Ossi-Diskriminierung

Nicht nur Migranten haben es schwer, auch Ostdeutsche massiv unterrepräsentiert

Nicht nur klassische "Migranten" sind Diskriminierungen ausgesetzt, sondern auch "Ossis". 25 Jahre nach dem Mauerfall stammen nur 2,8 Prozent aller Entscheidungsträger in Deutschland aus Ostdeutschland. Das belegt eine bisher kaum beachtete Studie. Von Marcel Helbig

Von Marcel Helbig Mittwoch, 21.01.2015, 6:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.01.2015, 16:01 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

25 Jahre sind vergangen, seitdem wir Ossis dem Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes beigetreten sind. Auf dem Leipziger Parteitag der SPD am 24. Februar 1990 hatte uns Günter Grass „vor der Gefahr des bloßen Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik“ und der „Kolonialherrenmentalität“ der Wessis gewarnt. Dass derartige Aussagen von SPD-Größen zu ihren Wahldebakeln am 18. März in der DDR und am 2. Dezember 1990 in der neuen Bundesrepublik führten, ist längst Geschichte.

War aber die Warnung vor der Kolonialherrenmentalität der Wessis berechtigt? Kurz nach der Wende hatte man schon das Gefühl. Die hohen und höheren Positionen in vielen gesellschaftlichen Bereichen wurden im Osten stark von den Westdeutschen beherrscht. Das Wort „Buschzulage“ landete auf Platz zwei bei der Wahl zum Unwort des Jahres 1994. Für uns Ossis war dies jedoch kein Unwort. Es war die Beschreibung real existierender gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Westdeutsche Beamte aus den alten Bundesländern erhielten neben ihrem ohnehin höheren Westgehalt auch noch weitere Zulagen, damit sie uns beim Aufbau Ost helfen konnten. Diese Ungleichheit war jedoch nicht nur auf den öffentlichen Dienst beschränkt. 1994 befanden sich 6,8 Prozent aller großen ostdeutschen Betriebe (über 400 Beschäftigte) noch in ostdeutscher Hand. Bei dieser Akkumulation von Betriebskapital hat auch die Treuhandgesellschaft, deren hohe Positionen fast ausschließlich von Westdeutschen besetzt waren, eine unrühmliche Rolle gespielt. Ebenfalls 1994 befanden sich im ostdeutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur 4 Ostdeutsche unter den 21 Inhabern hoher Positionen – bei den Intendanten kein einziger.

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Die Ungleichheit im Transformationsprozess betraf nicht nur den Zugang zu den Positionen der gesellschaftlichen Elite. Jedes Jahr durften wir uns aufs Neue anhören, ob wir nun 28, 29 oder 30 Prozent weniger verdienten als die Wessis. Neben der geringeren Bezahlung waren auch die Arbeitsbedingungen ostdeutscher Arbeitnehmer deutlich schlechter. Die Angst vor der allgegenwärtigen Arbeitslosigkeit ließ ostdeutsche Arbeitnehmer Arbeitsbedingungen hinnehmen, die im Westen zu einem Aufschrei geführt hätten.

Wie immer man diese Ungleichheiten nun bewerten oder rationalisieren will, jedenfalls haben sie dazu geführt, dass 1998 in einer Studie mehr als die Hälfte aller 25-jährigen Sachsen angaben, die Ostdeutschen würden von den Westdeutschen als Bürger zweiter Klasse behandelt, und nur 20 Prozent angaben, einen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand zu erhalten. Auch wenn mir einige Ostdeutsche widersprechen mögen, aus meinem ostdeutschen Umfeld kenne ich dieses diffuse Deprivationsempfinden ebenfalls. Geschichte. Vergangen. Wirklich?

Notiz am Rande: „Ossi“ steht handschriftlich auf einem Bewerbungsschreiben, und ein Minus-Zeichen (oben nachgestellt). Eine badenwürttembergische Firma hatte eine Bewerberin, die in der DDR aufgewachsen ist, abgelehnt und deren Unterlagen kommentiert. Die Bewerberin klagte gegen die Benachteiligung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft – erfolglos.

Letztes Jahr wurde am WZB die deutsche Elite untersucht. Die Studie löste wenig Aufsehen aus. Aus meiner Sicht liefert die Studie knapp 25 Jahre nach der Wende ein desaströses Ergebnis. Nur 2,8 Prozent aller Entscheidungsträger in Deutschland stammen aus Ostdeutschland. Wenn wir die gleiche Chance hätten, in derartige Positionen aufzusteigen, müsste der Anteil eigentlich 17 bis 19 Prozent sein. Betrachtet man die einzelnen Bereiche, verschärft sich die Lage weiter: Anteil Ostdeutscher bei den Wirtschaftseliten 0 Prozent, bei den Wirtschaftsverbänden 0 Prozent, in der Justiz 0 Prozent, im Militär 0 Prozent, in den Medien 0 Prozent, in den Gewerkschaften 0 Prozent, Sonstige Eliten 0 Prozent, Wissenschaft 2,5 Prozent, Verwaltung 4,3 Prozent. Einzig in der Politik (13,8) und überraschender Weise bei den Kirchen (16,7) sind Ostdeutsche nur unwesentlich unterrepräsentiert. Auch wenn nur ein Drittel der deutschen Elite an dieser Studie teilgenommen hat, ist nicht davon auszugehen, dass gerade die ostdeutschen Entscheidungsträger in geringerem Umfang teilnahmen.

