Der schwierige Weg zur Normalität

Über Völkerschauen und interkulturelle Wochen

Jahr für Jahr werden in vielen Städten interkulturelle Wochen organisiert. Da tanzen halbnackte Brasilianerinnen oder Mexikaner mit Sombrero. Dr. Liriam Sponholz erinnern diese Veranstaltungen an Ethno-Shows zu Zeiten des Kolonialismus.

„Zwei Nigerianer trommeln im Stuttgarter Rathaus“ – so beginnt ein Artikel der FAZ zum Thema „Integration“. Der Text aus der FAZ fasst gut den Geist zusammen, der vielen interkulturellen“ Veranstaltungen innewohnt. So auch wieder im Oktober geschehen, als bundesweit unter dem Motto „Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern“ sogenannte „Interkulturelle Wochen“ durchgeführt worden sind, um „viel zu erfahren über die Kulturen des Anderen“. Im Rahmen dieser einwöchigen Shows konnten die Besucher an Workshops unter dem Titel „Show Racism the red card“ teilnehmen oder direkt daneben beim interkulturellen Familiennachmittag mit Trommelworkshop mitmachen.

Bei diesen Veranstaltungen wollen alle etwas bewegen, sowohl die halbnackten Brasilianerinnen mit ihrem Federkopfschmuck oder der Mexikaner mit seinem Sombrero als auch die honorigen Teilnehmer an Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Solche Räume, die häufig Toleranz fördern und Rassismus bekämpfen möchten, werben mit dem Unterschied, mit Events nach dem Motto „Iraner: wer sie sind, wo sie leben“. Die Unterschiede sind gefunden und werden sogar gefeiert.

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Die Werbung mit dem Unterschied ist keine neue Erfindung, insbesondere nicht in Europa. In früheren (und vielleicht vergessenen?) Zeiten des Kolonialismus, waren Ethno-Shows und Menschenzoos von Portugal bis nach Deutschland (wo sie als „Völkerschau“ bekannt wurden) beliebte Veranstaltungen für die Einheimischen. Darin wurde das „Abnormale“ dargestellt: von behinderten Menschen bis zum „Wilden“, von Kleinwüchsigen bis zum Tupinamba-Indianer. Die „Künstler“ waren zum Teil versklavt, ein Teil erhielt aber auch bezahlte Aufträge. Die bekannteste Ikone solcher Menschenzoos war wahrscheinlich die „Venus der Hottentoten“, eine Frau, die beide Kategorien geradezu ideal erfüllte: schwarz und entstellt.

Solche Shows genossen vor allem im 19. Jahrhundert eine große Popularität auf dem Kontinent. Sie wurden aber z.B. in Hamburg bis in die 30iger Jahre hinein organisiert. Das Ziel war klar: die Minderwertigkeit anderer Völker in ihrer ganzen Wildheit zu zeigen, um zu rechtfertigen, dass sie dringend zivilisiert bzw. kolonisiert werden mussten.

Nicht, dass alle Zuschauer die Botschaft so gelesen haben. Der Historiker Pascal Blanchard und seine KollegInnen erinnern ihre LeserInnen daran, dass solche Menschen-Zoos ebenfalls Bewunderung für manche Kulturen und für die physische Attraktivität der „Exoten“ unter den Zuschauer weckten. Ob sich die Zuschauer allerdings mit den „Wilden“ identifizieren konnten oder, ob sie die „Attraktionen“ als Menschen wie sie selbst ansehen konnten, ist jedoch zu bezweifeln.

Was aber haben diese Menschen-Zoos mit heutigen Veranstaltungen gemeinsam, die eigentlich Rassismus bekämpfen wollen? Was haben Diskussionsabende wie „Abenteuer Pakistan“, „Moskauer Männerchor“ oder „Ni Hao – Hallo, wie geht’s?!“ mit Völkerschauen zu tun? Körperliche Entstellungen, die neben der Wildheit den Kern der Menschen-Zoos ausmachten, stehen heute nicht mehr im Mittelpunkt. Stattdessen präsentiert man kulturelle Unterschiede. Das Ziel dabei ist eigentlich genau entgegengesetzt zu dem der Völkerschauen: Es geht darum, andere Kulturen zu schätzen. Damit ist es aber nur eine andere Seite der gleichen Medaille. Es sind die die zwei Seiten des „Anderen“, des Abnormalen, des Exoten: gestern der Wilde, heute der Migrant.

