Österreichische Befindlichkeiten

Die andere Wahrheit über den Golan-Abzug

Die österreichische Regierung beschloss am 6. Juni 2013 den Abzug seines seit fast 40 Jahren auf den Golan-Höhen stationierten Blaumhelmkontingents. Verletzungen der 1973 als Folge des Jom-Kippur Kriegs eingerichteten Waffenstillstandszone werden als Grund dafür angegeben. Doch was sind die Hintergründe für den überraschend eiligen Abzug der österreichischen Soldaten?

Die österreichische Presselandschaft bewegt sich recht einfältig rund um das Thema „Golan-Abzug“. Der wohl am häufigsten genannte Grund: Die Nationalratswahlen im Herbst. Allein dass dies Außenminister Spindelegger vehement bestreitet, mag ein Hinweis auf den Wahrheitsgehalt dieser Aussage sein. Man ist zwar vieles an Oberflächlichkeit aus dem politischen Tagesgeschehen gewohnt, aber um den Abzug eines erfahrenen Kontingents aus einer der brisantesten Konfliktzonen der Welt zu erklären, greift die Erklärung „Wahlkampftaktik“ zu kurz.

Österreich hat sich mit dem UNDOF Mandat auf Basis der Resolution 350 vom 31. Mai 1974 dazu verpflichtet, den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel zu überwachen, das Entflechtungsabkommen zu gewährleisten und die Separationszone zu überwachen. Ein bewaffnetes Eingreifen ist dabei nicht möglich.

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Der historische Hintergrund: 1967 eroberte Israel den Golan, vertrieb nahezu die gesamte arabische Bevölkerung und besetzte das höchst wichtige strategische Gelände. In der Resolution 242 forderte der UN-Sicherheitsrat den israelischen Rückzug aus allen besetzten Gebieten, d.h. Golan, Westbank und Jerusalem, Gaza-Streifen und Sinai. Zugleich verurteilten die UN den militärischen Gebietserwerb.

Im Oktober 1974, im Jom Kippur Krieg, gelang es der israelischen Armee nach anfänglichen Verlusten das Land besetzt zu halten. Als Resultat forderte der Sicherheitsrat wiederholt von Israel die Umsetzung der Resolution 242 und einen Waffenstillstand, mit der Resolution 338.

Ein Waffenstillstandsabkommen kam unter amerikanischer Vermittlung zustande und die Pufferzone unter UN-Kontrolle wurde eingerichtet.

1981/82 wollte die israelische Regierung mit einem Gesetz die besetzten Gebiete auf dem Golan annektieren. Es kam zu Protesten der drusischen Bevölkerung. Diese war – unter Duldung Israels- auf dem Golan verblieben, verweigerte jedoch die israelische Staatsbürgerschaft und forderte immer wieder die Rückgabe des Gebiets an Syrien. In der Resolution 497 verurteilte der Sicherheitsrat das israelische Gesetz ebenso wie die Besiedelungspolitik Israels in den weiteren Resolutionen 446 und 452.

Das hinderte Ariel Scharon nicht daran, Anfang 2004 die Ansiedlung weiterer 900 Siedlerfamilien anzukündigen, mit dem Ziel, die israelische Bevölkerung auf dem Golan in drei Jahren zu verdoppeln.

Strategisch bedeutet die Kontrolle des Golan die Kontrolle über ganz Syrien und darüber hinaus. Damaskus kann vom Golan aus in Schutt und Asche gelegt und sogar Teheran mit Langstreckenraketen bombardiert werden. Aus dem Golan-Gebiet bezieht Israel zudem einen großen Teil des in der Region knappen Süßwassers für sich.

Unmittelbar mit der Golan Agenda verknüpft ist die Frage nach den ebenfalls 1973 besetzten Gebieten im Libanon rund um die Shebaa-Farmen, für deren Rückgabe sich die libanesische Hisbollah starkmacht.

