Österreichische Befindlichkeiten

Die andere Wahrheit über den Golan-Abzug

Die österreichische Regierung beschloss am 6. Juni 2013 den Abzug seines seit fast 40 Jahren auf den Golan-Höhen stationierten Blaumhelmkontingents. Verletzungen der 1973 als Folge des Jom-Kippur Kriegs eingerichteten Waffenstillstandszone werden als Grund dafür angegeben. Doch was sind die Hintergründe für den überraschend eiligen Abzug der österreichischen Soldaten?

Von Helga Suleiman Dienstag, 25.06.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.06.2013, 7:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die österreichische Presselandschaft bewegt sich recht einfältig rund um das Thema „Golan-Abzug“. Der wohl am häufigsten genannte Grund: Die Nationalratswahlen im Herbst. Allein dass dies Außenminister Spindelegger vehement bestreitet, mag ein Hinweis auf den Wahrheitsgehalt dieser Aussage sein. Man ist zwar vieles an Oberflächlichkeit aus dem politischen Tagesgeschehen gewohnt, aber um den Abzug eines erfahrenen Kontingents aus einer der brisantesten Konfliktzonen der Welt zu erklären, greift die Erklärung „Wahlkampftaktik“ zu kurz.

Österreich hat sich mit dem UNDOF Mandat auf Basis der Resolution 350 vom 31. Mai 1974 dazu verpflichtet, den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel zu überwachen, das Entflechtungsabkommen zu gewährleisten und die Separationszone zu überwachen. Ein bewaffnetes Eingreifen ist dabei nicht möglich.

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Der historische Hintergrund: 1967 eroberte Israel den Golan, vertrieb nahezu die gesamte arabische Bevölkerung und besetzte das höchst wichtige strategische Gelände. In der Resolution 242 forderte der UN-Sicherheitsrat den israelischen Rückzug aus allen besetzten Gebieten, d.h. Golan, Westbank und Jerusalem, Gaza-Streifen und Sinai. Zugleich verurteilten die UN den militärischen Gebietserwerb.

Im Oktober 1974, im Jom Kippur Krieg, gelang es der israelischen Armee nach anfänglichen Verlusten das Land besetzt zu halten. Als Resultat forderte der Sicherheitsrat wiederholt von Israel die Umsetzung der Resolution 242 und einen Waffenstillstand, mit der Resolution 338.

Ein Waffenstillstandsabkommen kam unter amerikanischer Vermittlung zustande und die Pufferzone unter UN-Kontrolle wurde eingerichtet.

1981/82 wollte die israelische Regierung mit einem Gesetz die besetzten Gebiete auf dem Golan annektieren. Es kam zu Protesten der drusischen Bevölkerung. Diese war – unter Duldung Israels- auf dem Golan verblieben, verweigerte jedoch die israelische Staatsbürgerschaft und forderte immer wieder die Rückgabe des Gebiets an Syrien. In der Resolution 497 verurteilte der Sicherheitsrat das israelische Gesetz ebenso wie die Besiedelungspolitik Israels in den weiteren Resolutionen 446 und 452.

Das hinderte Ariel Scharon nicht daran, Anfang 2004 die Ansiedlung weiterer 900 Siedlerfamilien anzukündigen, mit dem Ziel, die israelische Bevölkerung auf dem Golan in drei Jahren zu verdoppeln.

Strategisch bedeutet die Kontrolle des Golan die Kontrolle über ganz Syrien und darüber hinaus. Damaskus kann vom Golan aus in Schutt und Asche gelegt und sogar Teheran mit Langstreckenraketen bombardiert werden. Aus dem Golan-Gebiet bezieht Israel zudem einen großen Teil des in der Region knappen Süßwassers für sich.

Unmittelbar mit der Golan Agenda verknüpft ist die Frage nach den ebenfalls 1973 besetzten Gebieten im Libanon rund um die Shebaa-Farmen, für deren Rückgabe sich die libanesische Hisbollah starkmacht.

