Ausländerpolitik in den 80ern (2/9)

„Türken sind nicht nur nicht zu assimilieren, sie sind auch nur schwer zu integrieren.“

Bonn, 4. Februar 1982. Im Bundestag debattieren die Parteien über Ausländerpolitik - Familienzusammenführung, Assimilation, Einbürgerung, Gettos oder auch darüber, wie man Türken "loswird". MiGAZIN veröffentlicht in einer neunteiligen Serie die Debatte in voller Länge. Heute: Alfred Dregger (CDU)

Donnerstag, 08.08.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 13.08.2013, 1:16 Uhr Lesedauer: 18 Minuten  |  

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Info: Alfred Dregger war von 1972 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages und im Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 1976 wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden und im Oktober 1982 zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewählt. Dieses Amt behielt er bis zum November 1991. Sein Nachfolger wurde Wolfgang Schäuble.

___STEADY_PAYWALL___

Daß Regierung und Koalition in der Ausländerpolitik nicht erfolgreich waren, daß sie versagt haben, ist – jedenfalls in der Publizistik – unbestritten. Auch mir fällt es schwer, plausible Entschuldigungsgründe für ein Jahrzehnt regierungsamtlicher Untätigkeit zu finden.

(Dreßler [SPD]: Jetzt geht die Leier wieder los!)

Die Regierung hat die Dinge treiben lassen, hat die Probleme verdrängt und hat die Lasten auf andere abgewälzt, insbesondere auf Länder und Gemeinden.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! – So ist es! – Leider wahr!)

Der Innenminister hat nicht selten vor Ausländerfeindlichkeit gewarnt, was manchmal peinlich wirkte, weil er nichts getan hat, um dieser Ausländerfeindlichkeit vorzubeugen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

es sei denn, man hält Mahnungen an das Volk ohne Taten der Regierung für Politik. Die Untätigkeit der Bundesregierung ist um so unverzeihlicher, als die Opposition – natürlich nicht im Interesse der Regierung, aber im Interesse des Landes – alles getan hat, um hier wie auf dem Felde der Energiepolitik und auf dem der Sicherheitspolitik der Regierung die Arbeit zu erleichtern. Aber auch in der Ausländerpolitik wurden unsere Warnungen in den Wind geschlagen, unsere Motive wurden verdächtigt, und unsere seit 1977 immer dringender werdenden Initiativen wurden zurückgewiesen.

Erst jetzt, nachdem die Entwicklung den von uns vorausgesehenen und vorausgesagten Verlauf genommen hat, erst jetzt, nachdem die Arbeitslosigkeit ein immer dramatischeres Ausmaß annimmt, erst jetzt, nachdem Ausländer auch auf dem Arbeitsmarkt zunehmend als Konkurrenten empfunden werden, erst jetzt wachen Regierung und Koalition auf und beginnen nachzudenken.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: So ist es!)

Schon zu Beginn der 70er Jahre hätten die Alarmglocken schrillen und zu mehr als dem 1973 vereinbarten Anwerbestopp führen müssen, der allein das Problem nicht lösen konnte.

Dazu ein Vergleich. Die offizielle Einwanderungsquote der Vereinigten Staaten von Amerika beträgt 290 000 Menschen. 1970 nahm die kleine Bundesrepublik Deutschland die dreifache Zahl, nämlich 900 000 Ausländer auf. Zehn Jahre später beträgt der Ausländeranteil in Frankfurt und in Offenbach, aber auch in kleineren und mittleren Städten wie Rüsselsheim und Bietigheim ca. 20 %; in Stuttgart und München sind es ca. 17 %.

