Ängste

Wer den Job verliert, neigt eher zu migrantenfeindlichen Einstellungen

Eine Analyse von SOEP Daten über die Jahre 1999 bis 2009 zeigt: Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, große Angst vor Arbeitsplatzverlust haben oder in einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit leben, haben deutlich mehr Tendenzen zu Fremdenfeindlichkeit.

Von Bram Lancee Montag, 24.03.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

In fast allen westlichen Gesellschaften stehen die Folgen der Zuwanderung ganz oben auf der politischen Agenda. Öffentliche Debatten werden teilweise kontrovers und emotional geführt. Negative Einstellungen gegenüber Migranten, die dabei zum Ausdruck kommen, können zu einem dauerhaften gesellschaftlichen Problem werden: Wenn Menschen strukturell diskriminiert werden, ziehen sie sich womöglich irgendwann aus der Gesellschaft zurück und bilden sogenannte Parallelgesellschaften. Die Sorge um solche Tendenzen prägt die Debatte um Vielfalt und sozialen Zusammenhalt entscheidend mit.

Zuwanderungsfeindliche Ressentiments sind normativ nicht wünschenswert – und haben ökonomisch ungünstige Folgen. Sie tragen dazu bei, dass die vorhandenen menschlichen Ressourcen nicht ausgeschöpft werden. Angesichts hoher Bevölkerungsanteile von Migranten sind Fragen der Einstellungen wirtschaftlich relevant; in Deutschland hat jeder Fünfte einen Migrationshintergrund (19,5 Prozent im Jahr 2011).

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Jeder Dritte besorgt
Negative Einstellungen zur Zuwanderung sind in Deutschland weitverbreitet. Im Sozioökonomischen Panel (SOEP) werden Menschen jedes Jahr zu ihren Hauptsorgen befragt. Rund 35 Prozent der Befragten geben an, über die Zuwanderung nach Deutschland sehr besorgt zu sein. Wie vorherige Studien gezeigt haben, sind solche Fragen nach Sorgen um dieses Thema zuverlässige Indikatoren für negative Einstellungen zur Zuwanderung.

Die sozialwissenschaftliche Forschung sucht nach Erklärungen für negative Haltungen gegenüber Zuwanderern. Es gibt dabei zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze: Die Theorie der sozialen Identität erklärt ablehnende Einstellungen gegenüber Zuwanderern mit einer tief verwurzelten und psychologisch wirksamen Unterscheidung zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“. Nicht die Ressourcenknappheit sei entscheidend für die Ablehnung, sondern eine allgemeinere und dauerhaft negative Einschätzung ethnischer Gruppen, die als „anders“ wahrgenommen werden.

Wettbewerb um knappe Ressourcen
Einen anderen Ansatz vertritt die Theorie der ethnischen Konkurrenz. Deren Vertreter argumentieren, vor allem sozioökonomisch Benachteiligte und schlechter Gebildete hätten den Eindruck, sie befänden sich mit den ethnischen Deutschen in einem Wettbewerb um knappe Ressourcen wie Arbeitsplätze, Wohnraum, wirtschaftliche Vorteile und soziale Transferleistungen. In dieser Gruppe gebe es deshalb zuwanderungsfeindliche Einstellungen. Diese Ressentiments gegenüber Zuwanderung werden als defensive Reaktion auf einen wahrgenommenen Wettbewerb um knappe Güter zwischen den verschiedenen Gruppen gedeutet. Besser Ausgebildete verträten dagegen tolerantere Werte, weil sie weniger stark mit Migranten konkurrieren.

Einzelne Aspekte der Theorie der ethnischen Konkurrenz wurde in einer WZB Studie auf der Grundlage der Daten des SOEP über die Jahre 1999-2009 überprüft. Die Analyse zeigt, dass ethnische Konkurrenz in Deutschland eine Haupttriebkraft für Fremdenfeindlichkeit in allen Bevölkerungsschichten sein könnte. Betrachtet man den zeitlichen Verlauf, dann lässt sich nachweisen: Der Verlust des Arbeitsplatzes (was breit verstanden wird und zum Beispiel das Auslaufen befristeter Verträge einschließt), erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten sich sehr besorgt zur Zuwanderung äußern, um 25 Prozent. Verliert jemand durch die Entlassung seinen Job, erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit sogar um 30 Prozent. Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich im Jahr nach einem Arbeitsplatzverlust zuwanderungsfeindlich äußern, steigt um 25 bzw. 30 Prozent.

Hohe Arbeitslosenquote = negative Einstellung
Auch unter jenen, die annehmen, bei einem potenziellen Arbeitsplatzverlust nur schwer eine neue Stelle finden zu können, steigt die Wahrscheinlichkeit zuwanderungsskeptischer Einstellungen, und zwar um 35 Prozent. Die Studie zeigt außerdem, dass der regionale Kontext einen Einfluss auf die Einstellungen hat. Steigt in einer Region die Arbeitslosenquote, nehmen auch die negativen Einstellungen gegenüber Zuwanderern zu.

Literatur: Lancee, Bram/Pardos-Prado, Sergi: „Group Conflict Theory in a Longitudinal Perspective: Analyzing the Dynamic Side of Ethnic Competition“. In: International Migration Review, 2013, Vol. 47, No. 1, pp. 106-131.

Diese Befunde gelten unabhängig von der sozialen Schichtzugehörigkeit. Die Studie bietet belastbare Belege dafür, dass die These der ethnischen Konkurrenz für alle Personen zutrifft, nicht nur für diejenigen, die auf lange Sicht stärker ökonomisch benachteiligt sind, also zum Beispiel die Unterschicht. Das heißt: Wenn Menschen unfreiwillig ihren Arbeitsplatz verlieren, wird ihre Einstellung gegenüber Migranten negativer, weil sie verletzlicher sind und sich akut einer Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sehen. Selbst wenn sie in Wirklichkeit möglicherweise gar nicht primär mit Migranten konkurrieren, nimmt die Feindseligkeit gegenüber Zuwanderern zu, weil sie als ethnische Bedrohung wahrgenommen werden. Diese Studie bestätigt daher die Theorie eines realistischen Gruppenkonflikts insofern, als eine Veränderung in der Verteilung knapper materieller Ressourcen die interethnische Feindseligkeit unabhängig von der jeweiligen sozialen Schicht erhöhen kann.

Die Befunde implizieren, dass Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt die Einstellungen der Deutschen zur Zuwanderung beeinflussen. Negative Haltungen zur Zuwanderung und zu Migranten können zu Diskriminierung oder einem wenig attraktiven Klima für Neuankömmlinge führen. Angesichts des aktuellen Zustroms neuer Einwanderer, etwa aus Spanien, Polen und Griechenland, ist dieses Thema in der heutigen vielfältigen, multiethnischen deutschen Gesellschaft von großer Bedeutung. Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Alex sagt:

    Sorgen über die Zuwanderung sollten nicht mit negativen Einstellungen gleichgesetzt werden. Wer die Daten vorliegen hat, kann leicht prüfen, dass es einen positiven Zusammenhang zwschen Sorgen über die Zuwanderung und Sorgen über Fremdenfeindlichkeit gibt. Die oben als „fremdenfeindlich“ bezeichneten Befragten machen sich also mehrheitlich Sorgen über die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, die zitierte Studie geht darauf nicht ein – fatal, wenn auf diese Weise mal wieder die Arbeitslosen diskreditiert werden müssen.