Nuhr weiter so?
Warum überhaupt noch miteinander sprechen?
Dieter Nuhr macht gerne Witze auf Kosten anderer, unter anderem Muslime. Das finden manche toll, andere nicht. Geschmacksache oder unzulässige Hetze, Meinungsfreiheit oder Satireverbot oder doch nur "Dauerausrede der Dauerbeleidigten", wie es in der Welt heißt? Alia Hübsch nähert sich dem Thema aus einem anderen Blickwinkel:
Von Alia Hübsch Mittwoch, 05.11.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.11.2014, 16:36 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Wir haben uns wohl nichts mehr zu sagen. Oder es wurde schon alles gesagt. Bitte sehr. Nuhr weiter so. Das jedenfalls kommt mir in den Sinn, wenn in Die Welt lautstark verkündet wird: „Ein Satireverbot kann da nur akzeptieren, wer sich der Dauerausrede der Dauerbeleidigten beugt: Das alles habe mit dem Islam doch gar nichts zu tun.“
Angesichts dessen, stellt sich die Frage, warum wir überhaupt noch miteinander sprechen. Der Muslim steht von Anfang an auf der Schusslinie. Egal ob es stimmt oder nicht stimmt, was er über den Islam sagt. Wir haben es mit einem „vorauseilenden Hören“ zu tun, nach der jede Antwort, egal wie plausibel sie sein kann, die falsche Antwort ist. Der Religionsphilosoph Rosenzweig sprach in diesem Zusammenhang auch von der theoretischen Unmöglichkeit des Übersetzens, im Akt des dialogischen Sprechens: „Wer spricht, übersetzt aus seiner Meinung in das von ihm erwartete Verständnis des Anderen […]. Wer hört, übersetzt Worte, die an sein Ohr schallen, in seinen Verstand, also konkret geredet: in die Sprache seines Mundes.“
Es geht nicht um Meinungsfreiheit
Stellen wir uns zum Beispiel einen Augenblick vor, a.-) der Islam hat mit der eigentlichen Wurzel des Problems nichts zu tun und b.) der Islamismus auch nicht. Stellen wir uns einfach mal vor, es geht um irgendetwas, was wir für wahr erachten. Egal was. Zum Beispiel der Satz: „Rosen haben Stacheln und sind schön.“ Sprechen wir mal von Ästhetik. Wenn auch Religion heutzutage niemand mehr so recht verstehen will (vom Islam ganz zu schweigen): wer Ästhetik, die sich in der Kunst manifestiert, nicht verstehen will, gilt als Banause. Als Unwürdiger – weil er jemand ist, der sich der positiven Sicht der Dinge absichtlich verschließt. Alles, was wir als wertvoll, wahr und schützenwert erachten, dazu gehört die Vollkommenheit unberührbarer Natur, wird ästhetisiert. Dies, indem wir es als solches erkennen, benennen und aussprechen. Und eben gerade wenn wir von Satire sprechen, müssen wir eines wissen: Die Kunst ist ihr erstes Opfer. Oder besser gesagt: Es geht der Satire nicht um Meinungsfreiheit oder um Wahrheit, es geht ihr um den Lacher. Adorno hat es sehr schön zusammengefasst, wenn er schreibt: „Die Kunst, die Pathos braucht, fürchtet und flieht die respektlose, pathosvernichtende Komik. […] Schließlich will sie nicht, wie der Witz, lediglich kurz wahrgenommen und belacht werden. Sondern angestarrt, angekauft und ausgestellt. Und […]ernst und tief und schürfend. Während der Witz nur auf ein einziges Deutungsergebnis zielt: den Lacher. Was soll man da noch über seine äußere Form reden?“ 1
Was passiert also, wenn Nuhr sagt, „die Frau im Islam sei nur frei darin, selbst zu entscheiden“ oder wenn er kundtut: „der Islam“ sei „nur da tolerant, wo er nicht an der Macht ist“? Wie kann und soll diese Form von Kritik verstanden werden, vor allem wenn sie immer und immer wieder in neuen Kundgebungen rekapituliert wird?
