Schule

Von guten und anderen Lehrern

Es gibt unzählige Geschichten, die von guten Lehrer-Schüler-Beziehungen erzählen. Viele Menschen würden die Förderung und Unterstützung durch ehemalige Lehrer unter keinen Umständen missen wollen. Doch es geht nicht allen so.

Von Nurulhuda Hajjir Donnerstag, 10.04.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.04.2014, 21:47 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Irgendwie war es richtig schlimm. Wie ein Hasskrieg zwischen zwei Erwachsenen.“ – So beschrieb mir kürzlich ein Jugendlicher die Beziehung zu seinem ehemaligen Klassenlehrer in der Grundschule. Es waren unangenehme Jahre für ihn, er fühlte sich ständig eingeschüchtert und abgelehnt. Er kann heute nicht genau sagen, ob sein Lehrer feindlich gesinnt war und ihn deshalb für dumm hielt, oder ob er einfach nicht in dessen „Schema“ passte. Obwohl er heute ein aufgeweckter und erfolgreicher junger Mann ist, sieht er vieles in dieser prägenden Erfahrung begründet.

Es gibt unzählige Geschichten, die von guten Lehrer-Schüler-Beziehungen erzählen. Viele Menschen würden die Förderung und Unterstützung durch ehemalige Lehrer unter keinen Umständen missen wollen. Wenn ich heute über mich selbst nachdenke, muss ich meinen Lehrern tatsächlich vieles danken. Deshalb fühle ich mich immer schlecht, wenn ich an unseren Freund denke, weil ich fast nur gute Lehrer hatte, die an mich glaubten und mich zu vielen Dingen befähigten, während er als junges Kind Ablehnung erfuhr und auf sich allein gestellt war.

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Wie gerne hätte ich diesem Jungen meine Lehrerin geschenkt. Er erzählte mir zum Beispiel, dass sein Lehrer, wenn er etwas nicht verstand, geradeheraus fragte, ob er vielleicht dumm sei – natürlich laut vor der Klasse. Oder für die Frage der gymnasialen Empfehlung nur ein Kopfschütteln übrig hatte. Drei Jahre war er sein Klassenlehrer, und er fühlte sich zu dessen Feind erklärt. „Er hatte mich ständig auf dem Kieker“.

Ob solche Herabsetzungen im Klassezimmer rassistisch motiviert sind, kann oft, aber nicht immer greifbar belegt werden. Häufig sind sie es, denn mit den Mutmaßungen, dass Kinder mit Migrationshintergrund weniger können, sind wir alle mindestens einmal während unserer Schullaufbahn konfrontiert worden. Beispiele hierfür gibt es genug. Englischlehrer zu einer Freundin: „Gib dir nicht zu viel Mühe, du landest sowieso hinterm Herd.“

Vielleicht kam deshalb eines Tages mein Lehrer auf mich zu, um mich zu überzeugen, Lehrerin zu werden. Die Schule müsse die Gesellschaft widerspiegeln. Es dürfe nicht sein, dass Bildungsinstitutionen Schülern mit Migrationshintergrund zum Erfolg verhelfen sollen, ohne selbst dafür reale Beispiele und Vorbilder zu bieten. Ja, vielleicht der größte Systemfehler in unserem Bildungsapparat. Jetzt, ein paar Jahre später, denke ich manchmal mit Weh daran, nicht Lehrerin geworden zu sein.

Eine Lehrerin erzählte uns einmal, sie würde bei der Korrektur von Klassenarbeiten erst im Nachhinein den Namen des Schülers lesen, weil sie die Arbeit sonst mit völlig anderen Augen korrigieren und so zu einem verzerrten Ergebnis kommen würde. Sie machte dabei keine ethnische, sondern eine leistungsorientierte Unterscheidung; Arbeiten von Einserkandidaten las sie viel wohlwollender. Voreingenommenheit kann also abtrainiert werden? Ich fand das sehr ehrlich, auch wenn es mich im ersten Moment geschockt hat.

Das große Dilemma solcher Beziehungen ist nicht nur, dass Kinder vieles, was Bezugspersonen von sich geben, für bare Münze nehmen. Ihre Meinung wird vom Kind nicht als subjektive Meinung gewertet, sondern als Fakt. Das Fremdbild des Lehrers wird allmählich zum Selbstbild; der Lehrer sagt, ich kann nichts, also kann ich nichts. Der Lehrer findet mich dumm, also bin ich dumm.

