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Tröglitz hat sich zerrissen

Ein Jahr nach dem Anschlag auf ein Flüchtlingsheim

Den Makel wird Tröglitz nur schwer los: Vor einem Jahr sorgte ein Anschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft für Entsetzen - gerade erst war der Bürgermeister wegen rechter Anfeindungen zurückgetreten. Heute ist der Ort gespalten.

Von Karsten Wiedener Montag, 04.04.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.04.2016, 12:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Friedensplatz von Tröglitz: zwei Autos, keine Menschen, ein geschlossener Lebensmittelmarkt, ein Lottogeschäft, eine Bankfiliale, eine Polizeistation. Von dem Platz im Zentrum des Ortes in Sachsen-Anhalt biegt die Ernst-Thälmann-Straße ab. Dort steht von Bauzäunen umgeben der Wohnblock, auf den vor einem Jahr ein Brandanschlag verübt wurde, der verkohlte Dachstuhl ist mit einer Plane bedeckt. Äußerlich scheint sich auch ein Jahr nach dem Anschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft kaum etwas verändert zu haben. Doch durch die Einwohnerschaft ist ein Bruch gegangen, sagt Markus Nierth, der kurz vor dem Feuer als Ortsbürgermeister zurückgetreten war.

„Der Ort hat sich zerrissen“, erinnert sich der evangelische Theologe, der beruflich als freier Trauerredner arbeitet. Über den Gartenzaun hinweg hätten sich Einwohner angebrüllt, sagt er: „Auch Leute, die seit 40 Jahren miteinander befreundet waren.“ Nierth sitzt in seinem Wohnzimmer in einem früheren Gasthof, der dicke Mauern hat und wie eine Trutzburg wirkt.

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Ostern 2015 hatte der Brandanschlag bundesweit für Entsetzen gesorgt, genauso wie Nierths Rücktritt vier Wochen zuvor: Nachdem ein Aufmarsch von Asylgegnern und Neonazis vor seinem Privathaus enden sollte und die Behörden zunächst keine Möglichkeit sahen, dies zu verhindern, legte er sein Ehrenamt nieder.

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Grund für die Anfeindungen durch Rechtsextremisten war Nierths Einsatz für eine Willkommenskultur gegenüber 40 Flüchtlingen, die in dem Ort untergebracht werden sollten. Einziehen sollten sie in das Haus in der Ernst-Thälmann-Straße, nach dem Anschlag war das nicht mehr möglich. Der zuständige Burgenlandkreis hat inzwischen 23 Asylbewerber in dem Ort bei Zeitz in Privatwohnungen untergebracht. Einige Tröglitzer haben Patenschaften für sie übernommen.

Der Rücktritt und der Anschlag hätten Tröglitz polarisiert, sagt Nierth. Es gebe Menschen, die den Flüchtlingen helfen, aber auch die breite schweigende Mitte, die einfach nur Ruhe und Harmonie wolle. Andere sympathisierten mit den Rechten, sich äußerten sich aber selbst nicht. Die kleine Gruppe der Helfer gestaltet Treffen mit den Flüchtlingen, organisiert Kleiderspenden oder Fahrdienste zu Behörden und Ärzten.

Zwar erhält Nierth keine Morddrohungen mehr wie 2015. Aber es mache sich das Gefühl einer Isolation breit, sagt er. Und die Familie denkt darüber nach, den Ort zu verlassen. Das sei zwar noch ein Gedankenspiel. Aber die Frage sei schließlich, ob man das aushalten könne, in der Heimat zu bleiben trotz Ablehnung. Und ob die Kinder in einer populistischen und fremdenfeindlichen Umgebung aufwachsen sollen, die so stark AfD gewählt hat, sagt Ehefrau Susanna Nierth.

Politik und Parteien müssten sich endlich konstruktiv mit den Menschen auseinandersetzen, wieder ein Adressat für Ängste und Sorgen werden, fordert Nierth. Sie sollten sich aber auch klar gegen Rassisten und Rechte positionieren. Eine Hoffnung, die er vor allem in Richtung der neuen Landesregierung hat, deren Bildung noch läuft. In der Gemeinde Elsteraue, zu der Tröglitz gehört, haben bei der Landtagwahl Mitte März 35,5 Prozent für die AfD gestimmt, landesweit waren es 24,2 Prozent. „Gelebte Demokratie ist hier nicht verloren gegangen, sie war in großen Teilen noch nie da“, sagt Nierth.

Zusammen mit den Nierths hatte der evangelische Pfarrer Matthias Keilholz wenige Tage vor dem Brandanschlag die Flüchtlingshilfe-Initiative gegründet. Die Situation in Tröglitz beschreibt er als „nebeneinanderher leben“, ein Stück weit sei es auch Verdrängung. Und Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen bestünden weiter, sagt Keilholz.

Am Friedensplatz stehen Bekanntmachungstafeln, eine „von Tröglitzern für Tröglitzer“, eine andere von der Gemeinde Elsteraue. Dort wird zu einer schon vergangenen Sitzung des Ortschaftsrates von Tröglitz eingeladen. Zum Thema Flüchtlinge ist unter all den Informationen nichts zu finden. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel

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