Stückwerk oder Meilenstein?
Das neue Islamgesetz in Österreich
Drei Jahre wurde in Österreich an einem Islam-Gesetzesentwurf gearbeitet. Jetzt steht er in den Zielgeraden und unter Beschuss: Muslime kritisieren, der Entwurf vermische innere Sicherheit mit Prinzipien der Anerkennung einer Religionsgemeinschaft.
Von Barbara Schneider Donnerstag, 06.11.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.11.2014, 20:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Über hundert Jahre ist das Islamgesetz in Österreich inzwischen alt. Einst verabschiedet, um bosnischen Muslimen im Habsburgerreich Rechtsicherheit und Religionsfreiheit zu gewähren, erfolgten seither immer wieder vergleichsweise kleine Korrekturen an dem Gesetz. Jetzt steht eine grundlegende Neuausrichtung an. Am Freitag endet die Frist für Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen, um auf den Entwurf zum neuen Islamgesetz zu reagieren und Gutachten einzureichen.
Drei Jahre lang wurde an dem Entwurf gefeilt. „Wir wollen einen Islam österreichischer Prägung“, sagte Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz zur der Vorstellung der Initiative im Oktober in einem Interview mit dem ORF. Mit dem Gesetz für die mehr als 500.000 Muslime werde auf veränderten Herausforderungen für die Religionsgemeinschaften eingegangen und sichergestellt, dass es keine Einflussnahme und Kontrolle aus dem Ausland gebe, hatte der ÖVP-Politiker das Vorhaben verteidigt.
Einschränkende Regelungen für Muslime
Nach dem geplanten Islamgesetz erhalten die anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften – wie bereits in der Vergangenheit – den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Das Gesetz regelt, dass sich die Muslime dem geltenden staatlichen Recht unterordnen müssen. Der österreichische Bundeskanzler soll aus Gründen der inneren Sicherheit die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft ablehnen können. Zudem muss jede islamische Religionsgemeinschaft eine deutsche Übersetzung ihrer wesentlichen Glaubenstexte vorlegen.
Die islamischen Glaubensgemeinschaften werden zudem dazu verpflichtet, Imame zu entlassen, die straffällig wurden und zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sind. Darüber hinaus dürfen Muslime eigene Seelsorger bestellen. Zugesichert wird ihnen auch der dauerhafte Erhalt islamischer Friedhöfe, das Recht zu schächten oder zur Beschneidung. Bis Januar 2016 soll zudem an der Universität Wien eine Ausbildungsstätte für den geistlichen Nachwuchs eingerichtet werden.
Das Islamgesetz von 1912 soll damit der Zeit angepasst werden. Denn seit der Gründung der „Islamischen Gesellschaft“ im Jahr 1979 hatte es mehrfach kleinere Korrekturen gegeben. Eine grundlegende Neufassung blieb jedoch aus. Unter anderem wurde in den 80er Jahren die Beschränkung auf die Rechtschule der Hanafiten aufgehoben – eine Richtung im Islam, die vor allem im 1908 annektierten Bosnien-Herzegowina verbreitet war, im heutigen Österreich aber so gut wie nicht mehr vertreten ist. Zuletzt wurden 2013 die Aleviten als Religionsgemeinschaft anerkannt.
Gesetzesentwurf stößt auf heftige Kritik
Die Kritik an dem neuen Gesetzentwurf ist heftig. Religionspsychologin und Islamkennerin Susanne Heine sieht darin den Versuch, Fragen der inneren Sicherheit mit Prinzipien der Anerkennung einer Religionsgemeinschaft zu vermischen. „Das stellt die muslimische Bevölkerung unter einen terroristischen Generalverdacht – per Gesetz“, sagte die evangelische Theologin. Heine hat als Vorsitzende der „Plattform Christen und Muslime“ ein Gutachten eingereicht, in dem eine gründliche Überarbeitung des Gesetzentwurfs gefordert wird.
