Armutseinwanderung

Welche Immigranten „bereichern“ unsere Gesellschaft?

Deutschland leidet an einem Fachkräftemangel. Stimmt. Denn es fehlt an Politikern, die sich die Integration armer Einwanderer zutrauen. Dann – und nur dann! – hätte auch die viel beschworene Willkommenskultur eine reelle Chance.

Von Gabriele Voßkühler Dienstag, 25.02.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 28.02.2014, 2:35 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Welche Immigranten „bereichern“ unsere Gesellschaft und welche nicht? Eine Frage, die uns nicht erst seit gestern beschäftigt. Das Thema Armutseinwanderung hat jedoch die Debatte um die „Wertigkeit“ von Einwandern erneut angeheizt: Da gibt es die Fachkräfte, von denen wir nach Aussagen der Wirtschaft viel zu wenige haben und die auf Jobmessen in Spanien, Portugal oder Griechenland angeworben werden und da gibt es die „Armutseinwanderer“, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland kommen.

Fast siebzig Prozent der deutschen Bevölkerung spricht sich mittlerweile für eine Fachkräftezuwanderung nach Deutschland aus. Europaweit ist das ein Spitzenwert. Die Mehrheit der Deutschen begrüßt Immigration, aber eben nur so lange sie auch „Nutzen“ bringt. Was ist das eigentlich, ein „nützlicher“ Immigrant?

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Eine, die das wissen könnte, ist Franziska Giffey (SPD), Bezirksstadträtin in Berlin-Neukölln und zuständig für die Ressorts Bildung, Schule, Kultur und Sport. Ihr Bezirk gilt als „schwierig“: hohe Arbeitslosenquote und überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger. Seit 2009/2010 ziehen immer mehr Menschen aus Südosteuropa hierher, vor allen Dingen aus Bulgarien und Rumänien, darunter viele Roma. In Neukölln leben heute mehr als 10.000 Einwanderer aus diesen Ländern. Giffeys Blick auf diese Fakten fällt zunächst einmal positiv aus: „Wenn ich mir einmal anschaue, wie viele über den demografischen Wandel jammern, dann müsste man sich doch eigentlich über jedes Kind, das hier ankommt, riesig freuen.“

Armutseinwanderung als Propagandainstrument
Es freuen sich aber nicht alle. Die CSU hatte erst Ende Dezember mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ einen härteren Kurs gegen Arbeitsmigranten aus Rumänien und Bulgarien gefordert – und damit eine europaweite Debatte ausgelöst. Die Annahmen, die sich hinter diesem Slogan verstecken, sind mittlerweile allesamt widerlegt: „Rumänen und Bulgaren beziehen häufiger Sozialleistungen als andere EU-Ausländer“ – stimmt nicht. „Rumänen und Bulgaren missbrauchen Sozialleistungen im großen Stil“ – stimmt nicht. „Alle Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland kommen, sind Armutseinwanderer“ – stimmt auch nicht.

Und obwohl es in Deutschland mit den Worten von Manfred Schmidt, dem Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, „keine flächendeckende Armutseinwanderung gibt“, so bleiben da doch die Probleme einiger Kommunen: Berlin-Neukölln ist nur eine von ihnen, Mannheim, Frankfurt, Duisburg oder Dortmund sind andere.

Die Probleme der Kommunen
In diesen Kommunen leben viele arme Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Giffey erklärt die Gründe: „Es kommen sehr viele Menschen, die schon in ihren Heimatländern von Diskriminierung betroffen waren, und aus einer prekären Situation raus wollten. Bei uns kommen sie aber häufig wieder in eine prekäre Situation.“

Der Bund hat nun mehr finanzielle Hilfen versprochen: Das seit 1999 bestehende Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ soll von 40 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro aufgestockt werden versprach die neue Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) bei einem Treffen mit den Oberbürgermeistern mehrerer Großstädte Ende Januar in Berlin.

Menschen leben in Schrottimmobilien
In Duisburg, Frankfurt oder Berlin geraten arme Einwanderer häufig an skrupellose Abzocker. „Oft wird die Notlage, der Menschen, die hier ankommen, von dubiosen Vermietern ausgenutzt“, so Giffey zur Wohnsituation vieler Einwanderer aus Südosteuropa. „Schrottimmobilien“ nennt man im Behördendeutsch die Häuser, in denen viele dieser Menschen unterkommen.