Die schlimmen Folgen dieses Jahrzehnts des Treibenlassens gegenüber einem immer brennender werdenden Problem können nur dann gemildert werden, wenn die Dinge jetzt endlich beim Namen genannt werden, wenn nicht nur an den Augenblick, sondern an die mittel- und langfristigen Folgen heutiger Entscheidungen und Nichtentscheidungen gedacht wird

(Beifall bei der CDU/CSU)

und wenn neben den berechtigten Interessen der Ausländer auch die berechtigten Interessen der Deutschen beachtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese läßt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen. Je näher die Ausländer dem aufnehmenden Volk stehen, um so mehr können es sein. Ich warne davor, die Welt in Inländer und Ausländer einzuteilen. Das ist zu simpel. Das berücksichtigt nicht die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländergruppen.“

Eine zweite grundsätzliche Überlegung ist notwendig. Es ist immer falsch, bei politischen Entscheidungen die menschliche Natur und die Denkweise der Menschen zu mißachten. Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese läßt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen. Je näher die Ausländer dem aufnehmenden Volk stehen, um so mehr können es sein. Ich warne davor, die Welt in Inländer und Ausländer einzuteilen. Das ist zu simpel. Das berücksichtigt nicht die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländergruppen.

(Broll [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich unterscheide vier: Menschen mit einer fremden Staatsangehörigkeit, aber deutscher Sprache und Kultur verursachen keinerlei Integrationsprobleme, ob sie nun aus Südtirol, aus Österreich oder aus der Schweiz kommen. Wir nehmen sie gern auf. Sie leisten, ohne daß sie als solche überhaupt in Erscheinung treten, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes, zu seiner Kultur und seinem Sozialprodukt.

Der zweite Kreis von Ausländern entstammt nicht dem deutschen, aber doch dem europäischen Kulturkreis. Ihre Muttersprache ist zwar nicht die unsere, aber die kulturellen Gemeinsamkeiten sind groß. Sie beruhen auf der gemeinsamen christlichen Wurzel der europäischen Kultur, auf ihren Ausprägungen in Wissenschaft, Kunst und Literatur, die die innereuropäischen Grenzen immer übersprungen haben, auf dem jahrhundertelangen Zusammenleben in übernationalen oder multinationalen staatlichen Verbänden

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und einer zwar häufig verletzten, aber im Prinzip doch von allen immer anerkannten europäischen Völkerrechtsgemeinschaft. Diese Ausländer aus dem europäischen Kulturkreis zu integrieren und schließlich zu assimilieren, ist möglich. Die Nachfahren der Polen, die im Zug der ersten industriellen Revolution in das Ruhrgebiet gekommen sind, und der hugenottischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich sind längst zu Deutschen geworden, und keiner möchte sie hier missen.

Innerhalb der Ausländer aus dem europäischen Kulturkreis bilden diejenigen eine besondere Gruppe, die aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommen. Sie stellen mit 1,2 Millionen Menschen nach den Türken die zweitgrößte Ausländergruppe. Sie genießen in der Europäischen Gemeinschaft wie wir das Recht der Freizügigkeit. Wenn sich daraus in der Praxis Probleme ergeben, dann nur deshalb, weil der Entwicklungsstand und der Lebensstandard in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft so außerordentlich unterschiedlich ist. Die sich daraus ergebenden einseitigen Bevölkerungsbewegungen schaden im Grunde allen. Die zu entwickelnden Regionen der Europäischen Gemeinschaft verlieren viele ihrer aktiven Menschen, und die bereits übervölkerten Regionen werden noch weiter verdichtet. Meine Damen und Herren, es wäre besser, die Maschinen zu den Menschen zu bringen als die Menschen zu den Maschinen zu bringen und das noch zu fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU) Aktuell Politik

Seiten: 1 2 3 4

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Mister M sagt:

    „Zusammen essen nach der Arbeit ist ein gutes Stichwort: “

    Ich wollte mal einen Türken zum Geburtstag einladen in der Grundschule. Der durfte nicht, wegen dem Essen… halal und so. So einfach wäre das alles auch nicht gewesen. Da war bei Kroaten und Italienern irgendwie gar kein Problem.

  2. Cengiz K sagt:

    …Das Freizeitverhalten, die sozialen und kulturellen Hintergründe unterschieden sich doch sehr voneinander.
    Ich stelle das fest, um die Ausgangslage zu verdeutlichen….

    Sie meinen damit, dass Deutschland vorher nicht rassistisch gewesen ist? Eine gewagte These..

