Bades Meinung
Reich durch Einwanderung
Hinter das Motto „Reich durch Zuwanderung“ kann man, je nach Position und Perspektive, ein Ausrufezeichen, aber auch ein Fragezeichen setzen. Zur Debatte dazu stellte Prof. Klaus J. Bade auf der Berliner Stiftungswoche im Allianz Forum am 8.4.2014 acht Thesen auf. MiGAZIN dokumentiert seinen Vortrag:
Von Prof. Dr. Klaus J. Bade Donnerstag, 10.04.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.04.2014, 1:48 Uhr Lesedauer: 23 Minuten |
These I: Historischer Rückblick auf bedingten Reichtum durch Einwanderung
Eines vorweg: Migration ist in der Regel eine positive Auslese. Abgesehen von Flucht oder Vertreibung und von nur durch Sog der Bewegung selbst angezogenen Mitläufern in Massenbewegungen, gehen nicht Schwache, Ängstliche und Risikoscheue, sondern Starke, Mutige und Risikobereite, die ihre oder die Lage ihrer Familien in den Ausgangsräumen durch Migration verbessern wollen.
Bei der Bewertung von Einwanderungen in der jüngsten migrationshistorischen Vergangenheit konkurrieren kontroverse Positionen, von denen ich hier nur einige exemplarisch auswählen kann. Dabei frage ich hier nicht nach kultureller, sondern, im Blick auf aktuelle migrationskritische Debatten, nur nach wirtschaftlicher Bereicherung und auch dies nur aus der Sicht des Einwanderungslandes:
Da gibt es, erstens, den alten Streit zwischen der betriebswirtschaftlichen und der volkswirtschaftlichen Perspektive, zum Beispiel darüber, dass die sogenannte Gastarbeiterzuwanderung wirtschaftsgeschichtlich ein doppeltes Gesicht hatte: Sie hat, betriebswirtschaftlich gesehen, viele an der Rentabilitätsgrenze torkelnde Betriebe, zum Beispiel in der Textilindustrie, noch lange am Markt gehalten. Sie hat damit der Wirtschaft eine zweifelsohne schwerwiegende Reinigungskrise erspart. Sie hat, volkswirtschaftlich gesehen, damit aber auch den anstehenden Strukturwandel vertagt und dadurch später verschärft.
Daneben steht, zweitens, die volkswirtschaftliche Perspektive der öffentlichen Güter. Das gilt zum Beispiel für die Infrastruktur, deren sich ein Migrant von Beginn an bedient, zu der er aber nichts beigetragen hat, wenn er kommt. Deshalb kann, so betrachtet, von einem für das Einwanderungsland gewinnbringenden wirtschaftlichen Beitrag also vielleicht erst nach Jahrzehnten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung geredet werden.
Es gibt, drittens, in der Arbeitnehmerperspektive die umstrittene ‚Unterschichtungsthese‘. Sie zentriert in der Vorstellung, dass die funktionale und soziale ‚Unterschichtung‘ deutscher durch ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bereichsweise den betrieblichen und sozialen Aufstieg der deutschen erleichtert hat.
Und es gibt, viertens, die begründete Einschätzung, dass das deutsche ‚Wirtschaftswunder‘ im Blick auf den Arbeitsmarkt in der erlebten Form keine Chance gehabt hätte ohne ergänzende starke Ausländerbeschäftigung, auch nicht mit den Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit und mit den Zuwanderern aus der DDR bis zum Mauerbau und erst recht nicht danach. Daraus kann man historische Dankbarkeit gegenüber seinerzeit den oft gering geschätzten und abschätzig behandelten Pionieren der sogenannten Gastarbeiterwanderung ableiten.
Dagegen steht, fünftens, die rückblickende Einschätzung von Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Er glaubt, dass die Gastarbeiterbeschäftigung ein historischer Irrweg gewesen sei. Sie habe am Anfang den erwähnten zukunftsweisenden strukturellen und betrieblichen Modernisierungsdruck vertagt und später, in der Strukturkrise mit Massenarbeitslosigkeit, die sozialen Folgekosten erhöht.
Das akzeptiere ich so nicht, denn: Zum einen halte ich es, bei aller Ehrerbietung gegenüber einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der neueren deutschen Politikgeschichte, für unangemessen einer millionenstarken Bevölkerung, deren Großeltern und Eltern schon für dieses Land geschuftet haben, zu erklären, dass ihre Existenz die Folge eines historischen Irrtums sei.
Zum anderen waren die späteren Probleme von erhöhter Arbeitslosigkeit und Transferabhängigkeit nicht nur für den deutschen Sozialstaat folgenreich, sondern vor allem für die davon betroffene und inzwischen längst einheimische ausländische Arbeitnehmerschaft.
Und schließlich hätte es diese Folgeprobleme sicher weniger gegeben, wenn man sich, wie immer wieder vergeblich angemahnt, frühzeitig um die zureichende oder doch weitere berufliche und sprachliche Qualifikation dieser Einwanderer gekümmert hätte.
