Der schwierige Weg zur Normalität
Über Völkerschauen und interkulturelle Wochen
Jahr für Jahr werden in vielen Städten interkulturelle Wochen organisiert. Da tanzen halbnackte Brasilianerinnen oder Mexikaner mit Sombrero. Dr. Liriam Sponholz erinnern diese Veranstaltungen an Ethno-Shows zu Zeiten des Kolonialismus.
Von Liriam Sponholz Freitag, 31.10.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.11.2018, 17:30 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
„Zwei Nigerianer trommeln im Stuttgarter Rathaus“ – so beginnt ein Artikel der FAZ zum Thema „Integration“. Der Text aus der FAZ fasst gut den Geist zusammen, der vielen interkulturellen“ Veranstaltungen innewohnt. So auch wieder im Oktober geschehen, als bundesweit unter dem Motto „Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern“ sogenannte „Interkulturelle Wochen“ durchgeführt worden sind, um „viel zu erfahren über die Kulturen des Anderen“. Im Rahmen dieser einwöchigen Shows konnten die Besucher an Workshops unter dem Titel „Show Racism the red card“ teilnehmen oder direkt daneben beim interkulturellen Familiennachmittag mit Trommelworkshop mitmachen.
Bei diesen Veranstaltungen wollen alle etwas bewegen, sowohl die halbnackten Brasilianerinnen mit ihrem Federkopfschmuck oder der Mexikaner mit seinem Sombrero als auch die honorigen Teilnehmer an Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Solche Räume, die häufig Toleranz fördern und Rassismus bekämpfen möchten, werben mit dem Unterschied, mit Events nach dem Motto „Iraner: wer sie sind, wo sie leben“. Die Unterschiede sind gefunden und werden sogar gefeiert.
Die Werbung mit dem Unterschied ist keine neue Erfindung, insbesondere nicht in Europa. In früheren (und vielleicht vergessenen?) Zeiten des Kolonialismus, waren Ethno-Shows und Menschenzoos von Portugal bis nach Deutschland (wo sie als „Völkerschau“ bekannt wurden) beliebte Veranstaltungen für die Einheimischen. Darin wurde das „Abnormale“ dargestellt: von behinderten Menschen bis zum „Wilden“, von Kleinwüchsigen bis zum Tupinamba-Indianer. Die „Künstler“ waren zum Teil versklavt, ein Teil erhielt aber auch bezahlte Aufträge. Die bekannteste Ikone solcher Menschenzoos war wahrscheinlich die „Venus der Hottentoten“, eine Frau, die beide Kategorien geradezu ideal erfüllte: schwarz und entstellt.
Solche Shows genossen vor allem im 19. Jahrhundert eine große Popularität auf dem Kontinent. Sie wurden aber z.B. in Hamburg bis in die 30iger Jahre hinein organisiert. Das Ziel war klar: die Minderwertigkeit anderer Völker in ihrer ganzen Wildheit zu zeigen, um zu rechtfertigen, dass sie dringend zivilisiert bzw. kolonisiert werden mussten.
Nicht, dass alle Zuschauer die Botschaft so gelesen haben. Der Historiker Pascal Blanchard und seine KollegInnen erinnern ihre LeserInnen daran, dass solche Menschen-Zoos ebenfalls Bewunderung für manche Kulturen und für die physische Attraktivität der „Exoten“ unter den Zuschauer weckten. Ob sich die Zuschauer allerdings mit den „Wilden“ identifizieren konnten oder, ob sie die „Attraktionen“ als Menschen wie sie selbst ansehen konnten, ist jedoch zu bezweifeln.
Was aber haben diese Menschen-Zoos mit heutigen Veranstaltungen gemeinsam, die eigentlich Rassismus bekämpfen wollen? Was haben Diskussionsabende wie „Abenteuer Pakistan“, „Moskauer Männerchor“ oder „Ni Hao – Hallo, wie geht’s?!“ mit Völkerschauen zu tun? Körperliche Entstellungen, die neben der Wildheit den Kern der Menschen-Zoos ausmachten, stehen heute nicht mehr im Mittelpunkt. Stattdessen präsentiert man kulturelle Unterschiede. Das Ziel dabei ist eigentlich genau entgegengesetzt zu dem der Völkerschauen: Es geht darum, andere Kulturen zu schätzen. Damit ist es aber nur eine andere Seite der gleichen Medaille. Es sind die die zwei Seiten des „Anderen“, des Abnormalen, des Exoten: gestern der Wilde, heute der Migrant.