  3. deutscher staatsbürger sagt:

    Obwohl ich von den Behörden schikaniert, ausgegrenzt und diskriminiert werde, möchte ich dennoch Positives berichten. Trotzdem sollten aber diese sogenannten Behörden von einer unabhängigen Kommission untersucht werden. Diese willkürliche und unmenschliche Behandlung unserer ausländischen Mitbürger muss endlich aufhören, denn dieses Land und ihre Menschen verdienen es, heute im 21. Jahrhundert, wie Menschen würdevoll zu leben und zu sterben. Ich bin für den Weltfrieden, jeder Mensch auf der ganzen Welt muss würdevoll leben und sterben können. Irgendwo muss der Funke überspringen. Obwohl sich einige Kommentatoren es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben einige Mitbürger nicht zu akzeptieren, sind sie dennoch eine verschwindende klitze kleine Minderheit hier in diesem schönen Land Deutschland, ein freiheitlich demokratischer und sozialer Rechtsstaat.

    Denn: Die große Mehrheit der Deutschen hat die ausländischen Mitbürger schon früher akzeptiert und die große Mehrheit der Deutschen akzeptiert die ausländischen Mitbürger auch heute noch. Früher, muss ich ehrlich zugeben, gab es mehr Gemeinsamkeiten. Beispielsweise die Oma meines Freundes und Nachbarn trug immer wenn sie aus dem Haus ging einen Kopftuch. Sie war bestimmt keine Extremistin deswegen. Leider ist sie schon seit langem gestorben. Aber ich habe immer noch die Bilder, ich als Kleinkind in ihren Armen. Hier wird soviel über Kultur und Kulturunterschieden geschrieben, dass man wenn man es nicht besser wüsste, denken könnte, dass diese auch so sind. Aber nein, das sind sie nicht. Unterschiede darf es geben und soll es auch geben aber dennoch sind die Gemeinsamkeiten viel, viel viel mehr. Ich möchte dennoch anmerken, dass wir seit dem 2. Weltkrieg alle, damit meine ich alle, die ganze Welt in der amerikanischen Kultur leben. Beispielsweise deutsche Ausprägung der amerikanischen Kultur, die türkische Ausprägung der amerikanischen Kultur, oder aber auch die russische, die chinesische und sogar auch die nordkoreanische Ausprägung der amerikanischen Kultur, etc. etc.

    Jetzt hab ich den Faden verloren…ah da ist er ja wieder. So, was ich eigentlich schreiben wollte war, dass an allem die Politiker schuld sind. Wir haben schlechte Politiker. Die meisten Ausländer sind zum arbeiten gekommen. Welche Arbeit, ob gut oder schlecht, ob einfach oder schwierig sei dahingestellt. Es wurde schon alles gemacht und ist schon längst vorbei. 2008 die Wirtschaftskrise hat uns doch allen gezeigt, dass es nicht die ausländischen Mitbürger sind, die schuld an einigen Missständen sind. Niemand soll den ausländischen Mitbürger etwas in die Schuhe schieben. Wer hat die ganzen Milliarden und wo sind die ganzen Milliarden hin? Auch ist es angebracht zu fragen, woher kamen diese ganzen Milliarden? Genug Geld für Vollbeschäftigung in diesem schönen Land Deutschland, ein freiheitlich demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Es ist eigentlich genug für alle da aber wo ist sie hin dieses schöne Geld? An die armen Ausländer, die nur zum arbeiten kamen? Die haben doch auch ihre Beiträge geleistet und sie tun es heute immer noch, trotz all dem klitze kleinen verschwindend geringen negativ gegenüber den ausländischen Mitbürger eingestellten Kommentatoren. Es sind die Politiker, die ihre Aufgabe vermurkst haben die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit eine gerechtere und sozialere Verteilung des Reichtums geschaffen wird. Ich wurde von den sogenannten Behörden schikaniert, ausgegrenzt und diskriminiert. Ich darf nicht wählen, ich darf nicht mitentscheiden. Deshalb appelliere ich an alle die Wählen dürfen. Wählt die CDU ab. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Der Ausländer wird zum Sündenbock. Wir alle werden für dumm verkauft.
    Danke fürs lesen.