Das soll keinesfalls bedeuten, dass alle Veranstaltungen, die andere „Kulturen“ und Länder thematisieren, Andersartigkeit bzw. Exotismus fördern. In diesem Sinn muss man zumindestens drei Typen von Events unterscheiden: Länder-Veranstaltungen, die kein „Integrations“-Ziel haben und sich allein für die menschliche Kulturleistungen interessieren; die Räume, die Migranten selbst schaffen, um sich mit ihren Landsleuten zu treffen und antirassistische Wochen im klassischen Sinn. Auch wenn Exotismus-Feiern wie interkulturelle Wochen Elemente dieser Formate haben können, erreichen keinesfalls die Ziele, welche diese legitimen Räume haben.

Zur erstgenannten Kategorie gehören Events, die andere Länder und Kulturen thematisieren, sich aber inhaltlich von interkulturellen „Federschmuck-Wochen“ unterscheiden. Es handelt sich um Ereignisse, in denen man einfach einen Gegenstand – Literatur, bildende Kunst u.a. – in alle seinen Formen genießt bzw. genießen will. Das ist der Fall von Buchmessen mit Länderthemen. Migranten stehen dabei nicht im Mittelpunkt und auch Toleranzförderung oder Rassismusbekämpfung sind nicht das Ziel. In solchen Räumen findet man neben oder statt der nigerianischen Trommler den Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Durch die Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht, kann es gelingen, Normalität herzustellen.

Bei dem zweiten Typ von Event treffen sich Menschen aus Ländern oder Regionen in dem Versuch, für ein paar Momente ein bisschen Heimat wieder zu erleben. Das ist z.B. der Fall bei Ethno-Medien, Länderfesten oder gemeinsamem Essen, welche von Migranten organisiert werden und die in erster Linie sich selbst als Zielpublikum haben, auch wenn andere willkommen sind. Das Konzept stellt Migranten in den Mittelpunkt und das Ziel ist es, die Selbstverständlichkeit wiederherzustellen, die man „zu Hause“ hatte und die jeder sucht, denn, wie Johann Gottfried von Herder sagte, „Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss“. Es besteht hier kein Raum für Exotismus, denn das, was „exotisch“ für die anderen ist, ist für das Eigene selbstverständlich. Das ist der Fall, wenn Nigerianer sich treffen, manche trommeln, während andere diese Kunst bewundern, weil nicht alle von ihnen dies können. Es ist ebenfalls so, wenn Brasilianer zusammen Samba tanzen: junge, alte, dünne, dicke, klein, große und die meistens ohne Feder am Kopf. Es ist da, wo es keinen Sinn für den Iraner macht, zu sagen, wer er ist und wo er lebt.

Anti-Rassismus-Veranstaltungen, die dritte Event-Art, dürfen per Prinzip kein Raum sein, wo Unterschiede hervorgehoben werden sollen (auch wenn man sie erkennt und anerkennen muss, genauso wie die Gemeinsamkeiten). Rassismus ist laut Definition der Antirassismus-Konvention der UN „die Kategorisierung, die Bewertung einer Gruppe von Menschen und die Verallgemeinerung mit der Funktion, sie zu benachteiligen oder zu begünstigen“. Unterschiede zu erkennen ist per se kein Bestandteil von Rassismus. Um eine Gruppe von Menschen zu kategorisieren und abzuwerten ist aber die Konstruktion und Hervorhebung von Unterschieden unabdingbar.

