Fragen zum NSU Komplex

Warum wurde der Mordanschlag in Heilbronn 2007 nicht verhindert?

Der Polizist Martin Arnold wurde bei dem Mordanschlag in Heilbronn am 25. April 2007 schwer verletzt, seine Kollegin Michèle Kieselwetter wurde getötet. Rund um diese Tat stellen sich viele Fragen, die unbeantwortet geblieben sind und wichtige Erkenntnisse zum NSU Hintergrund liefern könnten. Arnold ist für den 16. Januar im NSU-Prozess in München als Zeuge geladen.

Von Mittwoch, 15.01.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.07.2015, 0:13 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Für den 16. Januar ist im NSU-Prozess in München u.a. der Polizist Martin Arnold als Zeuge geladen. Er wurde bei dem Mordanschlag in Heilbronn am 25. April 2007 schwer verletzt, seine Kollegin Michèle Kieselwetter wurde getötet. In der Anklageschrift werden die beiden NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für diesen Mordanschlag verantwortlich gemacht. Laut Generalbundesanwaltschaft/GBA galt dieser Mordanschlag zwei »Repräsentanten des Staates«.

Das Ziel dieses Mordanschlages soll gewesen sein, sich in Besitz der beiden Dienstwaffen zu bringen. Als Beweis für die Täterschaft der beiden NSU-Mitglieder werden die 2011 im Campingwagen gefundenen Waffen angeführt. Außerdem habe man dort eine blutverschmierte Jogginghose und die entwendeten Handschellen gefunden.

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»Wenn ein Killerkommando von Thüringen nach Süddeutschland fährt, um in einer Kleinstadt dort eine Polizistin umzubringen und ihr die Dienstwaffe abzunehmen – dann muss man schon von der Bundesanwaltschaft sein, um es für einen Zufall zu halten, dass diese Polizistin ausgerechnet aus der gleichen Thüringer Ecke stammt wie das Killerkommando selbst …« (S.147)

Ein solcher Erkenntnisstand, der sich mittlerweile auch in der Anklageschrift in München wiederfindet, ist selbst für einen Kriminalkommissar im Roman des Krimiautoren Ulrich Ritzel (›Trotzkis Narr‹) eine Beleidigung.

Nichts ist wahrscheinlicher als diese Version.

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2013/2. Auflage

Fangen wir vom Ende her an: Für den letzten Banküberfall in Eisenach 2011 hatten sich die uns bekannten NSU-Mitglieder einen Campingwagen gemietet. Glaubt im Ernst jemand daran, dass man die Waffen und die Handschellen von Polizisten aus der Wohnung in Zwickau holt, um sie in den angemieteten Campingwagen zu legen? Glaubt jemand im Ernst daran, dass man extra eine Jogginghose in den Campingwagen legt, um im Zweifelsfall nicht nur wegen eines Banküberfalls, sondern ganz sicher wegen eines Mordanschlages angeklagt zu werden?

Auch das angebliche Motiv dieses Mordanschlages ist mehr als dumm und haarsträubend: Die uns bekannten NSU-Mitglieder waren im Besitz von zahlreichen Kurz- und Langwaffen. Wenn man der offiziellen Version Glauben schenken darf, kamen auf die beiden Mitglieder jeweils mehr als fünf Waffen. Wenn es dem NSU an irgendetwas gefehlt hat, dann sicherlich nicht an Waffen, in deren Besitz sie kamen, ohne Polizeibeamte umzubringen.

Und wenn man der Version dennoch eine Sekunde glauben will: Müssen Neonazis Hunderte von Kilometer fahren, um Polizeibeamte in Heilbronn zu entwaffnen? Gibt es keine Polizisten in Thüringen?

Selbst nach offizieller Version handelte der NSU sehr professionell und überlegt. Man hat in allen Fällen das Opfer sehr genau ausgespäht, den Ort, die Umstände, den richtigen Zeitpunkt, einen möglichen Fluchtweg genauestens erkundet.

Nichts, aber auch gar nichts spricht dafür, dass NSU-Mitglieder aus Zwickau anreisen, um Polizeibeamte umzubringen, die zufällig auf den Theresienwiese eine Pause machen – an einem Ort, der bestens einsehbar ist, an dem es viele Zeugen geben könnte und vor allem viele Variable, die man nicht vorher einkalkulieren kann.

