Islamfeindlichkeit?
Die Bundesregierung hat keinen blassen Schimmer
Die Bundesregierung kann nicht sagen, wie viele islamfeindlich motivierte Straftaten es im Jahr 2014 gab. Sie kann auch nicht sagen, wie viele Tatverdächtige oder Opfer es gab. Kurz: sie hat keine Ahnung. Von Birol Kocaman
Von Birol Kocaman Montag, 23.03.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.03.2015, 17:02 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Bundesregierung hat keinen blassen Schimmer. So lässt sich eine aktuelle Antwort des Bundesinnenministeriums (Drs. 18/4269) wohl zusammenfassen. Die Linke im Bundestag wollten wissen, welche Erkenntnisse der Regierung über Islamfeindlichkeit und antimuslimische Straftaten für das Jahr 2014 vorliegen. Bis auf eine offensichtlich unvollständige Auflistung mit 45 registrierten Übergriffen auf Moscheen – meist rechtsmotiviert – kann das Ministerium so gut wie keine Auskunft erteilten.
Sie kann weder sagen, wie viele islamfeindlich motivierte Straftaten verübt wurden noch kann sie sagen, wie viele Personen verletzt oder getötet wurden; sie weiß auch nicht, welcher materielle Schaden entstanden ist oder wie viele Personen festgenommen bzw. verurteilt wurden, wie viele Ermittlungsverfahren eingeleitet und wieder eingestellt wurden. Ja, das Ministerium kann nicht einmal sagen, ob es gezielte Polizeioperationen wegen islamfeindlicher Straftaten gegeben hat.
Der Grund für dieses Unwissen ist einfach: Islam- bzw. muslimfeindliche Straf- und Gewalttaten werden im Kriminalpolizeilichen Meldedienst nicht gesondert erfasst. Dort wo eine muslimfeindliche Straftat registriert wird, wird sie dem Oberbegriff „Hasskriminalität“ zugeordnet und laut Ministerium „gegebenenfalls auch noch bei den Unterthemen fremdenfeindlich“gezählt.
Das ist problematisch aus zwei Gründen: (1.) Ohne zuverlässige Zahlen entzieht sich das Problem jeglicher Beobachtung und Forschung. Ob mögliche Maßnahmen greifen, Übergriffe auf Muslime steigen oder zurückgehen aufgrund irgendwelcher Ereignisse, Gesetzesänderungen oder sonstiger Initiativen oder Projekte bleibt immer im Dunkeln. Hat sich „Pegida“ auf die Zahl islamfeindlicher Straftaten ausgewirkt? Wird sich die Strafgesetzänderung von vergangener Woche als Reaktion auf die NSU-Morde bei islamfeindlich motivierten Delikten bemerkbar machen? Wir werden es nie erfahren.
(2.) Zudem ist es wohl das Dümmste, aus muslimfeindlichen Straftaten fremdenfeindliche Straftaten zu machen. Da können Präsidenten, Kanzler und Innenminister noch so sehr hoch und runterbeten, dass Muslime auf jeden Fall zu Deutschland gehören. Sobald sie Opfer einer islamfeindlichen Straftat werden, werden sie kurioserweise zu Fremden.
Ganz anders ist das bei antisemitischen Straftaten. Diese werden separat erfasst und Monat für Monat, Jahr für Jahr veröffentlicht. Sie sensibilisiert nicht nur, sondern liefert auch der Wissenschaft die Basis für die Gewinnung von wertvollen Informationen über mögliche Ursachen, die wiederum in die Präventionsarbeit einfließen.
Gründe, wieso das nicht auch bei Islamfeindlichkeit möglich sein soll, gibt es allenfalls auf politischer Ebene, die wiederum gerne auf die komplexe organisatorische Ebene verweist. Sachlich hingegen spricht nichts dagegen und umso mehr dafür: Laut einer Anfang Januar 2015 veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung empfinden deutlich mehr als die Hälfte der nichtmuslimischen Bevölkerung in Deutschland „den Islam“ als Bedrohung; islamische Religionsgemeinschaften warnen seit Jahren vor steigenden Übergriffen auf Muslime und ihre Einrichtungen; auch die Wissenschaft und Teile der Politik fordern immer häufiger belastbare Zahlen.
Derweil werden Proteste von Kurden und Linken gegen den Terror der Terrororganisation IS ebenso unter Hasskriminalität/Religion verbucht wie rassistisch oder islamfeindlich motivierte Anschläge auf Moscheen. Bleibt zu hoffen, dass die laufende Diskussion und Überprüfung dieser Tragik-Komödie „im Kreis der Fachexperten“ nicht allzu lange dauert. Leitartikel Meinung
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Das kommt davon, wenn der Verfassungsschutz nur islamistische, aber nicht islamfeindliche ‚Gefährder‘ im Blick hat.