Es geht nicht darum, Unterschiede zu leugnen. Wenn man aber Rassismus bekämpfen will, muss man die so oft vergessenen, aber ebenfalls existierenden Gemeinsamkeiten hervorheben und vor allem die Ungleichwertigkeit, die auf Basis der Betonung von Unterschieden gebaut wird, kritisieren. Anti-Rassismus-Veranstaltungen richten sich in der Regel an alle Gruppen, können aber per Definition Migranten nicht einen Platz als „die Anderen“ einräumen. Aus diesem Grund können Veranstaltungen, die für sich beanspruchen, Rassismus zu bekämpfen, nicht im Kontext von „Völkerschauen“ stattfinden und auch nicht im Fall von „interkulturellen Wochen“.

Events, die versuchen, Rassismus zu überwinden, sind sicherlich keine Räume der Selbstverständlichkeit. Das Gegenteil ist der Fall: Sie sollen den selbstverständlichen, alltäglichen Rassismus problematisieren und diskutieren. Menschen, die Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, sollten einen Platz in den Diskussionen bekommen (und zwar nicht als Trommler). Es hilft ebenfalls nichts, das Problem wieder zu verschleiern, indem man diejenigen, die im Alltag Erfahrungen mit Rassismus gesammelt haben, über ihr Heimatland reden lässt. Rassismus ist zudem kein Phänomen, bei dem Migranten allein auf der Bühne stehen sollten und alle Blicke verdienen. Rassismus zu überwinden ist jedoch unerlässlich, um Selbstverständlichkeit und damit Normalität in den intergruppalen Beziehungen zu schaffen.

Man kann argumentieren, dass solche gut gemeinten interkulturellen Veranstaltungen nicht nur auf Unterschiede setzen. Tatsächlich wird der Begriff „Migrant“ nicht nur auf der Differenz zu den Einheimischen definiert, sondern auch über „Gemeinsamkeiten“ einer Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Geschichten usw. Für den Iraner kann aber die Brasilianerin genau so exotisch sein wie für einen Deutschen. Darum können „Migranten“ genauso wie „Einheimische“ die „Fähigkeit“ haben, Andersartigkeit zu befördern. Sie können Exotismus-Feiern selbst problemlos mitveranstalten.

Für Deutsche und für viele Migranten mögen sich Exotismusveranstaltungen als äußerst unterhaltsam erweisen. Welches ist aber das Ziel? Und was sind die Folgen? Ein wesentliches Element um Menschen als gleichwertig anzuerkennen, ist Identifikation (nicht mit Identität zu verwechseln). Aus der Perspektive der Einheimischen bleibt die Frage, wie man sich mit dem „Anderen“ identifizieren soll, wenn man nur Unterschiede sieht. Auf der anderen Seite werden Migranten daran gehindert, sich als selbstverständlichen Teil ihrer neuen Heimat zu fühlen. Beide Einstellungen sind sine qua non für etwas, was alle (vermutlich) erreichen wollen: Normalität.

Wenn es das Ziel ist, dann gehören Migranten-„Kulturen“ nicht in eine solche einwöchige Show“, sondern in den Alltag. Für diesen Zweck sind auch „Internationale Frauenstammtische“, mit dem Ziel, „sich spielerisch mit der eigenen Wahrnehmung für Fremdes und Vertrautes auseinanderzusetzen“ keine Hilfe. Das Gegenteil ist der Fall.

Das Zusammenleben auch anders gestaltet werden kann, zeigt sich mitunter in den Medien, wenn z.B. der Baklava genauso wie die Bayerische Creme in der Kochshow von Lafer zum Thema wird, der pakistanisch-stämmige Professor in die Klimaberichterstattung (und nicht in die Migrationsberichterstattung) zu Wort kommt oder die türkischstämmige Sprecherin durch die Tagesschau führt (und nicht Splittersendungen moderiert).

Wenn das im Alltag nicht erfolgt, dann muss man das mit klaren Worten ansprechen und öffentliche Räume schaffen, um dies zu diskutieren und zu überwinden. Zusammenleben kann nicht durch die Betonung der Andersartigkeit gefördert werden. Kein Mensch beginnt einen Dialog mit einem anderen, in dem man über Differenzen redet, sondern in dem man Gemeinsamkeiten findet.