Empirische Evidenz

Rechtsextreme Tendenzen in den krisengebeutelten EU-Ländern manifestieren sich

Die EU scheint sich zunehmend von ihrer öffentlich gepredigten und humanistisch ausgerichteten Grundhaltung zu distanzieren. Milliarden Euro, die für die Militarisierung der Grenzen verpulvert werden, könnten durchaus für sinnvollere Zwecke Verwendung finden.

Von Mittwoch, 23.10.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.03.2016, 15:44 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Tötest du einen Menschen, tötest du die gesamte Menschheit. Wer einen Menschen tötet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt getötet, so heißt es.

Diese ubiquitären, weisen Worte sind zentrales Element, ein Grundpfeiler der monotheistischen Glaubensrichtungen. Diese Kernbotschaft zieht keine Grenzen und spricht eine universell gültige Sprache. Sie adressiert sich an die gesamte Weltbevölkerung und ermöglicht dadurch Menschen, sich über nationale, soziale, kulturelle, religiöse und ethnische Grenzen hinweg miteinander zu verbinden und sich mit Respekt zu begegnen.

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Die Europäische Union, die geprägt ist von der christlich-abendländischen Kultur, widerspricht sich in ihrer Eigenschaft und Verhaltensweise, die ethisch-moralisch begründet ist, wenn sie gezielt Grenzen zieht, indem sie eine restriktive Einwanderungspolitik betreibt und humanitäre Hilfeleistungen verweigert.

Konstitutionelle Normen wie die Achtung der Menschenwürde, die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie Chancengerechtigkeit sind fester Bestandteil eines unteilbaren und unerlässlichen Werteverständnisses der EU. Diese Normen und elementaren Wertvorstellungen bilden das Fundament des friedlichen Zusammenlebens in einer pluralen, zivilisierten Gesellschaft.

Die EU scheint sich zunehmend von ihrer öffentlich gepredigten und humanistisch ausgerichteten Grundhaltung zu distanzieren. Insbesondere werden ethnische Minderheiten, aber auch Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen Zuflucht suchen, aufgrund spezifischer Zuschreibungen abgewertet und diskriminiert. Dies entspricht nicht dem Grundprinzip moderner Gesellschaften, dass alle Menschen gleich und gleichwertig sind.

Insbesondere EU-Mitgliedsstaaten, die wirtschaftlich stagnieren oder sogar einer Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosenquote unterliegen, attestieren die zunehmende Tendenz, ethnische Minderheiten dafür verantwortlich zu machen. Diese Entwicklung scheint empirisch evident zu sein. Rechtsradikale Parteien finden eine steigende Zustimmung. Inhalt und Methode der rechtspopulistischen Parteien erreichen oftmals den Gipfel der Geschmacklosigkeit, den sie offensiv und provokant bezwingen.

So fordern sie, die Grenzen, von wo aus viele Einwanderer und Flüchtlinge ins Land kommen, mit Minen zu sichern und Arbeitslager für kriminelle Ausländer auszuweiten. Damit warb eine rechtspopulistische Partei in Griechenland kurz vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr.

Griechenland ist Mitglied der Europäischen Union und erleidet eine Rezession, die sich festgebissen zu haben scheint. Nach gegenwärtig vorliegenden Daten der Statistikbehörde des Landes stieg die saisonbereinigte Arbeitslosenquote auf das Rekordniveau von 27,9 Prozent und rangiert in der Euro-Zone weiterhin an der Spitze. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bei 64,9 Prozent und ein Wirtschaftswachstum ist nicht zu verzeichnen.

Analog dazu erreichte Spanien im August 2013, eine saisonbereinigte Jugendarbeitslosenquote von 56 Prozent, Kroatien eine Quote von 52 Prozent und in Italien lag die Jugendarbeitslosenquote bei 40,1 Prozent. Diese Angaben beziehen sich auf die Altersgruppe der unter 25-Jährigen und gehen einer Studie des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) hervor.

EU-Mitgliedsstaaten, die besonders von der Wirtschaftskrise betroffen sind, zeigen zunehmend soziale Unruhen sowie erhöhte Gewaltbereitschaft gegen ethnische Minderheiten auf und werfen einen großen Schatten auf die menschenrechtlichen Grundpfeiler. Es werden gezielt Vorurteile gegen Einwanderer und Flüchtlinge, die für ihr Wanderungsmotiv vielfältige Ursachen begründen, geschürt.

Klischeebeladene und salonfähige Diskurse dominieren den Alltag. Man könnte meinen, es vollzieht sich ein flächendeckender, politischer sowie journalistischer Kreuzzug innerhalb der Euro-Zone, der sich manifestiert.