Das soll keinesfalls bedeuten, dass alle Veranstaltungen, die andere „Kulturen“ und Länder thematisieren, Andersartigkeit bzw. Exotismus fördern. In diesem Sinn muss man zumindestens drei Typen von Events unterscheiden: Länder-Veranstaltungen, die kein „Integrations“-Ziel haben und sich allein für die menschliche Kulturleistungen interessieren; die Räume, die Migranten selbst schaffen, um sich mit ihren Landsleuten zu treffen und antirassistische Wochen im klassischen Sinn. Auch wenn Exotismus-Feiern wie interkulturelle Wochen Elemente dieser Formate haben können, erreichen keinesfalls die Ziele, welche diese legitimen Räume haben.
Zur erstgenannten Kategorie gehören Events, die andere Länder und Kulturen thematisieren, sich aber inhaltlich von interkulturellen „Federschmuck-Wochen“ unterscheiden. Es handelt sich um Ereignisse, in denen man einfach einen Gegenstand – Literatur, bildende Kunst u.a. – in alle seinen Formen genießt bzw. genießen will. Das ist der Fall von Buchmessen mit Länderthemen. Migranten stehen dabei nicht im Mittelpunkt und auch Toleranzförderung oder Rassismusbekämpfung sind nicht das Ziel. In solchen Räumen findet man neben oder statt der nigerianischen Trommler den Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Durch die Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht, kann es gelingen, Normalität herzustellen.
Bei dem zweiten Typ von Event treffen sich Menschen aus Ländern oder Regionen in dem Versuch, für ein paar Momente ein bisschen Heimat wieder zu erleben. Das ist z.B. der Fall bei Ethno-Medien, Länderfesten oder gemeinsamem Essen, welche von Migranten organisiert werden und die in erster Linie sich selbst als Zielpublikum haben, auch wenn andere willkommen sind. Das Konzept stellt Migranten in den Mittelpunkt und das Ziel ist es, die Selbstverständlichkeit wiederherzustellen, die man „zu Hause“ hatte und die jeder sucht, denn, wie Johann Gottfried von Herder sagte, „Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss“. Es besteht hier kein Raum für Exotismus, denn das, was „exotisch“ für die anderen ist, ist für das Eigene selbstverständlich. Das ist der Fall, wenn Nigerianer sich treffen, manche trommeln, während andere diese Kunst bewundern, weil nicht alle von ihnen dies können. Es ist ebenfalls so, wenn Brasilianer zusammen Samba tanzen: junge, alte, dünne, dicke, klein, große und die meistens ohne Feder am Kopf. Es ist da, wo es keinen Sinn für den Iraner macht, zu sagen, wer er ist und wo er lebt. Feuilleton Leitartikel Meinung
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Vielen Dank für diese besonders differenzierte und einleuchtende Perspektive!
Es liegt im Übrigen in der Natur der Sache, dass alles was betont hervorgehoben wird eben nicht selbstverständlich dazugehört, ehrlich rüberkommt.
Stellen Sie sich mal eine Mutter vor, die ihren Gesprächspartnern stets erzählt, dass sie ihre Kinder liebt.
Überspitzt würde man sagen. Wer es auf der Zunge trägt, trägt es nicht im Herzen.
Die gute Absicht allein reicht dann doch nicht immer …
Danke für diesen reflektierten Beitrag, der zumindest infrage stellt, was Sinn und Zweck von „interkulturellen Festen“ ist. So manches „interkulturelle“ Fest ist nicht „inter“-kulturell in dem Sinne, dass die Kulturen interagieren, sondern lediglich „multi“-kulturell: Ein Nebeneinander der (exotischen) Kulturen wird zelebriert. Das kann für alle Beteiligten schön anzusehen und mitzumachen sein, verfestigt aber Stereotype. Vielleicht kann man es häufiger bei interkulturellen Festen mit einem interkulturellen Konzept versuchen, welches interkulturelle Interaktionen zelebriert.
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