Auch eine Ebene unterhalb der in der Befragung betrachteten Eliten ist das Bild nicht viel besser. Das Beispiel der Soziologieprofessoren in Deutschland zeigt: Hier stammten 2009 nur 3,8 Prozent aller Professoren aus Ostdeutschland. Selbst bei den unter 45-Jährigen, die ihr Studium nach der Wende beendet haben, sind nur 5,8 Prozent aus dem Osten.

Im Bereich der gesellschaftlichen Eliten und der Professorenschaft wird gemeinhin die Gruppe der Frauen als besonders benachteiligt definiert. Im Hinblick auf die Unterrepräsentierung von Ostdeutschen haben Frauen heute deutlich bessere Chancen, sich in der Elite Deutschlands oder auf einer Soziologieprofessur wiederzufinden. Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Tai Fei sagt:

    Sigi sagt: 5. Februar 2015 um 15:42
    @Tei Fei Man kann grundlegend verschiedene Epochen nicht miteinander vergleichen.
    Natürlich hätte ein Adeliger nicht ohne “Steuern” existieren können, aber deshalb kann doch nicht von einem Steuerstaat und einer durch Steuern finanzierten Administration die Rede sein. Könige und Kaiser ritten noch lange durch die Landen, um zu herrschen. Regierung wurde hauptsächlich durch Gabe und Gegengabe, durch Rituale und Konsensfindung ausgeübt, weil es in erster Linie darum ging, “Frieden” zu sichern, in einer Welt, die eben keine “Polizei” und keine “Justiz” kannte. “Ehre”, “Treue” und Anhang waren dem mittelalterlichen Herrscher wichtiger als “Geld”. Steuern an den Adeligen sind im mittelalterlichen Sinn gewohnheitsrechtlich geregelte Anerkennungs- und Schutzabgaben, aber nur bedingt Abgaben zur Sicherung öffentlicher Angelegenheiten. Wie hätte sich auch Karl der Große im fernen Aachen um die Belange in Hinterholzingen am Bodensee kümmern sollen? Das “Finanzamt” gab es nun mal nicht, damit auch keine Erfassung der Bürger (höchstens noch in Urbaren). Einen Innenminister kannte niemand und eine weit entfernte, nichtmobile “Regierungszentrale’” schon gleich gar nicht. Straßen, Viadukte usw. bauten die Menschen in aller Regel selbst – ohne “Staat”, meist auf kommunaler Basis. Denn die mittelalterliche Kultur war nun einmal eine kommunal-örtlich bezogene. Stromleitungen von Flensburg nach Berchtesgaden gab es nicht. Das hätte auch keiner verstanden.

    Schön, ihre Einwände sind nicht ganz falsch. Natürlich ist die mittelalterliche Steuerstruktur nicht mit der, moderner Staaten vergleichbar. Jedoch sollte ihnen spätestens jetzt auffallen, dass Ihre „Traditionstheorie“ damit ad absurdum geführt wird. Damit hätten z.B. die Deutschen eigentlich gar keine lange Tradition im „Steuernzahlen“. Ihre Einwürfe gelten nämlich im wesentlich nur für das mittelalterliche Europa. Im byzantinischen Reich war so eine Struktur völlig unbekannt und auch die islamischen Kalifate hatten, nachdem sie erst mal installiert waren, eine ganz andere Struktur, von China und Indien ganz zu schweigen. Damit hätten all diese Kulturkreise eine wesentlich längere Tradition der Steuerzahlung, da diese Despotien seit jeher zentralstaatlich aufgebaut waren.

    Sigi sagt: 5. Februar 2015 um 15:42
    „Nein und nochmals nein, man kann nicht jede Kultur 1:1 setzen. Nehmen wir das Beispiel Sizilien: Ein Sizilianer “tickt” nun mal anders als ein Hanseate. Jeder kennt die Kultur der Patronage in Sizilien, die “stärker” ist als der Staat. Gabe und Gegengabe eben. In Bayern war es auch noch vor 100 Jahren üblich, dem Finanzbeamten einen Rehschlegel zu überreichen, damit er nicht ganz so streng ist.“
    Sie widersprechen sich doch selbst. In Sizilien ist also Bestechung üblich und in Bayern war es vor 100 Jahren (soweit müssen wir da gar nicht zurückgehen) auch üblich. Ferner ist der Hamburger Klüngel eigentlich deutschlandweit bekannt. Also wo ist denn nun genau der Unterschied? In DE läuft Korruption allenfalls etwas subtiler ab. Wenn Sie aber in einem größeren Unternehmen arbeiten, sollten Sie eigentlich inzwischen mitbekommen haben, dass das Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ auch in DE Anwendung findet. Man, selbst mir fällt das auf und ich gebe nicht viel auf den Buschfunk! Oder nehmen Sie doch nur mal unseren BuPrä a.D. Wulff!
    Natürlich gibt es überall lokale Besonderheiten, die man wo anders nicht nachvollziehen kann. Die ändern doch aber nichts an wirtschaftlichen Grundprinzipien.