Was tatsächlich dort passiert ist, weiß man bis heute nicht. Sicher ist jedoch, dass für die offizielle Version wenig bis gar nichts spricht, für einen anderen Ablauf sehr viel:

Die beiden Polizisten hatten am 25.4.2007 nicht zufällig Pause gemacht, sondern waren zu einem Treffen verabredet. Die Täter bzw. Beteiligten hatten zuvor Kontakt mit den Polizeibeamten. Dies zu verifizieren, wäre Aufgabe der Staatsanwaltschaft gewesen. Genau dies wurde vorsätzlich unterlassen. Das Handy von Michele Kiesewetter wurde nicht sichergestellt, die Verbindungsdaten (der letzten Anrufer, der letzten Telefonate) nicht dokumentiert und ausgewertet. Ebenso unterblieb die Auswertung ihres E-Mail-Verkehrs.

Der Tatort stand also fest und konnte den Umständen entsprechend abgesichert werden. Zeugen sprechen von mindestens sechs Personen, die sich in Tatortnähe aufgehalten haben: »Eine Frau berichtete der Polizei von einem Mann mit blutbeschmiertem Arm, der über die Kreuzung lief, ein weiterer Zeuge gab an, drei Verdächtige unterhalb der Theresienwiese gesehen zu haben, zwei Männer und eine Frau mit weißem Kopftuch. Er habe deutlich gesehen, dass einer der Männer Blut an den Händen hatte und sich die Hände im Neckar wusch.

Ein anderer Mann hat ein Auto warten sehen, auf das eine Person zurannte und hineinhechtete, ebenfalls mit blutbeschmiertem Arm. Das Landeskriminalamt stellte 2009 die Hypothese auf, an der Tat seien womöglich bis zu sechs Personen beteiligt gewesen. Es wurden auch zahlreiche Phantombilder erstellt, doch nie wurde mit einem von ihnen gefahndet. Die Ermittler hielten die Angaben für unglaubwürdig.« (welt.de vom 4.1.2014)

Wenn dort ein gezielter Mord geplant war, dann verlangt das ein planvolles und aufwendiges Vorgehen. Man muss den Weg dorthin sichern, man muss sichergehen, dass das Treffen unbeobachtet ist. Man muss vor allem dafür sorgen, dass man schnell vom Tatort wegkommt. Das muss hochprofessionell geschehen, wenn man in diesem Fall davon ausgehen darf, dass keine Pannen eine sofortige Fahndung nach den Tätern verunmöglichen würde.

Tatsächlich gibt es Zeugen, die sowohl ein Fahrzeug gesehen haben als auch einen Mann, der mit blutverschmierten Händen in das Auto stieg. Auch der Fahrer dieses Fluchtfahrzeuges ist beschrieben worden: Er rief mehrmals dawei, dawei, was auf russisch bedeutet: schnell, schnell…

Dass sich am und rund um den Tatort auch V-Leute und V-Mann-Führer aufhielten, ist ebenfalls belegt. Das spricht dafür, dass dieses Treffen sehr wohl bekannt war und möglicherweise auch von Staatsschutzseite abgesichert wurde. Was bei diesem Treffen geplant war, was möglicherweise schief lief, wissen die Ermittlungsbehörden bestens. Wären deutsche Behörden, V-Leute nicht in dieses tödliche Ereignis involviert, könnte man von einem ganz sicher ausgehen: Man hätte jede, auch die kleinste Chance genutzt, um die Täter zu finden.

Genau dies ist nicht passiert. Man hatte kein Interesse daran, die Mörder zu finden. Zu den wichtigsten Fahndungsmitteln zählen Zeugenaussagen und Phantombilder, die mit ihrer Hilfe angefertigt werden. Von diesen gibt es zahlreiche – auch welche, die mithilfe des schwer verletzten Polizisten Martin Arnold angefertigt wurden.

Was in jeden anderen Fall ein Glücksfall ist, wurde in diesem Fall mit Vorsatz unterlassen: Die Staatsanwaltschaft gab die irrsinnige Anweisung, mit diesen Phantombildern nicht zu fahnden. Für diese absichtliche Verhinderung der Aufklärung gibt es eine vernünftige Antwort: Die Fahndung mithilfe dieser Phantombilder würde zu den Tätern führen, die bis heute gedeckt werden sollen. Aktuell Meinung

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  1. Cengiz K sagt:

    …Er wird sich unter Anleitung und Aufsicht an nichts mehr erinnern können – was ihm bei seiner weiteren Laufbahn nicht schaden sollte…

    stimmt, ist so eingetreten..

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