Porträt
Der algerische Autor Kateb Yacine
Kateb Yacine gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der modernen maghrebinischen Literatur in französischer Sprache. Trotzdem ist der Autor in Deutschland kaum bekannt.
Von Delia Friess Freitag, 01.08.2014, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.08.2015, 14:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Aufbegehren gegen die französische Kolonialmacht, die Integration in das koloniale System, Identitätssuche zwischen Tradition, Moderne und Kulturenvielfalt – die persönlichen Konflikte der Figuren in der Literatur Yacines spiegeln die Gesellschaft im kolonialen und postkolonialen Algerien wider. Auch Gefühle wie Fremdheit und Entfremdung sind in Yacines Literatur zentrale Themen. Der Literat schrieb zunächst in der Sprache der Besatzer um Algeriern im Ausland eine Stimme zu geben: Yacine nannte das Französische die „Kriegsbeute“ der Algerier.
Der Roman Nedjma gilt als eines der wichtigsten Werke Yacines. Die deutsche Übersetzung des Romans ist unter dem Titel Nedschmavon Walter Maria Guggenheimer erschienen. Der Roman, erstmals 1956 in Paris publiziert, wurde kurze Zeit später von der Zeitung „Die Welt“ zur „literarischen Sensation“ erklärt. Die Handlung spielt in Algerien: Alle vier Protagonisten lieben Nedjma, Tochter einer Französin und eines arabischen Scheichs. Laut Yacine soll Nedjma real existiert haben und wie im Roman eine unglücklich mit ihrem Bruder verheiratete Frau gewesen sein. Im Roman ist Nedjma auch die Projektion sexueller Fantasien und eines ungestillten Verlangens. Allegorisch scheint die Figur einerseits für „die unersättliche Französin“ – also für kulturelle Fremdheit und koloniale Ausbeutung zu stehen. Andererseits repräsentiert Nedjma ein gesellschaftlich zerrüttetes Algerien ˗ die Rivalität der vier Männer steht dabei symbolisch für die verschiedenen Parteien, die mit den unterschiedlichsten Mitteln den Kampf gegen ein kolonialisiertes Algerien kämpfen.
Auch Yacine engagierte sich für die Freiheit Algeriens: 1945 nahm er als 16-Jähriger an der Demonstration in Sétif teil. Die Aufständischen in der Heimatstadt des Autors forderten die Unabhängigkeit des Landes. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und forderte 45.000 Tote. Yacine kam vier Monate in Haft und emigrierte wenig später nach Frankreich. In Paris traf er Brecht, Camus und Sartre. 1954 musste er Frankreich aufgrund seiner kritischen Haltung im Kontext des beginnenden Algerienkrieges verlassen und lebte seitdem in verschiedenen Ländern.
Neben der politischen Aussagekraft ist auch die Ästhetik seiner Literatur revolutionär: Sie bewegt sich zwischen westlichen Literaturformen und traditionellen Mythen. Unter Wissenschaftlern galt die Literatur von Yacine lange als schwer zugänglich: Man müsse sie erahnen, könne sich ihr aber nicht rational nähern. Nach dem Unabhängigkeitskrieg kehrte Yacine in sein Land zurück und gründete eine Theatergruppe, mit der er durch das Land reiste und Theaterstücke auf Arabisch aufführte. Die Idee dahinter: Ein Theater à la Brecht mit dem Ziel, Traditionen im postkolonialen Algerien wiederzubeleben und kritischen Stimmen einen Raum zu geben.
Der Einfluss Yacines ist in Algerien heute unbestritten. So sind laut des französischen Schriftstellers Gilles Carpentier Themen wie Kulturkontraste und Identitätssuche im gegenwärtigen Algerien nach wie vor aktuell: „Ich glaube, dass die Wichtigkeit Kateb Yacines darin begründet ist, dass er keine Brücken zwischen Orient und Okzident konstruiert. Er hat vielmehr die Tendenz, diese Brücken zu kritisieren und zu zeigen, dass es künstliche Brücken sind und in der Realität Konflikte bestehen.“ Dabei gab sich Yacine niemals mit pauschalen Urteilen zufrieden. In Zeiten aufbrechender Konflikte zwischen westlichen und islamisch geprägten Staaten sollte diesem Autor auch im deutschsprachigen Raum mehr Beachtung geschenkt werden. 1989 starb Kateb Yacine in Frankreich an Leukämie. Zwei Jahre zuvor wurde ihm in Frankreich der Grand prix national des Lettres verliehen. Aktuell Rezension
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Eigentlich wäre es an der Zeit, daß in Algerien jüngere Schriftsteller zum Zuge kämen, die nach dem Unabhängigkeitskrieg und während der Re-Arabisierung in der Schule Hocharabisch gelernt haben und in dieser Sprache schreiben können und wollen und keine islamfeindliche Ausrichtung haben. Der algerische Erneuerer ´Abd al-Hamid ibn Badis (1889–1940) sagt in einem seiner Gedichte:
„Das Volk von Algerien ist muslimisch und gehört dem Arabertum an.“
Auf Kateb Yacine trifft diese Beschreibung nicht zu. Die Berber in Algerien sind nur eine Minderheit, und es wäre naheliegender, als gemeinsame Sprache neben ihrer Muttersprache Amazight das Arabische dem Französischen vorzuziehen. Durch die Einpflanzung des Französischen anstelle des Hocharabischen ist es der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich weitgehend gelungen, den „arabischen“ Maghreb vom arabischen Osten abzutrennen („Teile und herrsche“), da die arabischen maghrebinischen Dialekte dort nicht verstanden werden. Ich bezweifele, daß Kateb Yacine in den östlichen arabischen Ländern ebenso bekannt ist wie im Westen. Mit seiner religionsfeindlichen Einstellung rennt er in Europa offene Türen ein, während er in der Islamischen Welt nach deren religiösem Wiedererwachen eher auf Ablehnung stoßen dürfte. Man kann als algerischer Berber auch ein guter Muslim sein und die arabische Sprache lieben, da sie diejenige des Korans und des Propheten und seiner Gefährten ist.