Der Triebtäter
Ode an den Kadavergehorsam – ein ideologisches Manifest
Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Hierzulande hat die Unart wieder von den Köpfen der Menschen Besitz ergriffen, Kritik an Deutschland als solche gänzlich abzulehnen, egal wie berechtigt sie ist.
Von Sven Bensmann Dienstag, 04.06.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.06.2013, 6:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Diese Unart nennt sich „Patriotismus“, mitunter „Partyotismus“, und ist dem Nationalismus mindestens wesensverwandt, ist bei genauerer Betrachtung zumeist eine einfache Umettikettierung desselben Dings.
„Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.“ Arthur Schopenhauer. 1851.
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Diesem Zugrunde liegt die Annahme, alles sei wohl perfekt, wie es ist und müsse als solches bewahrt werden, Fortschritt hingegen sei generell abzulehnen: der sogenannte Konservativismus.
Selbst wenn Deutschland sich abschaffe und langsam ausstürbe, dürfe dennoch nichts getan werden, das Deutschland zukunftsfähig mache, zum Beispiel durch die Gleichstellung der Frau oder Öffnung des für so gut befundenen „deutschen Volkskörpers“ für fremde Gene.
Dabei wird geflissentlich übersehen, dass jede Gesellschaft dazu verdammt ist, sich entweder weiterzuentwickeln oder zu verschwinden. Europa stieg zu dem Zeitpunkt zur Weltspitze auf, vorbei an Arabien und China, als diese Gesellschaften erstarrten und sich isolierten, in Europa aber Renaissance und Aufklärung die intellektuellen Räume dominierten und mit Reformation und Gegenreformation selbst den Kirchen, sonst Horte des Konservativismus, eine progressive Agenda aufzwangen.
Dynamik ergibt sich dabei immer aus Thesen, Argumenten, Gegenthesen, Gegenargumenten und zuletzt Synthesen. Aus Kritik wird man schlauer, durch Kritik entwickelt man sich, wird stärker.
Auch in Beziehungen ist der Versuch, den Partner zu ändern, ein wichtiges Motiv, dass aus dem Interesse erwächst, mit dem anderen zusammenleben zu wollen, dieses Zusammenleben aber angenehmer zu gestalten.
Und dasselbe muss als geltend auch für Gesellschaften und Staaten angesehen werden: Wir kritisieren die Gesellschaft in der wir leben, weil wir in ihr leben, wir aber das Gefühl haben, dass sie sich in die falsche Richtung bewegt. Wir kritisieren, weil wir etwas verbessern wollen.
Dafür nehmen wir gern ebenso Kritik entgegen. Kritik von Menschen, die andere Ansichten vertreten, die andere Ideen haben. Aus Thesen und Antithesen ergeben sich Synthesen, ergibt sich eine multilaterale Gesellschaft.
Gerade in einem multi-kulturellen und multi-ethnischen Staat wie Deutschland, das seit seiner Gründung die unterschiedlichsten Volksstämme miteinander verband – Sachsen und Franken, Preußen und Bayern, Hessen und Rheinländer, Württemberger, Dänen und Österreicher – ist diese Form des steten Aushandelns eines allgemein akzeptablen Status quo eine Notwendigkeit, die nicht durch dumpfen Patriotismus der Marke „Was deutsch ist, soll deutsch bleiben“ verhindert werden darf. Deutschland ist seit jeher nur die Idee einer Nation von föderalen Kleinstaaten gewesen, Kleinstaaten, die immer auch eine eigene, manchmal antideutsche, Identität bewahrt haben oder zumindest eine eigene Mentalität pflegten – immer dann, wenn eine nationalistische Diktion des „Deutschland über alles“, über allem in der Welt und in im eigenen Lande, überwog, führte dies zum kulturellen Super-GAU. Schon nach dem Großen Krieg schrieb Paul Valerie „Wir Kulturvölker, wir wissen nun, daß wir sterblich sind“. Nicht einmal 30 Jahre später hatte Deutschland bereits dafür gesorgt, dass der Große Krieg nun der Erste Weltkrieg genannt wird und in einem Zweiten den Versuch gewagt, ganze Kulturvölker zu vernichten, um dabei letzlich nur die eigene Kultur zu liquidieren..
„Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde entfernt davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Kurt Tucholsky, 1931.
Krieg ist ganz generell die Aufhebung aller Kultur; Krieg ist Krieg, und es gibt keinen „sauberen“ Krieg, der sich um Menschenrechte schert. Die Wurzel des Krieges ist wiederum zumeist Nationalismus. Wenn Politiker davon reden, die Freiheit Deutschlands würde auch am Hindukusch verteidigt, ist das in vielerlei Hinsicht grober Unfug. Effektiv wird sie gar eingeschränkt: Um subversive Elemente in der „Heimatfront“ zu eliminieren, ebenso wie, um tatsächliche und eingebildete Bedrohungen von außen, die der Krieg erst schafft, abzuwehren.
Eine pluralistische, offene Gesellschaft, multikulturell wie multiethnisch, ist hingegen die beste Abwehr gegen jede Form von Totalitarismen, wie ein Krieg sie nur schürt. Sie bietet ebenso erfolgreich fanatischen Hasspredigern, sei es nun aus dem Umfeld des Islamismus oder des Faschismus, die Stirn, wie jeder anderen Form von Chauvinismus und Diskriminierung; sie ist das Fundament einer demokratischen Gesellschaft, sie impft diese so gegen Denkverbote, und erlaubt es sogar, abwegige rassistoide Wortmeldungen zu ertragen.
Selbst die Sarrazin, Broders und Buschkowskis können hierzulande Bücher veröffentlichen, in dem Bestreben, dass friedliche Miteinander zu unterminieren.
Die Kritik ist daher der fundamentalste Bestandteil der modernen westlichen Gesellschaft, sie erst erlaubt Fortschritt.
„Wenn zwei Menschen immer dasselbe denken, ist einer von ihnen überflüssig.“ Winston Churchill.
PS: Passend zum Erscheinen dieses Textes geht auch ein neues Blog an den Start, dass treffenderweise (und selbsterklärend) „Der Triebtäter – Eine Resterampe“ heißt. Zu erreichen ist es unter s10n.tk Aktuell Meinung
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Der Autor ist ohne Zweifel auf dem richtigen Denkweg.
Er sitzt aber leider immer noch der so gerne geführten Rede von der „Multikulturalität“ auf.
Erst wenn wir von der „Multikulturalität“ zur nächsten Stufe einer unendlich diversifizierten „Intersubjektivität“ gelangen – einer Intersubjektivität, die darin gründet die kulturelle Prägung eines signifikanten Anderen zum Anlass und Anhalt zu nehmen die eigenen kulturellen Prägungen zu reflektieren und zu sich als Subjekt, das sich nicht kulturell objektivieren lässt, zu finden bzw. zurück zu finden – haben wir einen wirklichen Erfolg erzielt.
Josef Özcan (Diplom Psychologe)