Klischees

Von einer starken Frau und einer schwachen Gesellschaft

Eine muslimische Frau sitzt zu Hause und kocht und betreut die Kinder. Der Mann - natürlich ein Patriarch und Macho - geht arbeiten. So stellt man sich eine typisch muslimische Familie vor. Die Realität hingegen kann ganz anders aussehen.

Von Jenin E. Abed Donnerstag, 06.06.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.06.2013, 23:18 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Dank prominenter Persönlichkeiten wie Sarrazin oder Buschkowsky werden wir immer wieder daran erinnert, was Menschen aus der muslimischen Welt, falsch gemacht hätten, und warum sie eigenverschuldet im Abseits lebten. Beispiele werden zahlreich genannt. Ganze Stadtteile – nein, ein ganzes Land – sei mehr oder weniger aufgrund ihres Unvermögens zum Scheitern verurteilt.

Auch in der Politik hieß es immer wieder, Zuwanderer und insbesondere Muslime lebten zu oft in „tradierten, patriarchalisch geprägten Partnerschaften“. 1 Die Rede ist hier vom muslimischen Macho. Ein Bild, das wir unlängst als etabliert bezeichnen können (siehe als Beispiel die jüngst herausgegebene Kolumne auf Spiegel Online. 2 Zu erinnern ist auch an die in den Medien viel beachtete Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. von 2010, dessen methodische Vor¬geh¬ens¬weise nicht unumstritten war. 3

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Weniger dokumentiert als der muslimische Macho ist jedoch, dass die Zeiten heute ganz andere Geschichten schreiben, als der Mainstream vielleicht glauben möchte. Dass die Rollenverteilung auch in muslimischen Familien längst nicht mehr das Gleiche ist wie vor 50 Jahren,– wenngleich es wohl auch niemals so war, wie es ihnen nachgesagt wurde – gerät in den Hintergrund.

Verallgemeinerungen reichen längst nicht mehr, um der Komplexität und Vielschichtigkeit einer Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Sondern es sind die vielfältigen Familienkonstellationen, die zeigen, dass Klischees moderner Familien längst nicht mehr gerecht werden.

So wie das folgende Beispiel einer Deutsch-Amerikanerin, dass deutlich zeigt, das sowohl die eigenen Lebensentwürfe vielfältig sind als auch die gesellschaftlichen Umstände, in denen wir heute leben:

Jasmin Franklins 4 Mutter ist Deutsche; ihr Vater ist Amerikaner. Sie selbst ist sowohl in den USA als auch in Deutschland aufgewachsen. Ihr Abitur hat sie an einem evangelischen Internat in Süddeutschland gemacht. In dieser Zeit bekam sie eine Tochter. Nach der Schulzeit wollte sie wieder zurück in die USA, um dort zu studieren.

Doch es kam anders. Da sie von ihrer Familie keine Unterstützung erhielt, war sie gezwungen, die kostspieligen Gebühren an der amerikanischen Universität selber zu finanzieren. Doch Arbeit und Studium konnte die alleinerziehende Mutter nicht vereinbaren. Sie geriet an ihre Grenzen und kam zurück nach Deutschland. In Bremen begann sie einen Neustart. Sie nahm ein Studium in Kulturwissenschaften auf und lernte hier ihren Mann kennen. Das erste Buch, mit dem sie sich während ihres Studiums beschäftigte, war der Koran. Sie konvertierte zum Islam. Ihr Mann ist ebenfalls muslimischen Glaubens und ist vor rund 25 Jahren aus Marokko nach Deutschland gekommen.

Sie gehört zu den Frauen, die sich für Familie und Karriere entschieden haben. Bereits während ihres Studiums bekam sie zwei weitere Kinder. Ihr Mann unterstützte sie von Beginn an und gab ihr die Möglichkeit, sich auf das Studium zu konzentrieren. Dafür kümmert er sich bis heute als Hausmann um die Kinder. Seine Unterstützung hat sie also.