Gemäß all den UN-Resolutionen und Völkerrecht hätte Israel schon längst die besetzen Gebiete am Golan an Syrien zurückgeben müssen. Alle Verhandlungen darüber, zuletzt 2004 bis 2008 unter Vermittlung der Türkei, scheiterten.

Angesichts dieser Fakten und der allgemeinen israelischen Politik in der Region ist davon auszugehen, dass nie ernsthaft daran gedacht wurde, dieses Gebiet zurückzugeben.

Der israelische Botschafter in Österreich Aviv Shir-On beklagte sich über den Abzug des Kontingents unter Wiederholung der bekannten Selbstdarstellung Israels als potenzielles Opfer arabischer Aggression, das nicht einfach aufstehen und gehen könne, sondern, um sein Überleben kämpfen müsse. Den Interviewern der Tiroler Tageszeitung kam es nicht in den Sinn, den Botschafter darauf hinzuweisen, dass es schon lange keine UN-Truppen auf dem Golan mehr gäbe, hätte die israelische Politik den UN-Resolutionen Folge geleistet und die besetzten Gebiete zurückgegeben.

Von dieser grundsätzlichen Tatsache abgesehen, besteht in der derzeitigen Situation keine Sorge um einen Bruch des Waffenstillstands zwischen Israel und Syrien. Vielmehr geht es darum, dass durch das Anheizen des syrischen Bürgerkriegs über Waffenlieferungen internationaler Akteure an diverse Parteien, nicht mehr klar ist, wer jetzt für die syrische Seite steht.

Die Überparteilichkeit ist freilich nicht mehr gegeben, wenn nicht klar ist, um welche Parteien es überhaupt geht. Wenn Außenminister Spindelegger meint, dass die Überparteilichkeit der Blauhelme nicht mehr von allen Akteuren der Region akzeptiert wird, hat er Recht. Keinesfalls will Österreich noch einmal in eine Lage wie im Kongo 1960 kommen, als österreichische Blauhelme von nigerianischen UN-Truppen freigekämpft werden mussten, oder noch mehr Tote beklagen, zusätzlich zu den auf Zypern und bisher am Golan Umgekommenen.

Verantwortlichkeiten für die syrische Tragödie zuzuweisen, sprengt hier den Rahmen. Bekannt ist in großen Teilen der internationalen Öffentlichkeit, dass in Syrien ein Stellvertreterkrieg von Großmächten – wie USA und Russland – ausgefochten wird, bei dem es wieder um politische Vorherrschaft und ökonomische Kontrolle des arabischen und westasiatischen Raumes geht. Israel spielt darin eine zentrale Rolle und nutzt die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, um seine Position in der Region zu stärken und neue Verbündete zu finden. Von diesen „einzigartigen Chancen“ sprach der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan vor kurzem auf einer Konferenz in Jerusalem.

Für Österreich gilt, dass es sich mit der typisch von Opportunismus geprägten Wendigkeit eines Kleinstaates, der keine nennenswerte Rolle in der internationalen Politik spielt, aus einer Situation heraus manövriert hat, die in jedem Fall mehr Schaden als Nutzen bringt.

Das kleinere Übel wurde gewählt: Besser die Beschimpfungen derer zu ertragen, die sich als Freunde Israels und große Verteidiger des von imperialen Staatsinteressen gelenkten UN-Sicherheitsrats hervortun, als später allein die Folgen dieser Politik auszubaden, Wahlkämpfe zu verlieren und ja, auch Menschenleben zu riskieren.

Dass diese unterschiedliche Wertigkeiten haben, machte Innenministerin Mikl-Leitner deutlich. Sie will über Asylsuchende hinaus (die unter fürchterlichen Umständen und wenn überhaupt Österreich erreichen) keinen syrischen Flüchtlingen Aufnahme gewähren. Nur für Christen aus dem Bürgerkriegsland kann sich ihr Parteikollege Spindelegger Ausnahmen vorstellen. Aktuell Meinung

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  1. Marie sagt:

    @Marie


    Denjenigen, der diese Wahrheit benennt, als Antisemiten zu beschimpfen, stellt die Fakten auf den Kopf.