Für verbale Entgleisungen sorgen diverse Medienkonzerne, unter anderem Axel Springer und Funke Mediengruppe. In der Berliner Morgenpost hieß es auf der Titelseite: „Pflegebedürftige müssen Platz für Asylbewerber machen“. Anwohner seien empört und 75 Menschen müssen ausziehen. Dieser Sachverhalt unterliegt verzerrten Informationen und erzeugt xenophobische Assoziationen.

In Frankreich kündigte man drastische Maßnahmen gegen kriminelle „Zigeuner“ an, die hart bestraft und abgeschoben werden müssen. In Österreich und in den Niederlanden wettert man gegen Armutseinwanderer aus Bulgarien und Rumänien.

Negative Konnotationen werden bewusst inszeniert. Ein Feindbild wird kreiert und die öffentliche Meinungsbildung beeinflusst. Zu solchen Mitteln greifen gerne populistische Politiker zurück und instrumentalisieren diese für Wahlkampagnen, um die Zustimmung zu erhöhen.

Einwanderer sind in den krisengebeutelten Ländern besonders gefährdet, weil sie durchschnittlich über weniger Qualifikation, Erfahrung und Ausbildung verfügen. Wenn die ökonomischen Bedingungen sich verschlechtern, wird die öffentliche Meinung über sie negativer. Einwanderern wird zur Last gelegt, Arbeitsplätze wegzunehmen, Reservationslöhne in Kauf zu nehmen und knappe Ressourcen, hauptsächlich in Form von Sozialwohnungen und anderen Sozialleistungen, zu verbrauchen.

Inzwischen erzielen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in ganz Europa Erfolge. Die Rahmenbedingen begünstigen diesen wachsenden Trend. Die Finanzkrise und der drohende Staatsbankrott verhelfen dem Nationalismus zu einem Comeback und immer mehr Europäer schenken ihr Vertrauen den Akteuren, die im hohen Maße gegen Roma und Sinti, Juden und Muslime hetzen.

Diese Rechtsextremisten sind gewaltbereit und streben den Versuch an, das politische System zu stürzen und tarnen sich als Demokraten. Ihre Strategie ist dabei perfide und gehässig. Sie spielen mit der Angst der Menschen. Der Angst um den Job, die Rente und die Gesundheit, der Angst vor der Globalisierung und der ansteigenden Entfremdung. Die Grenzen zwischen Extremismus und Populismus sind fließend. Das methodische Vorgehen dieser Parteien ist ähnlich und unterscheidet sich lediglich in puncto Feindbilder.

Die Auswirkungen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf gesellschafts- und integrationspolitische Zustände sind enorm. Das stabile Konstrukt der EU scheint marode zu werden. Das Netzwerk der rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien dehnt sich in der Euro-Zone weiter aus und gefährdet das ganze europäische Projekt. Es ist wie das Damoklesschwert, das über Europa schwebt. Das sprichwörtlich für die im Glück stets drohende Gefahr. Der europäische Rechtsdruck ist besorgniserregend und es bedarf mehr an Anstrengungen und Bemühungen. Diese gefährliche Entwicklung darf nicht aus den Augen verloren werden.

Das EU-Projekt muss sich zum einem Zukunftsprojekt entwickeln. Ein Projekt, das nicht Milliarden Euro in den Schutz der europäischen Grenze investiert, um sich vor einer vermeintlichen Invasion krimineller Menschen zu schützen. Ein Projekt, das nicht das Ziel verfolgt, mit Gewalt EU-Außengrenzen gegen Flüchtlingsströme abzusichern. Aktuell Meinung

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  1. Ochljuff sagt:

    Einerseits wird in dem Artikel berechtigter Weise auf die moralischen und ethischen Grundsätze der EU hingewiesen, dann wird im zweiten teil auf die Verwertung des „Humankapitals“ geschielt.

    Mir deucht eher, dass dies das eigentliche Problem ist: sobald Menschen nicht mehr genug Rendite bringen, sich eine „Investition“ nicht zu lohnen scheint, fallen die eignetlich grundsätzlichen Werte hintenüber.

    Durch eine solche Denkweise, die das wirtschaftliche, nicht das Humane, an erste Stelle stellt, werden menschenverachtende Maßnahmen (wie bei der europäischen „Grenzsicherung“) erst möglich. Erst wenn wirklich die Werte, das Mitgeühl im Vordergrund steht, würde sich dies vermutlich ändern. Ansonsten wird so weiter gemacht, vielleicht mit Ausweitung der Ausnahmen für das „Humankapital“, welches wirtschaftlich in den Plan passt.

