Integrationsgipfel

Mehr als ein Appell war auch diesmal nicht drin

Jugendliche mit Migrationshintergrund werden auf dem Ausbildungsmarkt benachteiligt. Das räumt inzwischen auch die Kanzlerin ein. Mehr als zu einem allgemeinen Appell reichte es beim siebten Integrationsgipfel trotzdem nicht. Opposition und Migrantenvertreter kritisieren.

Dienstag, 02.12.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.12.2014, 1:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Zum Integrationsgipfel haben die Antidiskriminierungsstelle des Bundes an Arbeitgeber appelliert, anonymisierte Bewerbungsverfahren einzuführen. Sie seien „ein ganz wichtiges Instrument für Chancengleichheit“, erklärte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, am Montag in Berlin. Bei anonymisierten Bewerbungen fehlt beispielsweise der Name. So kann ausgeschlossen werden, dass Bewerber mit ausländisch klingenden Namen von vornherein ausgeschlossen werden.

Das stößt bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aber auf taube Ohren. Sie appelliert lieber an die Allgemeinheit, besser zu werden bei der Ausbildung junger Menschen aus Zuwandererfamilien. Sonst werde Potenzial vergeudet, sagte die Regierungschefin zur Eröffnung des Integrationsgipfels am Montag. Die Anstrengungen seien erst dann geschafft, wenn „genauso viele Menschen mit Migrationshintergrund einen Schulabschluss haben, einen Studienplatz annehmen oder eine Facharbeiterausbildung machen“ wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund, sagte Merkel. Es sei dabei schon einiges erreicht worden. Das Tempo könnte aber gesteigert werden. Dazu müssten sich beide Seiten bewegen. Es gebe immer zwei Seiten: Die eine Frage sei, wie die Jugendlichen sich einbringen, sagte Merkel. Die andere Frage sei, wie die Gesellschaft sie aufnehme.

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Studie belegt: Migranten werden benachteiligt

Lesetipp zum Integrationsgipfel: Migrationsforscher Klaus J. Bade war seit 2006 bei jedem Integrationsgipfel geladen. Dass es in diesem Jahr erstmals einen inhaltlichen Schwerpunkt gab, sieht er als Erfolg. Seine Kritik betrifft eine grundlegende Frage: Der diskutierte Ansatz von „Fördern und Fordern“ mit Blick auf Migranten greife zu kurz. Schon wieder werde die Frage nach Zugehörigkeitsgefühlen übersehen. Und bei diesem Thema dürfe man längst nicht mehr nur Menschen aus Einwandererfamilien in den Blick nehmen. Weiter auf Mediendienst Integration…

Bei dem Treffen im Kanzleramt beraten Vertreter von Bund, Ländern, Zivilgesellschaft und aus Unternehmen mit Merkel und der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD). Sie gehen der Frage nach, wie Benachteiligungen für Jugendliche mit Migrationshintergrund am Ausbildungsmarkt beseitigt werden können.

Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration hatte ergeben, dass besonders junge Bewerber mit türkischen oder arabischen Namen bei gleicher Qualifikation schlechtere Karten haben als Personen mit deutschen Namen. Oft werden Migranten gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen.

Linke: Appelle nützen nichts

Angesichts dieser Befunde ernteten der Integrationsgipfel und die Kanzlerin harsche Kritik: „Bitten und Appelle in Richtung der Unternehmen nützen nichts. Wir brauchen anonymisierte Bewerbungen und eine Ausbildungsplatzumlage, um die Benachteiligung junger Migranten auf dem Ausbildungsmarkt zu beenden“, forderte etwa Sevim Dağdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Der Integrationsgipfel ist ...
    ... nur noch Show. (60%)
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    ... weiter notwendig. (15%)
     
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    Kritik wurde auch aus den Ländern vernommen: „Wenn es Frau Merkel um die Sache gehen würde, müssten in erster Linie Finanzierungskonzepte für Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung in der Verwaltung und den Unternehmen beschlossen werden“, bemängelte etwa Simone Brand, integrationspolitische Sprecherin der Piratenfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag. Ihre Kritik kommt nicht von ungefähr, wie Studien zeigen. So hinkt die öffentliche Verwaltung selbst der Privatwirtschaft hinterher, wenn es um interkulturelle Öffnung geht.

    Özoğuz für interkulturelle Öffnung

    Nach dem Willen von Özoğuz soll sich das ändern. Sie startete am Montag eine Umfrage, um den jeweiligen Anteil von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in den Behörden und Ministerien zu ermitteln. Auf Grundlage dieser Erhebung soll die interkulturelle Öffnung vorangetrieben werden. Konkrete Zielmarken wurden aber keine gesetzt und Hoffnung auf einen schnellen Wandel gebe es ebenfalls nicht.

    Eine indirekt formulierte Kritik kam auch vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). DIHK-Präsident Eric Schweitzer etwa unterstrich die Bedeutung verlässlicher Rahmenbedingungen für Flüchtlinge und Betriebe: „Es muss sichergestellt werden, dass geduldete Ausländer, die eine Ausbildungsstelle in Deutschland gefunden haben, diese auch abschließen können.“ Daher solle die Aufnahme einer Schul- oder Berufsausbildung ein dringender persönlicher Grund für die Aussetzung von Abschiebungen sein.

    Muslime fordern Abschaffung von Kopftuchverboten

    Scharfe Kritik an der bisherigen Integrationspolitik übten aber auch Migrantenvertreter. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Safter Çınar, etwa nahm die Bildungspolitik ins Visier. Dass es gerade bei den Deutschtürken so viele gescheiterte Bildungskarrieren gebe, sei „kein ethnisches, sondern ein soziales Problem – die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat an dieser Stelle versagt“, sagte Çınar zu Spiegel Online.

    Auch Muslime sehen die Bundesregierung in der Pflicht, als gutes Beispiel voranzugehen. Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş, Mustafa Yeneroğlu, etwa erklärte, dass die Appelle nach mehr Chancengleichheit zwar wichtig seien. Wer es allerdings ernst meine „mit dieser Forderung, muss etwas gegen die gesetzlichen Kopftuchverbote tun“, so Yeneroğlu. Viele Ausbilder würden sich den Gesetzgeber zum Vorbild nehmen und sich denken „Wenn schon der Staat Kopftücher verbietet…“, kritisierte der IGMG-Generalsekretär.

    In diesem Jahr wurde das Thema Ausbildung auf Vorschlag von Staatsministerin Özoğuz zum Schwerpunktthema des Integrationsgipfels gemacht. Im nächsten Jahr soll der Fokus auf Gesundheitsthemen gelegt werden. (mig/epd) Leitartikel Politik

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