    Derjenige, der die Wahrheit über die brutale Gewalt der türkischen Polizei benennt, beschimpfen Sie als Rassisten, als Heuchler und als verlogen. Ihrer Meinung nach soll man vor der eigenen Haustür kehren und sich aus den Belangen der Türkei heraushalten. Wieso meinen Sie jetzt nun sich in die Belange von Israel einmischen zu müssen, statt vor der eigenen Haustür zu kehren?

    Ich habe niemandem abgesprochen, die Polizeigewalt in der Türkei zu benennen. Zwischen Benennen, sachlicher Kritik und einseitiger, überzogener Hetze gegen die Türkei besteht ein erheblicher Unterschied.

    Die Türkei hält im Übrigen NICHT fremdes Gebiet völkerrechtswidrig besetzt und hält die dortige Bevölkerung hinter Mauern und ohne Möglichkeit, sich frei zu bewegen und sich angemessen zu versorgen in Not und Elend. Die Türkei unterhält keine Ghettos auf völkerrechtswidrig okkupiertem Terrain. Ich finde NICHT, dass man die Vorgänge in der Türkei damit vergleichen kann – aber Sie vergleichen ja mittlerweile ja auch den Holocaust mit den Vorgängen in der Türkei. Da wundert es mich nicht, dass Sie auch hier einen Zusammenhang mit den von Israel besetzten Gebieten herstellen. In Ihrer überzogenen Hetze gegen die Türkei haben Sie jedes Maß schon lange verloren.

  2. aloo masala sagt:

    Marie schreibt:


    aber Sie vergleichen ja mittlerweile ja auch den Holocaust mit den Vorgängen in der Türkei.

    Diese Behauptung ist falsch und entspricht auch nicht meiner Meinung. Maries Unterstellung wurde bereits zuvor an anderer Stelle widerlegt, was sie offenbar nicht davon abhält, ihre Unterstellungen weiterhin unbeirrt zu wiederholen.

    Ausgangspunkt dieser Falschbehauptung von Marie war die Kritik, dass sich Pro-Erdogan Autoren und Foristen wie Essmer und Marie sich eines klassischen Fehlschlusses bedienen würden, um die Kritik gegen die Erdogan Regierung abzuwürgen. Das Argumentmuster der Pro-Erdogan Fraktion wurde anhand eines Beispiels veranschaulicht:

    „Wie kann die USA die Nazis wegen der Ermordung der Juden verurteilen, wo sie doch selbst die Indianer ausgerottet haben.“

    Aus diesem Sachverhalt, der nicht einmal die Ermordung der Indianer mit dem Holocaust vergleicht, sondern Argumentationsmuster analysiert, konstruiert Marie ihre abenteuerliche Behauptung, dass ich die Vorgänge in der Türkei mit dem Holocaust vergleichen würde, um mir dann in der einen Stelle Rassismus und an dieser Stelle unverhältnismäßige Hetze vorzuwerfen.

    Marie konstruiert sich mit absurden Verrenkungen einen Strohmann, auf den sie dann blindlings mit allen von der Moderation zugelassenen Mitteln einprügeln kann.

  3. Rosa sagt:

    Ich verstehe die Aufregung um den Artikel nicht. Meiner Meinung nach analysiert er treffend, warum Österreich die UN-Truppen zurückzog. Auch mir ist sauer aufgestoßen, warum Israel wieder einmal so laut nach Sicherheit schreit? Sie sollten schon seit Jahrzehnten den besetzten Golan zurückgeben -dann wären die Friedenstruppen gar nicht mehr notwendig! Im übrigen hat sich Israel noch um keine UN-Resolution geschert und wenn ihnen UN-Truppen im Weg standen, diese auch angegriffen wie z.B. UN-Blauhelme im Libanon oder auf Hilfseinrichtungen / UN-Schulen in Gaza. Und: es geht nicht um die Auslöschung von israel, sondern um eine Ende des israelischen Apartheidregimes und der Besatzung!