Alles was Recht ist

Gibt es den Bürger zweiter Klasse?

Angesichts des erneuten Scheiterns des Gesetzes zur Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und zur Abschaffung der Optionspflicht ist man geneigt, darüber erneut nachzudenken. Und ich komme zu dem Schluss: ja, es gibt den „Migranten zweiter Klasse“.

Von Filiz Sütçü Mittwoch, 12.06.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 14.06.2013, 8:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Denn immer, wenn es darum geht, dass eine bestimmte Migrantengruppe in Deutschland – gemeint sind die Türkeistämmigen – Rechte für sich in Anspruch nimmt, die für andere Personengruppen aus europarechtlichen Gesichtspunkten (z.B. bilaterale Abkommen) oder anderen Gründen bereits existieren, stößt sie auf Widerstand.

Natürlich wird nicht offen darüber geredet, dass man dieser Migrantengruppe das eine oder andere Recht abspricht. Auch nicht darüber, dass sie aufgrund der zahlenmäßigen Präsenz im Vergleich zu anderen Migrantengruppen am häufigsten von der einen oder anderen Regelung betroffen ist. Hinzukommt, dass viele Vorzüge, die EU-Bürgern gewährt werden, allen nicht EU-Angehörigen vorenthalten werden.

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Dabei wollen wir alle doch nur eins, liebe Mehrheitsgesellschaft: ein Miteinander auf Augenhöhe ohne Fingerzeig. Wir wollen auch Teil dieser Mehrheitsgesellschaft sein, ohne Prä-und/oder Suffixe., ohne Erklärungen, ohne Wenn und Aber.

Dabei hat alles so gut angefangen: Deutschland holte Gastarbeiter, da es Arbeitskräfte brauchte. Die Menschen kamen, weil Arbeit und Geld brauchten. Sie sollten körperliche Arbeit leisten. Nicht wenige brachten eine abgeschlossene Berufsausbildung mit, die in Deutschland aber weder anerkannt noch gebraucht wurde. Ebenso uninteressant war ihre Sprache, Tradition, Kultur und Religion.

Sie kamen aus der Türkei, Griechenland, Italien und Spanien. Sie wollten nicht lange bleiben. Deutschland war ein guter Gastgeber, die befristeten Verträge wurden hier und da verlängert, doch waren die Arbeiter Gäste, daran gab es nie einen Zweifel. Alles war auf Zeit angelegt, ein Bleiberecht war nicht vorgesehen. Beide Seiten können sich diesbezüglich keine Vorwürfe machen. Es war eine auf Zeit angelegte Zweckgemeinschaft.

Dass alles ganz anders kam, hatte viele Gründe. Unzählige Einzelschicksale, politische Unruhen in den Herkunftsländern, Nachwuchs hier und dort, Eheschließungen, auch binationale, Familiennachzug etc. Es gab unzählige Gründe und Schicksale, die die „Gastarbeiter“ in Deutschland hielten.

Ich kann mich nicht erinnern, wann dieser Begriff wegfiel und ab wann man dazu überging, fortan nur noch über den Deutschtürken, den Deutschen mit Migrationshintergrund, den Türkeistämmigen oder über die türkischen Wurzeln sprach.

Ähnlich erging es den „Gastarbeiterkindern“, die man nicht richtig einordnen konnte. Ein Übertritt von der Grundschule aufs Gymnasium war schier unmöglich, ohne sich einem Eignungstest zu unterziehen, den man eigentlich gar nicht machen musste. Heute weiß ich, dass die Lehrer überfordert waren. Sie gingen damals insgeheim davon aus, dass die Gastarbeitersprösslinge es eh nicht schaffen werden und sich dieses Thema sozusagen von selbst löst. Unseren Eltern wurde gesagt: „Sie gehen doch wieder zurück in die Türkei. Das Gymnasium ist nicht das richtige.“

Die Lehrer hatten aber nicht mit dem Ehrgeiz dieser Kinder gerechnet. „Studium, na ja, wo ist denn bitte schön der Bildungshintergrund bei einer Gastarbeiterfamilie?“ Trotzdem wurden aus den Gastarbeiterkindern später Professoren, Politiker, Anwälte, Ärzte Lehrer etc. Aus den „Gastarbeiterkindern“ wurden Deutsche mit Migrationshintergrund.

Und nun meine Frage: Wann, liebe Mehrheitsgesellschaft dürfen wir die hier Geborenen denn nun endlich dieses Suffix ablegen? Das alles wäre nicht so schlimm, wenn diese Arroganz der Mehrheitsgesellschaft nicht wäre, diese Art, die einem das Gefühl gibt, eben nicht dazuzugehören, anders, illoyal zu sein, nur weil man kein EU-Bürger ist – um auf die Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit dem Doppelpass zurückzukommen.

Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Es ist ein Gefühl, dass man nur kennt, wenn man diesen Migrationshintergrund hat und nur den deutschen oder den türkischen Pass. Dieses Gefühl kann man nicht wegintegrieren, ganz abgesehen davon, dass ein hier Geborener sich nicht integrieren muss. Da fängt die eigentliche Diskussion ja an. Aber das ist ein anderes Thema. Aktuell Meinung

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  1. Kigili sagt:

    „…wenn diese Arroganz der Mehrheitsgesellschaft nicht wäre…“. Man nennt es auch deutschen Rassismus. Wir brauchen es nicht euphemistisch umschreiben.

  2. Nun ja, wenn es so einfach auf die Formel „Rassismus“ zu bringen wäre und auch noch auf die Formel „deutscher Rassismus“ …

    Ich denke es ist ratsam mit der Formel „Rassismus“ andere sehr zentrale Wirkmechanismen nicht zu verdecken.

    Wenn wir uns den Diskurs betrachten muss doch auffallen, dass es hier vor allem um eine strukturalfaschistische „Verwertbarkeitsideologie“ handelt.

    D.h. wer im Sinne der Kapitallogik „nichts bringt“ ist auch nichts wert. Wir dürfen diesen asozialen Tiefenmechanismus nicht überdecken, durch die eilfertige rede vom „RASSISMUS“. Es geht hier vor allem auch um soziale Ungleichheit, die in Marktfaschismen gründet und die alle Menschen in einer schwächeren Position trifft.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe _ Amnesty International)

  3. Kigili sagt:

    Menschen nichtdeutscher Herkunft werden aber nicht nur ökonomisch, sondern eben auch ethnisch diskriminiert. Also zweifach. Nur den ökonomischen Aspekt zu betonen und die rassistische Diskriminierung auszublenden, so zu tun, der Diskriminierungsgrad eines Biodeutschen sei gleichzusetzen mit einem ohne deutscher Herkunft sehe ich kritisch und als eine Verkennung des Status Quo.

  4. Mathis sagt:

    @Kigili
    „Diskriminierungsgrad eines Biodeutschen sei gleichzusetzen mit einem ohne deutscher Herkunft sehe ich kritisch und eine Verkennung des Status Quo“
    Wollen Sie für eine „Quote“ eintreten?

  5. Saadiya sagt:

    @ Josef Özcan

    Sie schrieben: „D.h. wer im Sinne der Kapitallogik “nichts bringt” ist auch nichts wert.“ Der Bürger zweiter Klasse kann durchaus einen Hochschulabschluss, einen Doktortitel oder ähnliches und einen Job haben, dass hindert andere Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft nicht daran, trotzdem rassistische Statments abzugeben oder zu diskrimieren. Auch wenn man bereits Deutscher ist, muss man damit rechnen, dem Suffix „mit Migrationshintergrund“ zum Opfer zu fallen und stets beweisen zu müssen, dass man integriert (also deutscher als deutsch) ist. Noch immer geht die deutsche Mehrheitsgesellschaft von einer Art „homogenen Deutschseins“ aus (was auch immer das sein soll). Dabei gab und gibt es keine einheitliche deutsche Kultur oder Gesellschaft, denn beides war immer schon heterogen in seinen Ausprägungen (z.B. bayrische Kulturbräuche versus hamburgerische Traditionen usw. ).

  6. @kigili

    Nun ja, es gibt durchaus „Biodeutsche“, die einen anderen „Biodeutschen“, der z.B. auf der Straße leben muss, weniger schätzen als einen „Fremden“, der ihnen Gemüse verkauft. Beide werden diskriminiert aber der Obdachlose eventuell mehr als der „Fremde“.

    Sie verkennen, die Macht der asozialen Abstufungen, die weit über das Thema und in das Thema Rassismus heraus und hineinragen.

    Wenn sie meine kurzen Ausführungen mit mehr Bedacht gelesen hätten wäre ihnen aufgefallen, dass ich die Gefahr der Verdeckung der sozialen Ungerechtigkeit, durch eilfertige Formeln sehe, ich leugne nicht, dass der rassistischen Diskriminierung eine gewisse Eigendynamik zu zusprechen ist.
    Von „Biodeutschen“ zu handeln ist übrigens grenzwertig. Diskriminierung lässt sich nicht mit Diskriminierung behandeln. Sie würden den Begriff „Kümmeltürke“ doch sicher auch nicht verwenden.