Gemäß all den UN-Resolutionen und Völkerrecht hätte Israel schon längst die besetzen Gebiete am Golan an Syrien zurückgeben müssen. Alle Verhandlungen darüber, zuletzt 2004 bis 2008 unter Vermittlung der Türkei, scheiterten.

Angesichts dieser Fakten und der allgemeinen israelischen Politik in der Region ist davon auszugehen, dass nie ernsthaft daran gedacht wurde, dieses Gebiet zurückzugeben.

Der israelische Botschafter in Österreich Aviv Shir-On beklagte sich über den Abzug des Kontingents unter Wiederholung der bekannten Selbstdarstellung Israels als potenzielles Opfer arabischer Aggression, das nicht einfach aufstehen und gehen könne, sondern, um sein Überleben kämpfen müsse. Den Interviewern der Tiroler Tageszeitung kam es nicht in den Sinn, den Botschafter darauf hinzuweisen, dass es schon lange keine UN-Truppen auf dem Golan mehr gäbe, hätte die israelische Politik den UN-Resolutionen Folge geleistet und die besetzten Gebiete zurückgegeben.

Von dieser grundsätzlichen Tatsache abgesehen, besteht in der derzeitigen Situation keine Sorge um einen Bruch des Waffenstillstands zwischen Israel und Syrien. Vielmehr geht es darum, dass durch das Anheizen des syrischen Bürgerkriegs über Waffenlieferungen internationaler Akteure an diverse Parteien, nicht mehr klar ist, wer jetzt für die syrische Seite steht.

Die Überparteilichkeit ist freilich nicht mehr gegeben, wenn nicht klar ist, um welche Parteien es überhaupt geht. Wenn Außenminister Spindelegger meint, dass die Überparteilichkeit der Blauhelme nicht mehr von allen Akteuren der Region akzeptiert wird, hat er Recht. Keinesfalls will Österreich noch einmal in eine Lage wie im Kongo 1960 kommen, als österreichische Blauhelme von nigerianischen UN-Truppen freigekämpft werden mussten, oder noch mehr Tote beklagen, zusätzlich zu den auf Zypern und bisher am Golan Umgekommenen.

Verantwortlichkeiten für die syrische Tragödie zuzuweisen, sprengt hier den Rahmen. Bekannt ist in großen Teilen der internationalen Öffentlichkeit, dass in Syrien ein Stellvertreterkrieg von Großmächten – wie USA und Russland – ausgefochten wird, bei dem es wieder um politische Vorherrschaft und ökonomische Kontrolle des arabischen und westasiatischen Raumes geht. Israel spielt darin eine zentrale Rolle und nutzt die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, um seine Position in der Region zu stärken und neue Verbündete zu finden. Von diesen „einzigartigen Chancen“ sprach der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan vor kurzem auf einer Konferenz in Jerusalem.

Für Österreich gilt, dass es sich mit der typisch von Opportunismus geprägten Wendigkeit eines Kleinstaates, der keine nennenswerte Rolle in der internationalen Politik spielt, aus einer Situation heraus manövriert hat, die in jedem Fall mehr Schaden als Nutzen bringt.

Das kleinere Übel wurde gewählt: Besser die Beschimpfungen derer zu ertragen, die sich als Freunde Israels und große Verteidiger des von imperialen Staatsinteressen gelenkten UN-Sicherheitsrats hervortun, als später allein die Folgen dieser Politik auszubaden, Wahlkämpfe zu verlieren und ja, auch Menschenleben zu riskieren.

Dass diese unterschiedliche Wertigkeiten haben, machte Innenministerin Mikl-Leitner deutlich. Sie will über Asylsuchende hinaus (die unter fürchterlichen Umständen und wenn überhaupt Österreich erreichen) keinen syrischen Flüchtlingen Aufnahme gewähren. Nur für Christen aus dem Bürgerkriegsland kann sich ihr Parteikollege Spindelegger Ausnahmen vorstellen.