Wie selbstverständlich ist sie diejenige, die die Entscheidungen für die Familie trifft. Sie gibt die Richtung an. Ihr Mann stand immer über seiner Rolle als Hausmann. Wenn Freunde ihn ansprachen, Kinderbetreuung sei nicht seine Aufgabe, wiegelte er ab. Die Betreuung der Kinder war so gesichert, jedoch hat diese Aufgabenverteilung einen ernsten Hintergrund. Jasmins Ehemann hat den Arbeitsmarkt aufgegeben. Er wollte zwar immer einen Schulabschluss nachholen, selber eine Ausbildung machen. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt, seine Arbeitsverhältnisse waren stets prekär. Daher entschieden sie sich, in ihre Ausbildung zu investieren.

Dabei war der Weg ins Berufsleben auch für Jasmin schwierig. Als sie sich für ein Pflichtpraktikum bei jeglichen Goethe-Instituten und anderen Einrichtungen in Deutschland bewarb, erhielt sie nur Absagen. Sie vermutet, es läge vielleicht an ihrem Hijab. Die Suche empfand sie als Tortur. Das Gleiche galt für ihre Kommilitoninnen, die einen Hijab trugen. Einige von ihnen mussten deswegen sogar ihr Studium abbrechen, da sie das Pflichtpraktikum nicht absolvieren konnten.

Jasmin hingegen entschied sich, es im Ausland zu versuchen. Zunächst in Marokko, wo das Goethe-Institut ihr auch eine Absage erteilte, da sie keine Deutsch-Muttersprachlerin sei. In Abu Dhabi bekam sie endlich den erhofften Praktikumsplatz.

Die Kontakte, die sie sich 2009 in den Emiraten aufgebaut hat, konnte sie glücklicherweise bis nach dem Studium aufrechterhalten. Denn nach längerer Zeit der Suche kam ein Jobangebot aus Abu Dhabi von einer Firma für interkulturelle Kommunikation, für die sie nun seit Kurzem arbeitet. Ihre Kinder und ihr Mann werden im Sommer nachkommen.

Zurück nach Deutschland wolle sie nicht mehr. Wenn es in Abu Dhabi nicht weiter ginge, würde sie eher in den USA leben wollen. Die schlechten Erfahrungen, die sie bei der Praktikumssuche gemacht hat, wolle sie nicht noch einmal erleben. Sozialleistungen wolle sie auch nicht mehr annehmen, sondern ihre Qualifikationen nutzen und ein Vorbild für ihre Kinder sein. Aber zunächst hofft sie, in Abu Dhabi bleiben zu können, denn hier fühlt sie sich bisher am wohlsten. All die Schwierigkeiten, die sie bisher hatte, möchte sie hinter sich lassen. Jasmins Leben ist von vielen Faktoren geprägt. Die Ausgangslage machte es nicht einfach, ein Leben zwischen den USA und Deutschland, kaum Unterstützung vom Elternhaus. Später der Balanceakt zwischen Studium und Kindern. Dann der schwierige Einstieg ins Berufsleben, der ihr in Deutschland verschlossen blieb. Als Ausweg die Auswanderung.

Deutlich wird hier, dass anders als die Islam-Macho-Theorie verheißen mag, die Widerstände für Jasmin aus einer ganz anderen Richtung kamen.