Das ist das eine. Das andere, vielleicht bedrückendere, ist der Dominoeffekt. Befinde ich mich einmal in so einem „kalten Krieg“ mit einem Lehrer, habe ich womöglich für immer Schwierigkeiten mit dem ganzen System Schule. Wenn sich ein Kind auf Dauer nicht angenommen fühlt, kann es sich auf den nächsten Schultag wohl kaum freuen – falls so etwas überhaupt möglich ist, geschweige denn Lernmotivation zeigen. Die Kein-Bock-Haltung ist die Folge, frei nach dem Motto Schule kann mir den Buckel runterrutschen. So wird ein Denkmechanismus zum Zwecke des Selbstschutzes adaptiert (Schule kann nur so viel bedeuten, wie zugelassen wird). Das Kind beteiligt sich, wenn überhaupt, nur zögernd am Unterricht und hegt destruktive Selbstzweifel. Misserfolge im späteren Werdegang werden dann nicht als potenzielle Konsequenz dieser Selbstzweifel und Demotivation gewertet, sondern als Bestätigung des ohnehin vorhandenen negativen Selbstbildes. Diese Folgen und Reaktionsketten sind real und kontraproduktiv, denn Erfolgserlebnisse brauchen Ressourcen.

Vorbereitung, Engagement oder Unterstützung als auch indirekte Ressourcen wie Motivation, Selbstbewusstsein und Ausdauer spielen dabei eine Rolle. Und eben letztere können durch prägende konfliktbelastete Beziehungen zu einer Lehrkraft geschwächt und in der Folge als Ursache für mangelnde Erfolgserlebnisse zum Tragen kommen.

Es ist nicht so, dass ausschließlich Lehrer Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg des Schülers tragen. Der Bildungserfolg muss von der gesamten Institution Schule getragen werden, nicht von den einzelnen Akteuren. Wie können wir von Einzelpersonen erwarten, dass sie trotz gegebener, suboptimaler Rahmenbedingungen gute Ergebnisse erzielen und die allgemein gültigen Standards erfüllen?

Trotz alledem ist die Kraft des Einzelnen nicht zu unterschätzen. Der Lehrer ist der direkte Promoter, wenn man so will. Für Kinder, deren Eltern oder Großeltern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen oder einen anderweitigen Einwanderungsweg gegangen sind, spielen Lehrer eine noch größere Rolle. Weil sie oftmals Vorbilder entbehren müssen, kann ein engagierter Lehrer hier einen extrem hohen Beitrag leisten. Viele Kinder nichtdeutscher Eltern haben nicht dank, sondern trotz der Haltung ehemaliger Lehrer Karriere gemacht. Lehrer, deren Einsatz und Sympathie noch lebenslang nachhallen, gibt es ebenfalls zuhauf. Anerkennung kommt hier meist viel zu kurz. Alle Plädoyers in diese Richtung sind mehr als berechtigt.

Mit dem Lehrerberuf ist es zugegeben nicht leicht. Wenn Lehrer ihren Job gut machen, können die Früchte beeindruckend sein, trotz fehlender unmittelbarer Resonanz und trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen. Dennoch sind Unterstützungsangebote und Empowerment für Schüler und Lehrer wichtig, um der Überforderung im Klassenzimmer entgegenzuwirken. Es ist deshalb nur fair, positive Erlebnisse und Gefühle zu kommunizieren.

Die Klassenlehrerin meiner Freundin war für sie eine große Inspiration. Sie hat ihr deshalb einige Jahre später ihre Abschlussarbeit gewidmet. Theoretisch könnte das genannte Gegenbeispiel, unser Freund, der sich tapferer durchschlagen musste, auch eine Widmung schreiben. Die würde sein ehemaliger Klassenlehrer sicherlich nicht lesen wollen. Wahrscheinlich würde er sich darin nicht einmal wiedererkennen. Aktuell Meinung

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  1. Ein sehr guter Beitrag. Gerade auch für Schüler die bildungsbezogene Vorbilder entbehren mussten spielen Lehrer eine besondere Rolle.

    Wohl denen, die gute und wohlwollende Lehrer hatten.

    Lehrer die an ihre Schüler glauben produzieren Schüler die an ihre Fähigkeiten glauben und sich durch ihre Defizite nicht entmutigen lassen.

    Zu dem Thema empfehle ich auch meine Website:
    http://www.mig-gesundheit.com

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)