Völkermord an Herero und Nama

Übergabe von Schädeln und Gebeinen in Pappkartons und ohne Entschuldigung

An den Herero und Nama in Namibia verübten Deutsche den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Eine Entschuldigung fehlt bis heute, ebenso die Anerkennung des Genozids als Völkermord. Begründung: Damals gab es die UN-Völkermordkonvention nicht. Heute werden zumindest Schädel und Gebeine der Ermordeten, die zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht wurden, peu à peu zurückgegeben – ohne die Nachfahren der Opfer. Ein Plädoyer von Prof. Dr. Claus Melter.

Von Claus Melter Freitag, 07.03.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.03.2014, 21:37 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Berlin, 5.3.14. Eine Pressekonferenz der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), von Berlin Postkolonial und des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!“. Herero Israel Kaunatjike berichtet, dass kein Angehöriger der Herero und Nama zur Übergabe der Teile der Leichname eingeladen wurde, weder in Namibia noch in der afrikanischen Diaspora europäischer Länder und in Deutschland. Auch mehreren Pressevertretern wurde auf Anfrage an die Charité die Teilnahme verweigert.

Peggy Piesche verweist darauf, dass Erinnerung immer auch mit Anerkennung verbunden ist. Das Erinnern des Völkermordes an den Herero und Nama bedeutet auch eine Anerkennung der Toten, ihrer Leben und der Angehörigen und Nachfahren als Teil der gemeinsamen namibisch-deutschen, der gemeinsamen afrikanisch-europäischen Geschichte, unserer aller gemeinsamen Geschichte, als Teil der Zugehörigkeit von Personen afrikanischer Herkunft in und zu Deutschland.

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Erster Völkermord im 20. Jahrhundert
Diese Erinnerung an den Völkermord als Teil der deutschen Geschichte, als erster Völkermord im zwanzigsten Jahrhundert 1 vor den Augen der Welt und der Öffentlichkeit in Deutschland, 2 so Peggy Piesche, „ver-stört“ im Sinne von Stören, Verändern und Neudenken, den Blick auf das gesamte zwanzigste Jahrhundert, den Ersten Weltkrieg, den Holocaust – die beide nicht sinnvoll ohne den deutschen Kolonialismus und den damaligen Völkermord zu denken sind – und auch auf aktuelle neokoloniale Großmachtfantasien von Politikern wie Bundespräsident Gauck und Außenminister Steinmeier.

Peggy Piesche fügt hinzu, dass aktuell im Überbetonen der Ereignisse des Ersten Weltkrieges und eines medialen und politischen Verschweigens des deutschen Kolonialismus und des Völkermordes an den Herero und Nama eine Neuordnung der Erinnerung praktiziert wird. Tahir Della betont zudem, dass der ignorierende und rassistische Umgang mit Personen afrikanischer Herkunft systematische, historische sowie aktuelle Realität ist.

Parallelen zu 1884/1885
Moctar Kamara, Vorsitzender des Zentralrats der Afrikanischen Gemeinde, betont die Parallelen der heutigen Nicht-Einbeziehung kolonialisierter, ihrer Besitzstände beraubter und rassistisch verbal und körperlich angegriffener Personen, zur damaligen Berliner Kongo-Konferenz 1884/1885 in Berlin, wo europäische Politiker in kompletter Abwesenheit afrikanischer Politiker, den afrikanischen Kontinent unter sich als zu erobernde und auszubeutende Kolonien aufteilten und dies dann gewaltsam (weiter) umsetzten.

Auf dem Gebäude der Charité, wo die offizielle Handover Ceremony – ebenfalls – am 5. März 2014 stattfand, steht in großen Lettern der Satz: „Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae.” Übersetzt heißt dies: „Hier ist der Ort, an dem der Tod sich freut, dem Leben zu helfen.“ Dieser Satz, der ein Motto für die Begründung der Anatomie und Pathologie darstellt, kann im Kontext des von Deutschen 1904 bis 1908 verübten Völkermordes an den Herero und Nama so gedeutet werden:

Übergabe ohne Vertreter der Opfergruppen
Hier ist der Ort, an dem rassistische deutsche Forscher an den Schädeln und Gebeinen der im von Deutschen verübten Völkermord an den Herero und Nama (1904-1908 im heutigen Namibia) geforscht haben, um seit dem Zeitalter des deutschen Kolonialismus die rassistische und mörderische Ideologie der „weißen Überlegenheit“ angeblich wissenschaftlich zu beweisen.