  2. fritz! sagt:

    @Ochljuff
    „Erst wenn wirklich die Werte, das Mitgeühl im Vordergrund steht, würde sich dies vermutlich ändern. Ansonsten wird so weiter gemacht, vielleicht mit Ausweitung der Ausnahmen für das “Humankapital”, welches wirtschaftlich in den Plan passt.“

    Achso, man soll das finanzielle und wirtschaftliche einfach ignorieren! Ich verstehe! Man o man was für ein genialer Plan! Dass da noch keiner drauf gekommen ist!

    Warum machen es eigentlich nicht alle Länder auf der Erde so? 7 Milliarden Erdlinge und über 300 Nationen und keiner kommt auf diese Idee! Woran liegt das nur? Die Idee des „Humankapitals“ ist bestimmt eine ureuropäische denkweise und weltweit einzigartig! Dass man sich überhaupt erdreistet den erschaffenen Wohlstand nicht wieder herzugeben! Unglaublich! Und ein absolut einzigartiger Vorgang in der Menschheitsgeschichte! Total pervers!
    Und es ist auch absolut einzigartig in der Menscheitsgeschichte, dass ein Volk nicht von anderen Völkern unterwandert werden will. Die Afrikaner haben die europäischen Kolonien geliebt und wollten unbedingt, dass alle Europäer bei Ihnen bleiben. Klar, so kennt man es aus den Geschichtsbüchern!
    /ironie off

    Jetzt mal im ernst: Es wäre schön wenn man nicht immer solche extrem unrealisitsche und höchst ideolgische Träume, als die bessere Welt verkauft bekommen würde. Den quatsch glaubt keiner. Und je einfacher die Menschen in die EU kommen, desto mehr Menschen werden kommen.

    Nicht fühlen! Denken!

  3. Mathis sagt:

    „Rettest du einen Menschen, rettest du die gesamte Menschheit…….“
    Ergänzend;“Was ihr dem geringsten unter meinen Brüdern tut, das habt ihr mir getan.“
    So könnten wir noch weitere Heilige Bücher zitieren, und alle würden uns Hinweise darauf geben, was wir tun sollten, wenn wir sie an den richtigen Stellen ernst genug nähmen.Am besten wäre es natürlich, wenn überall dort, wo die Menschheit die Flucht ergreift, die Heiligen Worte die erreichten, die deren Flucht zu verantworten haben.Und bitte jetzt nicht schon wieder mit „Kolonialismus“, Imperialismus“ etc. aufwarten.
    Der junge Autor hat einen weisen und tiefgründigen Artikel geschrieben.

  4. Han Yen sagt:

    Ich denke, der Denkansatz ist falsch. Die Gesellschaft entwickelt sich kommunikativ. Die nationale Geschichtsschreibung ist überholt. Die Geschichte der Welt ist eine Geschichte der Expansion des Kapitalismus und der Migration. Solange Migrantenkids den Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Politik, Armut und Fremdenhass nicht historisch nachvollziehen, solange wird es mit Trippelschritten mit der Geschichte weiter gehen. Wir brauchen also die Übernahme der Lehrpläne us-amerikanischer Bildungsinstitutionen zu world history & migration history.

  5. Ochljuff sagt:

    @fritz
    Genau, Sie haben erfasst, was ich meine (zumindest fast). Wenn Alle zuerst an die eigene Brieftasche „denken“, landen wir bei einer wirtschaftsliberalen Nationalökonomie wie bei Thomas Malthus, die menschenverachtend ist und eben überhaupt nicht liberal im Sinne von gesellschaftlich freiheitlich. Allerdings ist diese Position eben nicht wirklich „durchdacht“, sondern lässt alle Überlegungen, wie eine Gesellschaft freiheitlich (->liberal im urspünglichen Sinne) gestaltet werden kann, konsequent außer Acht.

    Deswegen erst denken, und zwar nicht nur an den eigenen Geldbeutel, sondern mit ein wenig humanistischer Bildung bzw. moralischen Grundsätzen folgend, dass das menschliche Leben etwas „wert“ ist, dann wird das etwas. Dann, an hinterer Position, darf der Geldbeutel folgen.

    Übrigens braucht mensch dazu auch keine heiligen Bücher, ethisch-moralische Schlussfolgerungen dazu reichen auch aus…aber wer mag darf das natürlich auch gern in der Bibel/Koran/Tora etc. nachlesen.