    Josef Özcan (Amnesty International)

  7. Kigili sagt:

    Ich denke schon, dass ich Ihre Ausführungen „mit mehr Bedacht“ gelesen habe. Sie betonen die ökonomisch-soziale Komponente von Diskriminierung und üben Kapitalismuskritik. Ihrer Kapitalismuskritik widerspreche ich gar nicht und halte sie für richtig. Damit kann ich sehr gut leben. Dabei blenden Sie jedoch die Diskriminierung aufrund der ethnischen Zugehörigkeit aus oder relativieren diese zumindest. Mit Ihrer Bewertung des deutschen Rassismus habe ich aber ein Problem. Dieser Bewertung widerspreche ich, weil nach Ihrer Darstellung es egal ist, ob beispielsweise jemand z.B. Afrikaner ist oder eben deutsch gemäß dem was die Mehrheitsgesellschaft als deutsch versteht. Dass Einer aus der Minderheitsgesellschaft gleich zweifach (und wenn er Moslem ist heutzutage dreifach) diskriminiert wird, ignorieren Sie oder schwächen es zumindest ab. Sämtliche Studien belegen und auch für den, der nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt geht, ist es offensichtlich, dass besonders Minderheiten von Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung, geringerer ökonomischer Teilhabe in Deutschland durchschnittlich deutlich mehr betroffen sind. Es ändert auch nichts daran, wenn Sie dann mit Ihrem Argument des Gemüsehändler-/Obdachlosenbeispiels eine andere Sicht auf die Dinge darlegen möchten. Dass gerade Sie das Zursprachebringen des deutschen Rassismus als eine „Gefahr der Verdeckung der sozialen Ungerechtigkeit“ werten, enttäuscht mich, weil ich sonst gerne Ihre mir bisher als sinnvoll aufgefallenen Beiträge lese.

  8. Kigili sagt:

    @Mathis: Ja, ich halte eine Minderheitenquote in Unternehmen und Behörden, insbesondere auf Führungsebenen für absolut notwendig, um eine gleichberechtigte Partizipation an dieser Gesellschaft auch für Minderheiten sicherzustellen.

  9. Marie sagt:

    Ich sehe das so – das eine wird bezeichnet als Sozialdarwinismus, das andere als Rassismus, beide gehen Hand in Hand und beide sind Kinder des Faschismus. Es geht um das eine wie das andere gleichermaßen und das eine wie das andere beruht auf denselben faschistischen Denkstrukturen.

    Rassisten sind in der überwiegenden Mehrheit auch Sozialdarwinisten und umgekehrt. Und der faschistische Hass trifft beide, die angeblichen (wirtschaftlichen) „Schädlinge“ und die Menschen aus einem bestimmten Kulturkreis, die in der faschistischen Denkungsart mit „Schädlingen“ ebenfalls gleichgesetzt werden.

    Es genügt, ein Türke oder Araber zu sein, um von Menschen mit faschistoider Denkart zum „Schädling“ erklärt zu werden, nach der begeistert beklatschten „Lehre“ von Sarrazin, nach der Araber und Türken keine produktive Funktion, außer vielleicht im Obst- und Gemüsehandel und eine lange „Tradition von Inzucht“ hätten u.v.a. Ungeheuerliche mehr.

    Es genügt aber auch, ein Hartz-IV-Empfänger oder angeblicher „Armutsflüchtling“ , ein Obdachloser usw. zu sein, um den faschistoiden Hass zu erregen und die Sarrazyniker und andere Volksverhetzer erklären die Einen wie die Anderen zu „Schädlingen.“ Es ist müssig, das eine vom anderen trennen zu wollen oder isoliert das eine und das andere betrachten zu wollen, den beides gehört untrennbar zusammen und ist untrennbar miteinander verbunden und der Oberbegriff für beides ist Faschismus.

  10. Marie sagt:

    „Von “Biodeutschen” zu handeln ist übrigens grenzwertig. Diskriminierung lässt sich nicht mit Diskriminierung behandeln. Sie würden den Begriff “Kümmeltürke” doch sicher auch nicht verwenden.“

    Da sehe ich allerdings einen erheblichen Unterschied – der Begriff „Biodeutsche“ wird für Menschen mit längerer deutscher Ahnenreihe, also ohne sogenannten „Migrationshintergrund“ verwendet und dient der Abgrenzung der Begriffe. Ein Schimpfwort ist der Begriff ganz sicher nicht. Und meistens wird er eher scherzhaft verwendet. Mittlerweile wird „Biodeutsche“ gar von rechten Plattformen, beispielsweise PI, “ mit Stolz für die „Indigene“ Bevölkerung verwendet. Dagegen ist der Begriff „Kümmeltürke“, wenn er sich auf Türken bezieht (er wird auch in anderen Bezügen verwendet) ganz eindeutig und zweifelsfrei ein Schimpfwort.