Die Komik des Vernichtens
Der Islam, so viele Räume er haben mag, ist kein leeres Haus. Er wird von Menschen bewohnt, die sich mit ihm identifizieren. Mit Menschen, die Allah als einen Gott, als den einzig anbetungswürdigen betrachten, wie es ihr Glaubensbekenntnis besagt. Die eine tiefe Weisheit im Islam erkennen. Spiritualität, Leben und: Ehrfurcht vor der Schöpfung.
Doch genau dann, wenn Satire beginnt das für heilig Erklärte anderer zu zerstören und niederzumachen, wird sie gefährlich. Weil sie das fruchtbare Sprechen unterbindet, indem sie die Aussagen des Gegenübers verneint, sie verschmäht. Nicht ohne Grund ist es Muslimen noch nicht einmal erlaubt, über die Götter anderer Religionen zu spotten. Obwohl es als größte Sünde im Islam angesehen wird, Allah Nebengötter beizugesellen und als schlimmste Lüge und reine Illusion gilt. So heißt es im Heiligen Quran: „Und schmähet nicht die, welche sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus Groll Allah schmähen ohne Wissen. Also ließen Wir jedem Volke sein Tun als wohlgefällig erscheinen. Dann aber ist zu ihrem Herrn ihre Heimkehr; und Er wird ihnen verkünden, was sie getan.“ (6:109)
Er erkennt: wenn wir das Gegenüber verneinen, verneint es uns. Wenn wir das Vertrauen in die gute Absicht des Gegenübers verlieren, verliert das Gegenüber das Vertrauen in unsere gute Absicht. Jeder Versuch zu sprechen und gehört zu werden, ist automatisch zum Scheitern verurteilt. Mit wem sollen wir sprechen, wenn wir nur uns selbst hören wollen? Spricht unser Gegenüber nicht das aus, was wir hören wollen, spricht es in unseren Ohren überhaupt nicht. Wir sind tot.
Offenbarung als Ausdruck von Leben
Dabei geht es Gott darum, ähnlich wie es in der Kunst und Sprache theoretisch beansprucht wird, sich in seiner Wahrheit zu zeigen, sich zu öffnen und mitzuteilen. Ähnlich wie das gewährte Zwiegespräch Gottes mit Abraham, dem Stammesvater aller monotheistischen Religionen, ein Geschenk des Lebens war, ist der Heilige Quran als Offenbarung ein reiner Ausdruck von Leben und eines lebendigen Schöpfers. Ein Leben das arm an Kommunikation ist, ist arm an Leben.
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die Intoleranz von Christen, Juden und Muslimen gegenüber Satire (nicht Kritik!) ist unglaublich. Dass Ihr hier der Intoleranz ein Forum gebt macht mich traurig.
Eigentlich wollt Ihr Euch doch für Ausgleich einsetzen, oder?
Aber immer wieder wird hier gegen Nichtgläubige, die sich dann auch noch erdreisten sich über Religion lustig zu machen gehetzt. Für mich als Atheisten ist Euer Migazin langsam nicht mehr lesbar.
Mein Vater ist aus Palermo und Erzkatholisch. Jedesmal wenn ich mich über die unbefleckte Empfängnis oder Jesus der übers Wasser läuft lustig mache gibt es fast schon Streit. Eigentlich erwarte ich von einem kritischen Magazin, dass es etwas fortschrittlicher denkt als mein Vater, der jeden Sonntag in die Kirche rennt und das was die Pfaffen so sagen für bare Münze nimmt.
Es liegt mir fern, Gott zu widersprechen, aber ich kann die obige Darstellung über funktionierende Kommunikation nicht teilen.