Der Wohnungsbau-Manager Benjamin Marx von der Aachener Wohnungs- und Siedlungsbaugesellschaft hatte 2011 den Auftrag acht dieser Häuser in Berlin zu kaufen. Er kaufte das „Müllhaus von Neukölln“ und erinnert sich nur ungern an die Anfänge eines Wohnprojektes, das mittlerweile auch international Vorzeigecharakter hat: „Der Innenhof war völlig vermüllt. Zwischen den Ratten spielten zwei kleine Mädchen.“ Marx engagiert sich vor allen Dingen gegen eins – das ist die Ghettoisierung der Roma: Inzwischen leben in der Harzer Straße 65 viele Roma, aber auch Schweizer, Holländer, Franzosen und Deutsche. Eine bunte Mischung.

In Berlin-Neukölln bleibt das Wohnprojekt von Benjamin Marx die große Ausnahme. Andernorts ist die Regel eher: Einwanderer aus Südosteuropa in maroden oder überbelegten Gebäuden. So lange sich Vermieter und Mieter „einig sind“, kann man dagegen behördlich kaum vorgehen: „In die Wohnungen dürfen wir als Behörde erst wenn der Mieter Anzeige erstattet. Viele dieser Mieter haben aber Angst und tun das nicht“, kommentiert Dr. Giffey die Lage der Behörden.

Potenziale liegen in der Bildung
Mehr Eingriffsmöglichkeiten seitens der Behörden gibt es im Bildungsbereich. In Berlin werden Kinder ohne Deutschkenntnisse in kleinen Lerngruppen auf den Unterricht in den Regelklassen vorbereitet. Nach Angaben der Bezirksverwaltung Berlin-Neukölln gibt es in der ganzen Stadt derzeit rund 228 dieser sogenannten „Willkommensklassen“, fast 4.000 Kinder werden dort unterrichtet. Benjamin Marx berichtet stolz von einem kleinen Roma-Jungen aus dem Wohnprojekt in der Harzer Straße, der auf seinem letzten Zeugnis nur Einser hatte: „Nur in Musik, da hatte er eine Drei.“

Und tatsächlich, hat Giffey Positives zu berichten, dann ist das vor allen Dingen im Bildungsbereich: „Wir haben gute Lernerfolge zu verzeichnen bei den kleineren Kindern, die im Kindergarten- oder Grundschulalter in Deutschland ankommen.“ Die Bezirksstadträtin weiß, dass man diese Erfolge nur durch „zusätzliche Anstrengungen“ erreichen kann – sowohl in der Elternarbeit als auch in der Arbeit mit den Kindern. Das kostet zusätzliches Geld. „Wenn wir das nicht aufwenden, dann wird das in ein paar Jahren zu noch größeren Problemen führen“, so Giffey.

Koalitionspartner versprechen mehr Geld
Die Berliner Koalitionspartner haben in ihrem Koalitionsvertrag nun ausdrücklich anerkannt, die Kommunen beim Thema Armutseinwanderung zu unterstützen. Das Geld soll schneller ankommen und der Zugang zu öffentlichen Fördermitteln erleichtert werden.

In der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2013 in Auftrag gegebenen Kurzexpertise zum Thema „Neue Armutszuwanderung aus Südosteuropa“ heißt es: Die „Probleme der Kommunen können nur erfolgreich bewältigt werden, wenn Kommunen, Länder, Bund, EU, Herkunftsländer gemeinsam Verantwortung – auch finanziell – übernehmen und zusammen nach Lösungen suchen und diese koordiniert umsetzen.“

Die Situation in diesen Kommunen ist nicht einfach, aber reicht das nun aus, um darüber zu debattieren, wie der „Import von Armut“ zu vermeiden ist? Oder sollte man einmal mehr nach den vielgerühmten „Hochqualifizierten“ rufen? Die Antwort ist einfach: In Europa ist Freizügigkeit ein Grundwert und Deutschland ist ein Einwanderungsland. Eigentlich gibt es gar keine Debatte. Was und fehlt sind Fachkräfte auf der politischen Bühne, die sich die Integration armer Einwanderer zutrauen. In Berlin-Neukölln, jedenfalls, arbeitet man daran. Aktuell Politik

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