Dieser zentrale Aspekt von Integrationspolitik aber wurde in defensiver Erkenntnisverweigerung mit dem appellativen Dementi vertagt, die Bundesrepublik sei ‚kein Einwanderungsland‘. Es war von beschwörenden Vorstellung getragen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf und von der hilflosen Hoffnung, die ‚Zuwanderer‘ würden sich bei wirtschaftlichen Wachstumsstörungen wieder in Rückwanderer verwandeln. Solche Einschätzungen verkannten, dass der ‚Homo Migrans‘ 1 kein ökonomistischer Homunkulus ist, dessen Wanderungsverhalten nur dem reinen Lohnsog folgt.
All das gehört in den Bereich der kontrafaktischen Historiographie mit ihrer Frage, was wäre wohl gewesen wenn bzw. wenn nicht – wenn es also zum Beispiel Ausländerbeschäftigung als Massenerscheinung in Deutschland gar nicht gegeben hätte. Aus der Sicht der Gegenwart, die einmal die Zukunft der Vergangenheit war, ist es bekanntlich immer leichter, bewertend und auf jene Vergangenheit zu blicken, die heute Geschichte geworden ist; denn Historiker, aber auch Memoirenscheiber unterscheiden sich von Zeitgenossen dadurch, dass sie das Ende immer schon vorher kennen.
Ich sage im zeithistorischen Rückblick also nicht ‚reich‘ (oder arm), sondern ‚bedingt reich‘ durch Einwanderung, also zwar ‚reich‘, aber auch mit Folgekosten für beide Seiten. Damit aus der Zeitgeschichte zurück in die Gegenwart:
These II: Einwanderung ist auch heute nötig und schafft auch heute Probleme
Aber das ist kein Déjà-vu, denn der demo-ökonomische Hintergrund ist heute anders: Viele Eltern der Kinder von morgen sind gestern schon nicht mehr geboren worden und die ehemals starken Jahrgänge bereichern heute zunehmend die Rentnerpopulation, beschleunigt noch durch die fröhliche neue Rentenreform.
Deutschland braucht Einwanderung wie andere demographisch alternde und schrumpfende Wohlfahrtsstaaten in Europa. Aktuell gibt es starke Migrationsbewegungen innerhalb Europas – and the Winner is: Germany! 2,4 Millionen Ausländer waren 2013 sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt – Zuwachs 8 Prozent seit 2012.
Geredet wird von einem Triple Win-Business zu Gunsten von Ausgangsräumen, Zielländern und Migranten nach dem migrations- und sozialpolitischen Zauberspruch: Verwandle transferabhängige Arbeitslose aus krisengeschüttelten Ausgangsräumen mit hoher Arbeitslosigkeit in sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitskräfte in boomenden Zielländern mit starkem Arbeitskräftebedarf.
Das klingt einleuchtend. Aber vergessen wir drei Probleme nicht:
1. Viele kommen und gehen bald wieder: Einerseits kehren Sie Deutschland den Rücken, weil sie, auch aus sprachlichen Gründen, Jobs nur unter ihrem Qualifikationsniveau finden; andererseits ziehen sie weiter oder kehren zurück, weil die sogenannte deutsche Willkommenskultur in Wahrheit nur eine – jenseits von wenigen erfolgreichen ‚Welcome Centers‘ unbedingt nötige – Willkommenstechnik am Hauseingang ist und darüber hinaus eher ein appellativer Beitrag in aktueller Fortschreibung des alten Märchens von des Kaisers neuen Kleidern.
- Klaus J. Bade, Homo Migrans: Wanderungen aus und nach Deutschland – Erfahrungen und Fragen (Stuttgarter Vorträge zur Zeitgeschichte, Bd. 2), Essen 1994.
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Bei vielem, was in diesem Artikel gesagt wird, möchte ich laut ‚Bravo‘ rufen Bloß fürchte ich, hört es hier keiner, von denen, die es hören sollten. Besonders betrifft das die Aussage zum ‚Krieg gegen Flüchtlinge‘ , von dem niemand wissen will.
Ebenso die Analyse der Ursachen des zunehmenden rechten Gedankenguts, das überall wieder aufflammt. Die sozialpoltische und wirtschaftliche Situation, die K.J. Bade beschreibt, wäre m.E. noch durch den spezfisisch deutschen Umstand erklärend zu ergänzen, dass in diesem Land etwas wiedererwacht, was in Blüte stand, als die heutige Generation der Großväter und Großmütter sozialisiert wurde. Das schafft eine gefährliche Gemengelage.
Adrette liebe Seniorinnen, aufgewachsen in einer Zeit, da es durchaus noch allgemein in der weiblichen Bevlkerung üblich war, Kopttücher zu tragen, ziehen plötzlich ungewöhnlich aggressiv über heutige Frauen mit Kopftuch her, denen sie das Kleidungsstück am liebsten ‚vom Kopf reißen würden‘. So gehört neulich in einem ganz normalen bildungsbürgerlichen Verein. Die Vergangenheit ist von denen, die für sie Verantwortung tragen, nie richtig aufgearbeitet worden. Das Verdrängte kehrt zurück, auch in den Kindeskindern, so viel zur ‚german Kulturangst‘.