vorgibt.

Das Land Niedersachsen hat die unter einem CDU-Innenminister Uwe Schünemann jahrelang geübte Praxis überfallartiger Abschiebungen im Morgengrauen beendet und zu einem menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen zurückgefunden. Das hat zu einem deutlichen positiven Klimawechsel in Niedersachsen beigetragen. Wir sollten auf diesem Weg weiter gehen und den Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik konsequent umsetzen. Nach wie vor werden auch in Niedersachsen die Spielräume für eine menschenfreundliche Umsetzung der Gesetze nicht ausgeschöpft und Abschiebungen durchgeführt, die vermeidbar wären.

Die Einwanderung von Menschen nach Deutschland liegt, wie die Politik nicht müde wird zu betonen, im öffentlichen Interesse, sie steigert die privaten Gewinne und sorgt für steuerliche Mehreinnahmen. Die Politik muss endlich aufhören, die mit Einwanderung durchaus auch verbundenen Probleme im öffentlichen Drama als Problem der Flüchtlingsaufnahme zu inszenieren. Das ist sachlich falsch und produziert unnötig Ängste. Aktuell Meinung

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