Eine Gruppe namhafter Religionswissenschaftler, Juristen und Theologen sieht das ähnlich: Das neue Islamgesetz dürfe nicht als „Zeitdokument einer krisenhaften politischen Situation“ in die Geschichte eingehen, warnen die Wissenschaftler. Sie kritisieren zudem das Verbot der Auslandsfinanzierung. Dies sein eine Ungleichbehandlung der islamischen Glaubensgemeinschaft gegenüber anderen staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich.
Auch die Islamische Gesellschaft in Österreich, die sich lange Zeit als Vertretung aller Muslime in Österreich verstand, übt Kritik. Die Muslime dieses Verbands stören sich daran, dass „Misstrauen ihnen gegenüber vermittelt und der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird“. In einer am Mittwoch in Wien vorgelegten Stellungnahme fordert der Verband unter anderem getrennte Gesetze für die Islamische Gemeinschaft und Aleviten.
Hingegen hält die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft, die erst vor einem Jahr als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt worden war, die Gesetzesnovelle für einen „Meilenstein in der Geschichte des Islams in Österreich“. Bundessekretär Cengiz Duran sagte: „Wir wollen uns als Muslime in Österreich weiterentwickeln, in die Gesellschaft integrieren. Dazu braucht es Unabhängigkeit.“ Wann das Gesetz verabschiedet wird, ist noch offen. (epd/mig) Aktuell Ausland
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Neue Behörde Ukrainer sollen arbeiten oder zurück in die Heimat
- Symbol der Abschottung Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete sofort stoppen!
- Der Fall Prof. Dr. Kenan Engin Diskriminierung an deutschen Hochschulen kein Einzelfall
- Umbruch in Syrien Was bedeutet der Sturz Assads – auch für Geflüchtete…
- Kaum Auslandsüberweisungen Studie entlarvt Lüge zur Einführung von Bezahlkarten
- Einstiegsdroge: Ausländerfeindlichkeit AfD zur politischen Säule von Rechtsextremen geworden
Die Aleviten sollten es besser unterlassen, sich als „Muslime“ zu bezeichnen, wo sie als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt sind und es einen „Islam ohne Schari´a“, den sie vertreten, per Selbstdefinition nicht gibt.
Logischer- und gerechterweise müßte bei verbotener Auslandsfinanzierung der Gehälter der Imame und Prediger der österreichische Staat selbst diese finanzieren. Damit verlöre er jedoch seine Neutralität und Säkularität. Vermutlich werden die Muslime diese Finanzierung aus dem Inland allein nicht vollständig aufbringen können, so daß manche der Imame und Prediger ihrer Tätigkeit dann nur halbberuflich oder ehrenamtlich nachgehen können, was eine Benachteiligung bedeutet. Auch die vorgesehene Entlassung straffällig gewordener Imame ist eine eigentlich inakzeptable Bedingung, da sie dem islamischen Prinzip widerspricht, wonach aufrichtige Reue begangene Sünden tilgt.
Weiter sollen nach dem Gesetzentwurf muslimische Imame und Religionslehrer keine negative Einstellung zum Staat und zur Gesellschaft haben. Nach der negativen Einstellung zahlreicher Vertreter des Staates und großer Teile der Gesellschaft den Muslimen gegenüber wird jedoch nicht gefragt. Was sind das für ungerechte Forderungen, die den Muslimen da per Gesetz auferlegt werden sollen!
Wenn ich das, was Kaiser Franz-Joseph 1912 den Muslimen mit diesem Gesetz gewährt hat, mit dem Umgang der Vertreter der Republik Österreich mit den Muslimen heute vergleiche, möchten mir die Tränen kommen.
Divergierende Spezialgesetze für einzelne Religionsgemeinschaften entsprechen überhaupt nicht mehr den heutigen Verfassungs- und Menschenrechtsstandard. Anzustreben wäre ein einheitlichtliches Religionen- und Weltanschauungsgesetz mit gleichen Rechten und Pflichten für alle.