  1. Vgl. Naika Fourotan (Hrsg.) (Dez. 2010). „Sarrazin Thesen auf dem Prüfstand“, S. 11.
  2. Jan Fleischhauer, „S.P.O.N. – Der Schwarze Kanal: „Sag das Wort nicht““. Artikel vom 25.04.2013, Spiegel Online. Der Autor berichtet hier von seinem Kommentar auf einem von der taz organisierten Kongress: „Ich habe nur gewisse Zweifel, dass wir an der Sexismusfront wirklich weiter kommen, wenn in unserem Fall an die Stelle des weißen Mittelschichtsmannes sein türkischer, arabischer oder indischer Kollege tritt.“
  3. Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Susann Rabold, Julia Simonson, Cathleen Kappes (2010). „Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum. Zweiter Bericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN“. Forschungsbericht Nr. 109, S. 126, 131, 322. In dem Bericht ist wird die Bereitschaft zu Gewalt in Verbindung mit „der muslimischen Machkultur“ gebracht.
  4. Name geändert
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  1. Nisaa sagt:

    Vielen Dank für Ihren Artikel. Bin selbst als westlich sozialisierte Frau mit einem Mann islamischen Glaubens seit 10 Jahren verheiratet. Die Vorurteile denen man in so einer „Position“ begegnet sind in Deutschland (wahrscheinlich auch in anderen westlichen Ländern) enorm. Wenn der Mann arbeitet und die Frau nicht, oder z.B. Teilzeit, dann heißt es: „Schau, Macho“. Wenn – wie in ihrem Artikel – eine andere Aufgabenteilung gewählt wurde, kann man auch sagen, dass die Frau für den Macho jetzt auch noch schuften muss. Wie man es macht, macht man es falsch. Deswegen habe ich mir angewöhnt, mich nicht mehr darum zu scheren, was die „Mehrheitsgesellschaft“ über uns denkt. Solange wir miteinander klarkommen und glücklich miteinander sind, sind mir die anderen mehr oder minder egal. Gegen die in den Mainstreammedien gepflegten Vorurteile als Einzelperson anzukämpfen, das scheint mir mittlerweile utopisch.

  2. Mylitta sagt:

    Einzelfall. Dieses Beispiel hat keine Bedeutung für die Mehrheit… die Klischees entstehen weil Medien diese Bilder gestalten und vertreiben, jedoch solche vereinzelte Beispiele sind nicht genug um das Konstrukt abzubauen. Besser wäre es, das Buch “Orientalism“ als Leitfaden zu nehmen. Edward Said hat dort mehrfach die besten Argumente geliefert, und gegen diese von Medien und Kultur beschaffenen Traditionen gesprochen.
    Eine Geschichte wird nicht anerkannt. Logisches Denken und intellektuelle Argumente sind von größerer Bedeutung.

  3. Amira sagt:

    Nicht einzelfall in meiner meinung und erfahrung, Meine geschichte ist sehr ähnlich wie dieser im artikel. Bin in 2007 zum islam gekommen, hab immer gearbeitet und bin sehr selbstständig. War auch im militär für 8 jahre. Bin verheiratet und habe ein kind. Mein ehemanns mutter passt auf unser kind auf wenn wir beide in der arbeit sind und ich denke nicht das ich bald aufhören werde zu arbeiten. Viele meiner muslimischen freundinnen sind auch verheiratet und arbeiten. Sie arbeiten in hohen Führungs order technicalen positionen, nicht wie viele glauben als putzfrauen, aber das kann ja möglicherweise nur ein erscheinung der Amerikanisher arbeits/geselltshaft sein. Vielleicht muss man dieses artikel nehmen wie es gemeint ist: als ein stück das euch zum denken fordert….

  4. Die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau sind oft sehr vielschichtig und nicht immer so eindeutig wie es „offen-sichtlich“ erscheint.

    Das gilt für jeder Gesellschaftsform dieser Welt.

    Und nur weil eine Frau ein Kopftuch trägt, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht zu Hause zugleich auch „die Hosen anhaben“ kann.

    Dennoch muss offensichtliche und verdeckte Entmächtigung und Entrechtung von Frauen massivst bekämpft werden und das in jeder Kultur.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)

  5. Marian sagt:

    Danke, das hat mir aus der Seele gesprochen.
    Man muss die Dinge differenziert sehen und nicht von der Oberfläche.
    Eigentlich schade, wenn qualifizierte Leute weggehen müssen.