Studie
Sprachstandstests berücksichtigen Mehrsprachigkeit von Kindern nur mangelhaft
Die Mehrheit der Sprachstandstests sind mangelhaft. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Besonders fraglich ist, ob die Tests den Sprachstand objektiv und valide messen und dabei Mehrsprachigkeit ausreichend berücksichtigen.
Freitag, 22.11.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nur acht der 21 bundesweit eingesetzten Sprachstandsverfahren erfüllen mehr als 16 von 32 wissenschaftlichen Qualitätsmerkmalen. Das ist das Ergebnis der Studie „Die Qualität von Sprachstandsverfahren im Elementarbereich“, die das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache heute vorgestellt hat. Die in der Studie angewendeten Qualitätsmerkmale wurden auf Initiative des Mercator-Instituts von einer interdisziplinären Expertenkommission entwickelt. Hintergrund der Studie ist die mangelnde Vergleichbarkeit der derzeit eingesetzten Sprachstandsverfahren und die daraus resultierende mangelnde Chancengleichheit auf Sprachförderung.
Bisher haben 15 Bundesländer Sprachstandsverfahren eingeführt, um einen eventuellen Sprachförderbedarf bei Kindern rechtzeitig vor dem Schuleintritt festzustellen. Die Qualität und Wirksamkeit sind jedoch fraglich: Eine je nach Bundesland zwischen zehn und 50 Prozent schwankende Förderquote weist darauf hin, dass der tatsächliche Sprachförderbedarf nicht objektiv und vergleichbar ermittelt wird.
Mängel trotz Verpflichtung
Im Nationalen Aktionsplan Integration von 2012 haben die Bundesländer sich verpflichtet, solche Standards zu entwickeln. „Wir wollen einen fachlichen Impuls für die Bundesländer und die Testentwicklung geben, wie die Sprachdiagnostik im Elementarbereich verbessert werden kann. Ob ein Kind gefördert wird oder nicht, darf nicht vom Bundesland abhängen, in dem es aufwächst“, erläutert Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, die Ziele der Studie.
Die Wissenschaftler identifizierten den größten Nachbesserungsbedarf hinsichtlich Objektivität, Validität und Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit. Die Objektivität eines Verfahrens ist gewährleistet, wenn das Verfahren unabhängig von subjektiven Einflussfaktoren funktioniert. Empirische Belege für die Objektivität fehlen bislang für knapp 60 Prozent der geprüften Verfahren. Als einziges Verfahren schneiden hier der Cito Sprachtest Version 3 (Bremen) und Meilensteine der Sprachentwicklung (Brandenburg) sehr gut ab. Für den Anteil jener Kinder, deren Sprachförderbedarf trotz Test nicht erkannt wird, gilt das gleiche: Für 60 Prozent der Verfahren liegen auch hier keine Angaben vor, nur HASE (Baden-Württemberg) und KISTE (Brandenburg) erreichen eine sehr gute Bewertung.
Verbesserungsbedarf bei Mehrsprachigkeit
Auch hinsichtlich der Frage, ob ein Verfahren tatsächlich den Sprachstand eines Kindes misst und nicht andere Bereiche der kognitiven und emotionalen Entwicklung (Validität), weisen die Verfahren große Defizite auf, z.B. bei der Alltagsnähe der Testsituation. Nur acht Verfahren erfüllen dieses Merkmal, DESK 3-6 (Mecklenburg-Vorpommern) schneidet als einziges Verfahren sehr gut ab. „Ist der Test nicht an der Lebenswelt der Kinder ausgerichtet, reagieren sie ängstlich und verstummen. Ein Rückschluss auf den Sprachstand ist dann nicht mehr möglich“, erklärt Dr. Uwe Neugebauer, Autor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator-Institut.
Verbesserungsbedarf sehen die Autoren ebenfalls beim Thema Mehrsprachigkeit. Zwei Drittel der Verfahren berücksichtigen die Sprachbiografie nicht ausreichend. „Eine Möglichkeit ist beispielsweise, die Eltern einzubeziehen und sie zu fragen, wie sie die sprachliche Entwicklung ihres Kindes einschätzen, wie häufig in der Familie Deutsch gesprochen wird, welche Sprache das Kind mit seinen Geschwistern spricht. Das ist aber nur bei drei Verfahren der Fall“, so Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek.
Gute Ergebnisse nur in Teilbereichen
Zur Überarbeitung und Optimierung der Verfahren empfiehlt das Mercator-Institut den Bundesländern eine Koordinierungsstelle, um die eingesetzten Verfahren gemeinsam und kontinuierlich weiterzuentwickeln. In einer vom Institut einberufenen Fachkonferenz diskutieren Ländervertreter aus 13 Bundesländern gemeinsam mit Experten aus der Testentwicklung und der Praxis heute die Ergebnisse der Studie und weitere Konsequenzen.
Download: Die vollständige Studie der Mercator-Stiftung „Die Qualität von Sprachstandsverfahren im Elementarbereich“ können Sie hier kostenlos herunterladen.
In einigen Handlungsfeldern erzielen die Verfahren schon gute Ergebnisse: So erfüllt jedes Verfahren mindestens eines der Qualitätsmerkmale gut oder sehr gut. Positiv schnitten die Verfahren auch hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen ab: Die Durchführung eines Verfahrens sollte im Idealfall nicht länger als 20 Minuten dauern. So lange kann sich ein vierjähriges Kind gut konzentrieren. Zwei Drittel der Verfahren erfüllen dieses Merkmal, insbesondere Verfahren, bei denen die Erzieherinnen das sprachliche Verhalten der Kinder im Kita-Alltag beobachten, z. B. Früh Deutsch lernen (Saarland), Sismik und Seldak (Bayern, Schleswig-Holstein).
Die logische Konsequenz
„Es wird Zeit Vorgehensweisen hinter uns zu lassen, bei denen anhand willkürlich gewählter Aufgaben und Angaben entschieden wird, welches Kind einen Sprachförderbedarf hat und welches nicht“, Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Ein Kriterienkatalog, der aus psychologischer, pädagogischer und sprachwissenschaftlicher Sicht festlegt, welche Qualitätsmerkmale ein Verfahren erfüllen sollte, sei dafür ein wichtiger erster Schritt gewesen. Die logische Konsequenz für die Forschung bestehe jetzt darin, die differenzielle prognostische Validität ausgewählter Verfahren in Längsschnittstudien zu untersuchen. „Erst dann können wir Gewissheit erlangen, welche Verfahren für welche Kinder wirklich vorhersagen können, ob die sprachliche Entwicklung eines Kindes in hinreichendem Maße eine erfolgreiche Bildungsbeteiligung ermöglicht“, so Hasselborn abschließend. (sb) Gesellschaft Leitartikel Studien
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Sehr guter Beitrag.
Die „Sprachsituation“ der mehrsprachigen Schüler wird in vielen Tests und Prüfungen kaum berücksichtigt, u.a. mit der fatalen Konsequenz der Abwertung der Schüler in ihren kognitiven Möglichkeiten insgesamt.
Vor allem wenn die per se schon strukturalfaschistisch angelegten Intelligenztests zur Anwendung kommen.
Josef Özcan (Diplom Psychologe)