Wenn einer sich über etwas lustig macht, was einem anderen sehr wichtig ist, dann ist es schwer, darüber zu reden: Das stimmt. Wenn sich dann beim Versuch, sich darüber auszutauschen, klar wird, dass der Witzemacher Dinge anders bewertet als derjenige, dem das Thema wichtig ist, dann ist ein sachliches Gespräch natürlich noch schwieriger zu erreichen.
Das ändert erstmal nichts daran, dass genau diese Auseinandersetzung eine sehr, sehr wichtige ist: Es ist wichtig zu wissen, dass das, was einem selbst sehr wichtig ist, auf einer anderen Ebene, aus einer anderen Perspektive, gar nicht so wichtig ist, sondern sogar witzig sein kann. Deshalb können wir über Witze, in denen es um Mord und Totschlag und andere furchtbare Dinge geht, lachen. Und deshalb schätzen wir es als eine Tugend, wenn jemand sich selbst nicht so ernst nimmt. Witze über Religionen – egal welche – sind schon allein deshalb wichtig, weil Religionen die unsägliche Unart gemeinsam haben, sich selbst viel zu wichtig zu nehmen. Und das, obwohl es einem ins Gesicht schreit, dass man das alles ja auch ganz anders sehen kann. Zum Beispiel, wenn man einer anderen Religion angehört.
Es gibt Dinge, über die man leicht Witze machen kann, die aber einen ernsten Kern beinhalten, z.B. Verletzungen und Schmerzen für bestimmte Gruppen von Menschen. Und bösartige Witze tragen dazu bei, diese Schmerzen zu vergrößern.
Allerdings fallen Nuhrs Witze nicht in die Kategorie bösartig. Sie richten sich nicht gegen einzelne Menschen, sondern gegen existierende gesellschaftliche Verhältnisse.
Nuhrs Witze berücksichtigen nicht alle Details ihres Themas – es sind aber Witze, keine Beiträge zu einer wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Und sie sind lustig: „Wenn man nicht wüsste, dass der Koran Gottes Wort ist, könnte man meinen, ein Mann hätte ihn geschrieben.“
Es sind die Religiösen, die hier die Kommunikation verhindern. Nicht die Komiker.
SIND die MEDİEN die wahren HAßPREDİGER?
Für mich sind Nachrichtenorgane wie „die WELT“ oder „BİLD“ kriminelle Organisationen, dessen Lebensaufgabe darin besteht, die Gesellschaft zu spalten und gegen jeden Gläubigen Menschen zu hetzen.
Was für eine Narrenfreiheit die in Online Portalen mit eingeschalteter und zensierter „Kommentarfunktion“ haben und dabei die Meinungsfreiheit mißbrauchen, sollte jeden Bürger ein Alarmzeichen sein.
Kommentare, die „unter die Gürtellinie“ gehen, werden dort nicht immer angemahnt und gepostet.
Manchmal frage ich mich, wer die wahren Haßprediger in der Welt sind.
@ G. H.
Es sind nicht die Religiösen, die die Kommunikation verhindern, sondern die Unreligiösen. Als Muslim komme ich mit gläubigen Christen besser zurecht als mit Kulturchristen, und mit Religionshassern scheint ein vernünftiges Gespräch ohnehin unmöglich.
Wenn der Koran sagt (Sure 4,140): „Er hat euch (doch) bereits im Buch geoffenbart: Wenn ihr hört, daß man Allahs Zeichen verleugnet und sich über sie lustig macht, dann sitzt nicht mit ihnen (zusammen), bis sie auf ein ande¬res Gespräch eingehen. Sonst seid ihr ihnen gleich. Gewiß, Allah wird die Heuchler und die Wahrheitsverdecker alle in der Hölle versammeln“ dann bedeutet das für einen gläubigen und praktizierenden Muslim, daß er eine solche Veranstaltung, in der der Islam verunglimpft wird, weder besucht, noch sich eine Aufzeichnung davon ansieht, noch den Wortlaut der Verunglimpfung liest. Und wenn er mit jemandem ins Gespräch kommt, der diese wiedergibt oder die Meinung des Spötters in ungebührlichen Worten vertritt, beendet er das Gespräch.