  4. Marie sagt:

    “Zusammen essen nach der Arbeit ist ein gutes Stichwort: ”

    Ich wollte mal einen Türken zum Geburtstag einladen in der Grundschule. Der durfte nicht, wegen dem Essen… halal und so. So einfach wäre das alles auch nicht gewesen. Da war bei Kroaten und Italienern irgendwie gar kein Problem.

    Also, ich habe kein Problem, wenn ich Menschen mit anderen Essgewohnheiten zu mir nach Hause einlade, im Rahmen der Gastfreundschaft das anzubieten, was diese Menschen essen wollen oder dürfen. Es soll ja auch Biodeutsche geben, die überhaupt kein Fleisch oder gar keine tierischen Produkte zu sich nehmen, es soll Allergiker geben, die eine spezielle Diät einhalten und so weiter und so fort – sollen die jetzt auch alle dahin verschwinden, wo sie herkommen und wenn ja, wohin?

    Ich wäre zu Ihnen jedenfalls auch nicht zum Geburtstag gekommen, und das hat nichts mit „halal und so“ zu tun, sondern mit ihrer menschenausgrenzenden und menschenfeindlichen Grundeinstellung.

    Das ganze „kulturelle-Unterschiede“-Gelabere dient doch nur einem einzigen Zweck – der Rechtfertigung rassistischer Ausgrenzung. Und nichts anderem, da können Sie und Ihre gesinnungsgenossen noch so viele Scheinargumente ins Feld führen, Herr Mister M.

  5. Piyaus sagt:

    @ Lionel:
    Die Abweichung vom Abkommen haben nicht die türkischen Fließbandarbeiter und schon gar nicht die Politik durchgesetzt. Es war die Metallindustrie und die Arbeitgeberverbände. Selbst den Familiennachzug verdanken wir der Industrie. Er war kein altruistischer Akt sondern diente sozusagen dem Work-Life-Balance-Gedanken der Siebziger. Wenn Ali sich wohlfühlt, arbeitet er besser und schneller. Das bringt mehr Profit und größere Stückzahlen.

  6. Mister M sagt:

    Marie, glauben Sie mir, meine Mutter hätte ihm schon was hingestellt. Aber er DURFTE nicht, von seinen Eltern aus, können Sie nicht lesen? Ich wollte damit nur sagen, dass die türkischen Einwanderer nicht danach gelechzt haben, mit uns gemeinsam am Tisch zu sitzen. Die Deutschen aber auch nicht. Das sind halt die kulturellen Unterschiede, die uns noch heute so viele Probleme bereiten. Das ist schon eine beidseitige Geschichte. Hören Sie bitte auf, so einseitig rassistisch zu argumentieren, mir wird ja schlecht bei Ihnen.

  7. Lionel sagt:

    @Piyaus

    Die Politik übte sich in der Tat, mun muss schon sagen, über Jahrzehnte in Tatenlosigkeit, sie reagierte allenfalls noch gelegentlich.
    An anderer Stelle schrieb ich bereits, dass das Rotationsprinzip vor allem auf Druck der Arbeitgeber aufgegeben wurde.
    Dass die auch wegen des Familiennachzugs intervenierten, finde ich interessant, das war mir neu.
    Es wäre nett, wenn Sie einen evtl. vorhandenen Beleg posten könnten.

  8. Kigili sagt:

    „Ich wollte damit nur sagen, dass die türkischen Einwanderer nicht danach gelechzt haben, mit uns gemeinsam am Tisch zu sitzen.“

    Die türkischen Einwanderer werden schon ihre Gründe gehabt haben, warum sie „nicht danach gelechzt mit ihnen nicht gemeinsam am Tisch zu sitzen.“ Wenn ich ihre Kommentare lese, dreht sich mir auch der Magen um und ich verliere den Appetit.

  9. Pingback: Einwanderungsfeindlich: die CDU 1982. – Wie sich die Zeiten ändern!

  10. Mister M sagt:

    @Kigili

    Wenn Sie mir wenigstens mal sagen würden (Zitieren und Argumente), warum sich Ihnen bei meinen Kommentaren der Magen umdreht… das wäre doch schon ein Anfang.