In diesem Gebäude der Charité in Berlin wurden am 5. März 2014 die Gebeine von Herero und Nama seitens der Charité an das neue namibische Nationalmuseum übergeben. Keine Vertreterin und kein Vertreter der Opfergruppen der Herero und Nama, keine Angehörigen, keine Nachfahren dieser Gruppen waren eingeladen.

Was geschieht hier?
Was geschah, geschieht hier und was bedeutet das? Es wurde ein Völkermord begangen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Schädel und Gebeine ermordeter Personen wurden in das Land der Mörder transportiert, um diese nach rassistischen Kriterien zu erforschen. Erst 2008 – 100 Jahre nach dem Ende dieses Völkermordes – wurde die Tatsache durch einen Fernsehreportage öffentlich, dass Gebeine und Schädel der Opfer im Land der Täter in wissenschaftlichen Einrichtungen, Museen und in Privatbesitz in Deutschland vorhanden sind.

Die Angehörigen und Nachfahren konnten und können fast alle ihre ermordeten Väter, Mütter, Großmütter und Großväter, ihre Schwestern, Brüder, Töchter und Söhne noch immer nicht begraben und entsprechend der Beerdigungsrituale bestatten. 2011 gab es eine erste Rückgabe eines Teiles der Schädel ermordeter Herero und Nama seitens der Charité 3.

Eklat nach Forderung einer Entschuldigung
Diese Veranstaltung endete im Eklat, als eine Repräsentantin der Bundesregierung, die damalige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper, sich durch die Forderung „Entschuldigung jetzt!“, „Reparation now!“ und die Aussage „Völkermord verjährt nicht! angegriffen sah und vor der Rede namibischer Repräsentanten, es waren auch mehrere Minister anwesend, den Saal verließ.

Was ist da geschehen? Eine unterrangige Repräsentantin der Bundesregierung, des Nachfolgestaates des Landes, das den Völkermord verübt hat, eine Repräsentantin der Bundesregierung, die sich weder unter rot-grüner Regierung, noch schwarz-gelber und schwarz-roter Regierung für den Völkermord entschuldigt hat, stellt sich wegen seit hundert Jahren überfälliger und berechtigter Forderungen als Opfer dar. Die Repräsentantin der Täter inszeniert sich als Opfer.

Völkermord juristisch noch nicht strafbar
Der frühere Außenminister Joschka Fischer lehnte während seiner Amtszeit eine offizielle Entschuldigung für den Völkermord, der als historischer Fakt und in seiner Eigenschaft als Völkermord unbestritten ist, ab, da er Entschädigungsforderungen befürchtete. Der offizielle Standpunkt der Bundesregierung ist, dass der Terminus und die Strafbarkeit von Völkermord erst 1948 im internationalen Recht verankert wurde und der Völkermord 1904-1908 noch nicht juristisch strafbar war.

So antwortete die Bundesregierung auf die Frage: „Hat der Begriff des Genozids für die Bundesregierung ausschließlich eine juristische Bedeutung, die seine Anwendung auf Sachverhalte nach 1948, dem Entstehungsjahr der VN-Völkermordkonvention, beschränkt (bitte begründen)?“ 4

  1. vgl. Micha Brumlik 2004: Aus Katastrophen lernen?
  2. die Zeitungen in Deutschland berichteten damals fast täglich über Kriegsereignisse und der Völkermord war, ohne ihn so zu benennen, Gegenstand von Auseinandersetzungen im damaligen Parlament des Kaiserreiches in öffentlichen Sitzungen
  3. vgl. Kössler, Reinhart/Wegmann, Heiko (2011): Schädel im Schrank. Das düstere koloniale Erbe der deutschen Rasseforschung muss endlich aufgeklärt werden. Die Zeit Ausgabe 42/2011
  4. Anfrage der Linken C.M.
Aktuell Meinung

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  1. Welehamm sagt:

    Sehr geehrter Herr Prof. Melter,
    danke für die rechtliche Definition von Völkermord (ich meine das nicht zynisch). Vielleicht habe ich diese Definition außer Acht gelassen und habe mich nur auf die forensische Betrachtung gestürzt. Ob mit dem Schießbefehl von Trotta der Genozid begründet wurde, kann ich nicht beurteilen. Ich ziehe einmal einen Vergleich: Wenn unser neuer Freund Oleh Tjahnybok ruft: „Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten. Seid stark für unsere ukrainische Heimat.“ Hat dann Tjahnybok zum Völkermord aufgerufen? Hat sich unser Außenminister mit einem Völkermörder an einen Tisch gesetzt?
    Meine Bewertung erfolgt eher aufgrund der Analyse der praktischen Durchführbarkeit und der militärischen Ressourcen. Banal auf die Frage reduziert: wie viele deutsche Soldaten jagen wie viele Hereros in ein wie viele Quadratkilometer großes Gebiet.
    Militärisch standen – sehr optimistisch geschätzt – 4.000 deutsche Soldaten zur Verfügung. Die Omaheke ist 85.000 km² groß und diese überforderte Truppe (die Sanitätsberichte aus dieser Zeit sind niederschmetternd) will ein Naturvolk (60.000 Leute) verjagen? Das ist schlichtweg unmöglich. Die ganze Bewertung ist sehr eurozentrisch (großer weißer Mann mit Feuerkraft trifft auf unbewaffneten harmlosen und lieben Schwarzen) ohne die tatsächlichen Verhältnisse (ecophysical realities) zu berücksichtigen. Ich hätte mir gerne gewünscht, dass mit Herr Drechsler auf dem Waterberg stehend, mal erklärt hätte, wie eine handvoll ausgemergelter Soldaten (1500 Gewehre, 12 MGs, 30 Kanonen) ein ebenfalls bewaffnetes Naturvolk (6000 Gewehre) in einem Gebiet, das größer als Österreich ist, verjagt. Wer das für möglich hält, hat keine Ortskenntnis und war noch nie mit einem Einheimischen nachts in der Wildnis. Die Hereros sind – der Motive gibt es viele – Richtung Betschuanaland gezogen. Am 19. September hat v. Trotta notiert: „Wo sind die Herero geblieben?“ So schlicht und einfach war das.
    Wer in Namibia mit Hereros spricht, ist angenehm überrascht, wie frei und unbefangen mit der Kolonialgeschichte umgegangen wird. Generell sieht man das sehr entspannt und ich als Deutscher wurde nie des Völkermordes bezichtigt. Im Gegenteil, meint sprach immer sehr bewundernd über die Deutschen. Vielleicht ist das beim „kleinen Mann auf der Straße“ noch nicht so angekommen, dass Funktionäre Dollarzeichen in den Augen haben, aber das soll es auch anderswo geben. Aber das ändert sich bestimmt. „Von der Versöhnung zur Spaltung“ heißt der Artikel in der AZ, den ich jedem nur empfehlen kann: „Trotz des Krieges von 1904 war anschließend das Verhältnis zwischen den Herero und den deutschstämmigen Einwohnern Südwestafrikas/Namibias über Jahrzehnte hinweg nahezu ungetrübt. Ältere Herero begründeten dies in Gesprächen sinngemäß damit, die Deutschen hätten in der Auseinandersetzung zwischen beiden Völkern nun einmal den Sieg davongetragen, und so gebühre ihnen auch die Ehre des Stärkeren und Überlegeneren.“ Man braucht deutsche Professoren und Politiker, um Weltbilder umzuhängen. Hier der Link: http://www.az.com.na/politik/von-der-vershnung-zur-spaltung-spuren-der-entfremdung.146285.php

  2. posteo sagt:

    Sehr geehrter Herr Welemann,
    wenn nach dem Aufstand der Herero nur eben die aufständischen Männer in die Outbacks gejagt worden wären, dann wäre dass ein kriegerischer Konflikt gewesen, bei dem die Angreifer eben den kürzeren gezogen haben, soweit richtig.
    Da es die deutschen Truppen aber nicht dabei beließen, ihre Angreifer in die Flucht zu schlagen, sondern die Wasserstellen besetzten, um die Herero am Zugang zu hindern, macht die Sache schon rein kriegsrechtlich schwieriger.
    Aber die Soldaten trieben ja nicht nur die Männer der Herero sondern auch die Frauen und Kinder in die Outbacks und schnitten ihnen ebenfalls den Zugang zum Wasser ab. Und damit war der Tatbestand des Völkermords, „Zustände herzustellen, die mit dem Überleben im Allgemeinen nicht vereinbar sind“, erfüllt. Die Vernichtungsabsicht, die einem Völkermord zugrunde liegen muss, ist ebenfalls aus einer Rede oder einem Briefwechsel des General von Trotha belegt. Darin äußerte er sich sinngemäß so, dass er über den Treuebruch der Herero so enttäuscht sei, dass er sie am liebsten alle ausrotten wolle.
    Der Tatbestand des Völkermords ist erfüllt und historisch belegt, gleichgültig, wie versöhnlich die Herero den Deutschen heute begegnen.

  3. Welehamm sagt:

    Wir brauchen das hier nicht mehr zu strapazieren. Wenn ein deutscher Historiker heute behaupten würde, dass es keinen Genozid an den Hereros gegeben hat, der könnte seine Karriere an den Nagel hängen.

    Rein historisch gesehen lässt sich wenig an Quellen heute noch belegen. In der Zeit 1915/19 wurde vieles durch die Südafrikaner und im Februar 1945 durch Bombenangriffe auf das Militärzentralarchiv vernichtet. So gut belegt, wie manche Historiker vorgeben, ist relativ wenig. Zu der Qualität von Horst Drechslers Fernanalyse, wo vieles aus dem unsäglichen „Blue Book“ der Engländer kam, möchte ich mich nicht äußern.
    Leider deckt sich das, was Wolfgang Reith in dem oben zitierten Artikel schreibt, auch mit meinen Erfahrungen: Je besser einer Namibia und die Geschichte des Landes kennt, um so weniger sieht er einen Genozid. Es sei denn, er verdient damit sein Geld, oder hat sonstige Eigeninteressen. Dazu gehören auch Leute, die rückwirkend die Kolonialgeschichte ungeschehen machen wollen. Das war hier meine letzte Äußerung zu diesem Thema, den über Glaubensfragen ist ein Streit sinnlos.

  4. Amicus sagt:

    @Gero: Sie haben geschrieben:
    _________________________________________________________
    Sie haben in Ihrer Aufzählung die Türkei vergessen. Der Genozid an den Armeniern sollte Ihnen auch eine Zeile wert sein, wenn Sie sich an den Massenmorden Europas so stark aufhängen…
    _________________________________________________________

    Die Türkei hat KEINEN Völkermord begangen, alles was darüber erzählt wird, ist gegenstandslos.

    Meine erste Frage wäre, welche Beweise können Sie für Ihre Anschuldigungen vorlegen?

    Wie alle Andern werden auch Sie keine Beweise vorlegen können.
    – Wenn die Armenier doch recht und Ihre Beweise haben, wieso klagen sie nicht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?
    – Türkische Institutionen, sowohl der türkische Ministerpräsident persönlich haben dem armenischen Staat und der UN vorgeschlagen einen Ausschuss zu bilden, welcher aus Historikern und Experten beider und weitere Länder besteht. Mit diesem Ausschuss sollte dann endlich diesem Konflikt ein Ende gesetzt werden.
    Wieso wurde der Vorschlag nicht angenommen?

    Und zu Ihrer Information
    Die Vereinigung Schweiz-Armenien hatte einem türkischen Politiker eine Strafanzeige gestellt,
    da er in der Schweiz gesagt hatte, dass es keinen Völkermord an den Armeniern gegeben hat.
    Das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihn freigesprochen.
    EGMR Urteilte ECHR 370, 2013, 17.12.2013.
    Begründung:
    Das Leugnen des Genozids an den Armeniern ist als freie Meinungsäußerung zu werten, da bisher kein internationales Gericht den Völkermord an den Armeniern verbindlich festgestellt hat.

    Solange diese Fragen NICHT beantwortet werden, hat keine das Recht zu sagen dass die Türkei diese Straftat begangen hat.

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