Studie zum Optionsmodell

Optionspflicht hat einen hohen Preis

Zum ersten Mal müssen sich junge Erwachsene mit zwei Staatsangehörigkeiten für den deutschen oder den ausländischen Pass der Eltern entscheiden. Laut einer Studie wählen nahezu alle Deutsch-Türken den deutschen Pass - gezwungenermaßen.

Von Patricio Farrell Mittwoch, 05.06.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Deutsch oder nicht? In diesem Jahr müssen sich die ersten jungen Erwachsenen mit doppelter Staatsangehörigkeit endgültig für einen ihrer beiden Pässen entscheiden. Laut Staatsangehörigkeitsgesetz können in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern neben dem deutschen Pass einen ausländischen führen, wenn ein Elternteil seit acht Jahren in Deutschland mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel lebt. Bis zum 23. Lebensjahr müssen sich die jungen Doppelstaater dann allerdings entscheiden.

Wie sich die Mehrheit der ersten Optionspflichtigen entscheidet und aus welchen Gründen hat Patrick Fick von der Universität Konstanz untersucht. Gemeinsam mit Claudia Diehl (ebenfalls von der Universität Konstanz) hat er in einer empirischen Studie junge Optionspflichtige zu ihrer Wahl befragt. Da junge Deutsch-Türkinnen und Deutsch-Türken besonders stark von dem Optionsmodell betroffen sind, haben sich beide Forscher in ihrer Studie auf diese Gruppe beschränkt.

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Die Meisten entschieden sich für den deutschen Pass
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Nahezu alle jungen deutsch-türkischen Befragten beabsichtigen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu behalten. Dabei spielen vor allem zwei pragmatische Überlegungen eine Rolle. Einerseits erhoffen sich junge Optionspflichtige mit einem deutschen Pass rechtliche Vorteile wie etwa das visafreie Reisen innerhalb der EU. Andererseits gehen sie davon aus, dass sie ihre politischen Interessen eher mit einem deutschen Pass durchsetzen können als mit einem türkischen.

Bei der Entscheidung sind aber nicht nur rechtlich-politische Vorteile von Bedeutung. Für eine Minderheit der Befragten ist die Pflichtwahl zwischen einem deutschen oder türkischen Pass durchaus auch eine Zugehörigkeitsentscheidung, also eine erzwungene Entscheidung für oder gegen Deutschland und somit gegen oder für die Türkei.

Familie maßgeblich
Fick und Diehl untersuchten auch, in welchem sozialen Rahmen die Entscheidung zustande kommt. Bemerkenswerterweise haben Freunde und die Mutter einen eher geringen Einfluss auf die Wahl. Der Vater dagegen spielt sowohl für Jungen als auch für Mädchen eine herausragende Rolle. Dieses Ergebnis überrascht ein wenig: „Wir hätten erwartet, dass die Entscheidung stärker im Freundeskreis diskutiert wird“, sagt Fick.

Bei den Ergebnissen dieser Studie gibt es allerdings einen Punkt zu beachten: Obwohl das Optionsmodell erst zum 1. Januar 2000 in Kraft trat, gab es rückwirkend für Kinder, die zwischen 1990 und 2000 geboren wurden, eine Übergangsregelung. Auf Wunsch konnten Eltern mit ausländischen Pässen für ihre Kinder die doppelte Staatsangehörigkeit nachträglich beantragen.

Riskantes Spiel
Wegen dieser freiwilligen Inanspruchnahme warnt Fick davor, die Ergebnisse seiner Studie eins zu eins auf zukünftige Optionspflichtige zu übertragen. Die bewusste Entscheidung für den deutschen Zweitpass lasse auf eine gewisse Offenheit der Eltern gegenüber dem deutschen Pass schließen. Darüber hinaus erkläre diese Offenheit auch das vergleichsweise hohe Bildungsniveau. Während rund 27 Prozent der Befragten angaben, dass sie Abitur gemacht haben, galt dies laut Mikrozensus (also statistischen Erhebungen des Bundes) nur für 12 Prozent der in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken.

Tipp: Eine ausführliche Stellungnahme mit weiteren Details zur Studie finden Sie in „Deutschsein auf Probe“ von Claudia Diehl und Patrick Fick.

Dass sich fast alle Optionspflichtigen für den deutschen Pass entscheiden, heißt aber nicht, dass die Entscheidung allen jungen Menschen gleich leicht fällt. So fällt die Entscheidung zwischen zwei Pässen Abiturientinnen und Abiturienten deutlich schwerer als Jugendlichen ohne Abitur. Fick vermutet, dass „höher Gebildete die Pflicht zur Entscheidung viel stärker als andere als eine Zumutung empfinden.“ Diese Ergebnisse decken sich in Teilen mit zwei Studien des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Es scheint als riskiere Deutschland mit dem Optionsmodell, gerade die gut ausgebildete und zwischen zwei Kulturen vermittelnde Brücken-Generation zu verprellen.

Gegängelt und gekränkt
Das Optionsmodell in seiner heutigen Form war ein politischer Kompromiss. Ende der 90er einigten sich Regierung und Opposition – nach heftiger und emotional geführter Debatte – auf ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz. Die Idee: Nicht nur die Nationalität der Eltern („Blutsrecht“), sondern auch der Geburtstort („Bodenrecht“) solle bestimmen, wer deutsch werden könne.

Die konservative Opposition erstritt allerdings einen Vorbehalt. Da mit dem neuen Gesetz Mehrstaatigkeit – ein Prinzip, mit dem die deutsche Rechtsprechung traditionsgemäß hadert – ermöglicht wurde, sollten sich junge Menschen bei Eintritt der Volljährigkeit und spätestens bis zum 23. Lebensjahr zwischen der ausländischen und der deutschen Staatsangehörigkeit entscheiden.

Für den Soziologen Patrick Fick gehört dieser alte Kompromiss nun erneut reformiert. Schließlich werde die doppelte Staatsbürgerschaft bei anderen Nationalitäten (etwa bei EU-Bürgern) ebenfalls akzeptiert. Außerdem meint Fick: „Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass gerade die gut ausgebildeten Optionspflichtigen sich durch diese Regelung gegängelt und gekränkt fühlen.“ Es bleibt die Frage, wie lange die Politik braucht, um dies auch so zu sehen. Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Pingback: CDU/CSU und FDP stimmen gegen doppelte Staatsbürgerschaft

  2. Reinhard sagt:

    Die betroffenen Options-Deutschen sollten Ihren deutschen Pass abgeben und die türkische Staatsangehörigkeit annehmen.
    Eine andere Möglichkeit ist auch die Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit, aber unter der Bedingung, dass der türkische Pass vorher abgegeben werden muss.

    Diejenigen, die sich für den deutschen Pass entschieden haben, können dann bei den türkischen Behörden jederzeit die sogenannte „Blaue Karte (Mavi Kart)“ auf Antrag erhalten. Diese Bescheinigung erhält jeder von den türkischen Staatangehörigkeitsbehörden rechtmäßig ausgebürgerte ehemalige Türke mit jetzt deutscher Staatsbürgerschaft.

    Diese „Blaue Karte (Mavi Kart)“ verleiht jedem „ehemaligen“ türkischen Staatsangehörigen sehr umfassende Bürgerrechte wie zum Beispiel unbefristetes Aufenthalts – und Arbeitsrecht in der Türkei.

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