Wenn Satiriker mit geistigem Schmutz um sich werfen, wird man es nur schwer vermeiden können, nicht besudelt zu werden.
„Doch genau dann, wenn Satire beginnt das für heilig Erklärte anderer zu zerstören und niederzumachen, wird sie gefährlich.“
Vielleicht geht es Nuhr gar nicht darum, das für Heilig erklärte „anderer“ zu zerstören, sondern er will das „eigene“, früher als heilig Empfundene zerstören. Allerdings ist beim Christentum nicht mehr viel zu zerstören, denn die Kirchen sind leer und der Papst gilt kaum noch jemandem als unfehlbar. Insofern ist Nuhrs Kritik an Religionen und Ideologien schon fast nicht mehr aktuell.
Und genau da kommt „der Islam“ ins Spiel, eine Religion, an die tatsächlich noch Menschen glauben. Das ist für einen Satiriker nun wirklich schwer, nicht mit dem Sturmgewehr auf die neue Religion, die wiederum mit einem Pathos aufgeladen ist, zu schießen.
Religion und Kirche waren früher nicht immer nur eine spaßige Angelegenheit, wenn man an die Hexenverfolgung denkt. Deshalb haben es Religionen insgesamt schwer, nicht nur der Islam.
„Was passiert also, wenn Nuhr sagt, „die Frau im Islam sei nur frei darin, selbst zu entscheiden“ oder wenn er kundtut: „der Islam“ sei „nur da tolerant, wo er nicht an der Macht ist“?“ Das kennen wir doch alles vom Christentum: die Frau wird unterdrückt, und Kirche und Kapital stecken unter einer Decke, mit dem „echten“ Christentum hat das nichts zu tun. Das Christentum und auch der Islam sind gute Religionen, sie werden jedoch politisch missbraucht. So würde ich das interpretieren, was der Nuhr sagt. Und dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder?
@karakal –
Ja, das glaube ich Dir, dass Du Dich als Religiöser mit anderen Religiösen einfacher austauschen kannst als mit Nicht-Religiösen. Aber ist das wichtig, dass es einfach ist, sich auszutauschen? Vielleicht ist ein Austausch ja dann besonders produktiv, wenn er schwierig ist?
Wenn Religiöse und Nicht-Religiöse sich austauschen wollen, müssen sie akzeptieren, dass sie in einem wesentlichen Detail unterschiedlicher Meinung sind: Die einen finden Religion wichtig, vielleicht sogar wichtig für alle Menschen. Die anderen finden Religion nicht wichtig, und vielleicht nicht nur nicht wichtig, sondern schädlich oder gefährlich. Die Prämisse, dass es Gott gibt, wird nicht unbedingt geteilt. Worüber kann man also überhaupt noch sprechen?
Man müsste darüber sprechen, woran man erkennt ob etwas gut oder böse, richtig oder falsch ist. Wie man das richtige Leben führt. Wie moderne Herausforderungen – zum Beispiel die Klimakatastrophe – dazu führen, dass wir neu darüber nachdenken, was richtig und was falsch ist. Und dann ist es interessant zu hören, was Religiöse aus ihrem Glauben ziehen, wie sie die Kraft aufbringen, richtig zu handeln. Das fände ich sogar als Nicht-Religiöse interessant.
Völlig unspannend finde ich Zitate aus heiligen Büchern, die als Argument benutzt werden. Das sind Zitate, keine Argumente. Und schlimmer noch, man kann diese Zitate immer so verwenden, wie es einem besser in den Kram passt. Deshalb gelingt es Islamophoben ja so leicht, mit Hilfe des Korans den Islam als brutale und unmoralische Religion darzustellen. Obwohl sie wahrscheinlich auch nicht brutaler und unmoralischer ist als das Judentum oder das Christentum.