Rücktritt in Tröglitz

„Tragödie für die Demokratie“

Der Rücktritt eines sachsen-anhaltischen Kommunalpolitikers wegen rechter Anfeindungen schlägt hohe Wellen und haut nun auch Berlin erreicht. Die Politik ist sich einig: So etwas darf nicht passieren. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert Konsequenzen.

Mittwoch, 11.03.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.03.2015, 17:41 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der Rücktritt eines von Rechtsextremen bedrohten Kommunalpolitikers in Sachsen-Anhalt alarmiert auch die Bundespolitik. Vertreter von SPD, Grünen und Linken äußerten sich am Dienstag irritiert und schockiert über die Ereignisse in Tröglitz bei Zeitz. Dort war am Wochenende der ehrenamtliche Ortsbürgermeister Markus Nierth (CDU) zurückgetreten, nachdem er sich und seine Familie durch Rechtsextreme bedroht sah. Hintergrund ist Nierths Eintreten für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge in dem Ort.

Der zuständige Kreistag des Burgenlandkreises beschloss unterdessen am Montagabend in Naumburg deren Unterbringung in dem kleinen Ort im Süden Sachsen-Anhalts. Eine Sprecherin des Landkreises sagte, der Unterbringungsbeschluss sei mit großer Mehrheit gefasst worden. Geplant ist, 40 Asylbewerber in Wohnungen unterzubringen. Zur Vorstellung der Pläne finde am 31. März in Tröglitz eine Einwohnerversammlung statt, in der Bürger ihre Sorgen und Ängste äußern könnten.

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Bundwesweite Empörung
Grund für die Anfeindungen des Ortsbürgermeisters Markus Nierth (CDU) durch Rechtsextreme war offenbar dessen Einsatz für eine Willkommenskultur gegenüber den Flüchtlingen. Nachdem der Aufzug von Asylgegnern am vergangenen Sonntag vor seinem Privathaus enden sollte und die Behörden zunächst keine Möglichkeiten sahen, dies zu verhindern, trat Nierth zurück.

Der Vorfall hat inzwischen bundesweit Empörung ausgelöst. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) plant als Konsequenz eine Verordnung zum besseren Schutz von ehrenamtlichen Politikern. Der Erlass soll Kommunen die Möglichkeit einräumen, Versammlungen in Hör- und Sichtweite von Wohngrundstücken Ehrenamtlicher zu verbieten.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach am Dienstag in Berlin von einer „Tragödie für unsere Demokratie“, wenn ein gewählter Bürgermeister wegen Anfeindungen von Neonazis zurücktreten müsse. Politik und Zivilgesellschaft müssten gemeinsam klar Position beziehen und die Demokratie gegen rechtsextreme Umtriebe verteidigen.

Unheilvolles Signal
Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter nannte es „ein unheilvolles Signal für die Demokratie“, wenn ein gewählter Bürgermeister aus Sorge vor Übergriffen und Frustration über mangelnde Unterstützung seinen Hut nehme. Linken-Chef Bernd Riexinger sieht in den Tröglitzer Vorgängen das „Scheitern einer Politik, die soziale Probleme missachtet und auf dem rechten Auge blind ist“. Die Bundesregierung trage mit Verantwortung dafür, dass statt einer Willkommenskultur in einigen Teilen Deutschlands Ressentiments gegenüber Flüchtlingen überwögen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wandte sich mit einem Schreiben an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Dieser solle sich persönlich einschalten und für ein konsequenteres Vorgehen gegen die zunehmenden Bedrohungsstrategien der Rechtsextremisten sorgen, verlangte Zentralrats-Vorsitzender Romani Rose. Der Rücktritt des Ortsbürgermeisters könne nicht folgenlos bleiben, mahnte er.

Wie die sogenannte Mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt am Dienstag mitteilte, bleibt rechte und rassistische Gewalt in dem Land trotz eines leichten Rückgangs auf hohem Niveau. Im vergangenen Jahr wurden jede Woche zwei rechte Gewalttaten registriert. Die Jahresbilanz weist 103 solcher Fälle mit 140 direkt Betroffenen aus. (epd/mig) Aktuell Politik

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  1. H.P.Barkam sagt:

    ‚Wie die sogenannte Mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt am Dienstag mitteilte, bleibt rechte und rassistische Gewalt in dem Land trotz eines leichten Rückgangs auf hohem Niveau. Im vergangenen Jahr wurden jede Woche zwei rechte Gewalttaten registriert. Die Jahresbilanz weist 103 solcher Fälle mit 140 direkt Betroffenen aus.‘

    In Sachsen sieht es nicht besser aus.
    Und was wird nach dem lauten Aufschrei gerade von den CDU-Heuchlern passieren?
    Nichts!
    Nazis, die, zu faul zum Arbeiten, blöde durch die Gegend rennen, dürfen so weitermachen wie bisher, mit ihrem Rassismus, mit Terror und Gewalt.
    Pastoren, einige Politiker und der ‚einfache‘ Bürger, die sich gegen die ‚Rechte Gewalt‘ wehren, werden weiterhin kriminalisiert, mit haltlosen Klagen vor Gericht gebracht und zu unsinnigen Strafen verurteilt (die von höheren Gerichten außerhalb politischen Einflusses wieder aufgehoben werden).
    Dass sich nun Politiker angeblich über rechten Terror in Tröglitz wundern, ist unglaublich schamlos und verlogen, aber bei den politischen Konstellationen in Deutschland kein Wunder mehr.

    In diesem Sinne

  2. Benedikt Erb sagt:

    Was da vor den Toren der ach so weltoffenen Stadt Leipzig — zwar nicht im ach so weltoffenen Sachsen, aber doch gleich daneben — abläuft ist unfassbar. Allerdings finde ich auch Nierths Rolle mehr als problematisch:

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-03/troeglitz-markus-nierth-asylbewerber

    O-Ton Nierth: „Keiner will sie [die Aslybewerber*innen, die Nierth Asylanten nennt]. Ich eigentlich auch nicht. Aber sie sind einfach da.“

    Nierths versuchter Deal mit der NPD: „Sie, die immer betonen, gegen echte Kriegsflüchtlinge hätten sie nichts, kümmern sich um die Kriegsopfer unter den ankommenden Asylbewerbern. Und Nierth und die anderen, aufnahmebereiteren Tröglitzer kümmern sich um all jene, die aus Sicht der NPD sowieso nur Schmarotzer sind.“ Strategisch und rhetorisch vielleicht irgendwie elegant gedacht, aber in realiter möchte ich nicht an die Konsequenzen für die betroffenen Menschen denken, wenn sich eine NPD um sie kümmert…

    Ein echtes Einstehen für eine Willkommenskultur kann ich bei solchen Deals und Aussagen nicht erkennen. Eher ein anbiederendes „Ernstnehmen der Ängste der Bevölkerung“ wobei wir mit dem Tröglitzer Fall einmal sehr (un)schön vor Augen geführt bekommen haben, was die Konsequenz dieses typisch konservativen Ernstnahme-Verhaltensmusters ist: Demokratieabbau vom Feinsten…

  3. Ostdeutsche sagt:

    @H.P Barkham „Nazis, die, zu faul zum Arbeiten, blöde durch die Gegend rennen, dürfen so weitermachen wie bisher, mit ihrem Rassismus, mit Terror und Gewalt.“

    Mag schon sein, aber glauben Sie, dass Sie mit derartigen Aussagen in Dörfern einen Stich machen, in denen strukturelle Arbeitslosigkeit vorgegeben ist?