Denn immer, wenn es darum geht, dass eine bestimmte Migrantengruppe in Deutschland – gemeint sind die Türkeistämmigen – Rechte für sich in Anspruch nimmt, die für andere Personengruppen aus europarechtlichen Gesichtspunkten (z.B. bilaterale Abkommen) oder anderen Gründen bereits existieren, stößt sie auf Widerstand.
Natürlich wird nicht offen darüber geredet, dass man dieser Migrantengruppe das eine oder andere Recht abspricht. Auch nicht darüber, dass sie aufgrund der zahlenmäßigen Präsenz im Vergleich zu anderen Migrantengruppen am häufigsten von der einen oder anderen Regelung betroffen ist. Hinzukommt, dass viele Vorzüge, die EU-Bürgern gewährt werden, allen nicht EU-Angehörigen vorenthalten werden.
Dabei wollen wir alle doch nur eins, liebe Mehrheitsgesellschaft: ein Miteinander auf Augenhöhe ohne Fingerzeig. Wir wollen auch Teil dieser Mehrheitsgesellschaft sein, ohne Prä-und/oder Suffixe., ohne Erklärungen, ohne Wenn und Aber.
Dabei hat alles so gut angefangen: Deutschland holte Gastarbeiter, da es Arbeitskräfte brauchte. Die Menschen kamen, weil Arbeit und Geld brauchten. Sie sollten körperliche Arbeit leisten. Nicht wenige brachten eine abgeschlossene Berufsausbildung mit, die in Deutschland aber weder anerkannt noch gebraucht wurde. Ebenso uninteressant war ihre Sprache, Tradition, Kultur und Religion.
Sie kamen aus der Türkei, Griechenland, Italien und Spanien. Sie wollten nicht lange bleiben. Deutschland war ein guter Gastgeber, die befristeten Verträge wurden hier und da verlängert, doch waren die Arbeiter Gäste, daran gab es nie einen Zweifel. Alles war auf Zeit angelegt, ein Bleiberecht war nicht vorgesehen. Beide Seiten können sich diesbezüglich keine Vorwürfe machen. Es war eine auf Zeit angelegte Zweckgemeinschaft.
Dass alles ganz anders kam, hatte viele Gründe. Unzählige Einzelschicksale, politische Unruhen in den Herkunftsländern, Nachwuchs hier und dort, Eheschließungen, auch binationale, Familiennachzug etc. Es gab unzählige Gründe und Schicksale, die die „Gastarbeiter“ in Deutschland hielten.
Ich kann mich nicht erinnern, wann dieser Begriff wegfiel und ab wann man dazu überging, fortan nur noch über den Deutschtürken, den Deutschen mit Migrationshintergrund, den Türkeistämmigen oder über die türkischen Wurzeln sprach.
Ähnlich erging es den „Gastarbeiterkindern“, die man nicht richtig einordnen konnte. Ein Übertritt von der Grundschule aufs Gymnasium war schier unmöglich, ohne sich einem Eignungstest zu unterziehen, den man eigentlich gar nicht machen musste. Heute weiß ich, dass die Lehrer überfordert waren. Sie gingen damals insgeheim davon aus, dass die Gastarbeitersprösslinge es eh nicht schaffen werden und sich dieses Thema sozusagen von selbst löst. Unseren Eltern wurde gesagt: „Sie gehen doch wieder zurück in die Türkei. Das Gymnasium ist nicht das richtige.“
Die Lehrer hatten aber nicht mit dem Ehrgeiz dieser Kinder gerechnet. „Studium, na ja, wo ist denn bitte schön der Bildungshintergrund bei einer Gastarbeiterfamilie?“ Trotzdem wurden aus den Gastarbeiterkindern später Professoren, Politiker, Anwälte, Ärzte Lehrer etc. Aus den „Gastarbeiterkindern“ wurden Deutsche mit Migrationshintergrund.
Und nun meine Frage: Wann, liebe Mehrheitsgesellschaft dürfen wir die hier Geborenen denn nun endlich dieses Suffix ablegen? Das alles wäre nicht so schlimm, wenn diese Arroganz der Mehrheitsgesellschaft nicht wäre, diese Art, die einem das Gefühl gibt, eben nicht dazuzugehören, anders, illoyal zu sein, nur weil man kein EU-Bürger ist – um auf die Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit dem Doppelpass zurückzukommen.
Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Es ist ein Gefühl, dass man nur kennt, wenn man diesen Migrationshintergrund hat und nur den deutschen oder den türkischen Pass. Dieses Gefühl kann man nicht wegintegrieren, ganz abgesehen davon, dass ein hier Geborener sich nicht integrieren muss. Da fängt die eigentliche Diskussion ja an. Aber das ist ein anderes Thema.