Antisemitismus und Islamophobie
Zum Gedenken an Solingen: 20 Jahre Mordanschlag
Vor 20 Jahren kamen Menschen bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag ums Leben. Was trieb die Täter an? Wer waren die geistigen Brandstifter, was die Ursachen? Und was kann man heute tun?
Von Prof. Dr. Sabine Schiffer Mittwoch, 29.05.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.11.2017, 9:18 Uhr Lesedauer: 14 Minuten |
Angesichts der traurigen Ereignisse vor 20 Jahren fällt es schwer, in Worte zu kleiden, was uns in diesen Tagen bewegt. Vor allem fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden angesichts des Verlustes unschuldiger Menschenleben und des gleichzeitigen Verlustes einiger Gewissheiten über unsere gesellschaftliche Verfasstheit.
Am 29. Mai 1993, drei Tage nachdem der Bundestag das deutsche Asylrecht ausgehöhlt hatte, brannte in Solingen das Haus der Familie Genc. Fünf junge Menschen kamen dabei um: Die Kinder Hülya und Saime Genc und Gülüstan Öztürk, der Teenager Hatice Genc, sowie die junge Frau Gürsün Ince. Der Sohn Bekir sowie weitere Mitglieder der Familie Genc erlitten schwere Verletzungen, an denen sie ihr Leben lang leiden.
Laut Rechtsanwalt Reinecke, der 2008 in der Neuen Rheinischen Zeitung einen lesenswerten Beitrag über die Hintergründe des Anschlags verfasste, würde inzwischen auch Armin Laschet einen Zusammenhang zwischen der Brandstiftung durch Neonazis und der Quasi-Abschaffung des Asylrechts – der Einführung der sog. Drittstaatenregelung – sehen (NRHZ 4.6.2008).
Die grausame Tat geschah also nicht im luftleeren Raum und sie steht exemplarisch für vorangegangene und folgende Angriffe auf sog. Ausländer. Taten, für die sich junge Leute legitimiert fühlen durch eine rassistische Stimmung, die nicht ernsthaft bekämpft wird.
Aber nicht nur die vorhergehenden Ausschreitungen in Rostock und Hoyerswerda, sowie der Brandanschlag auf die Familie Arslan in Mölln und die erbärmliche Reaktion staatlicher Stellen darauf, muss als Ermutigung für die Täter verstanden werden. Bereits die Debatten der 1980er Jahre über „zu viele Ausländer“ und einen angeblichen „Asylmissbrauch“ hat den Rassismus gestärkt und mit ihm rechtsradikalen Parteien einigen Zulauf verschafft.
Buch mit kritischen Texten als Reaktion auf das Heidelberger Manifest – ein Aufruf von Hochschullehrern gegen die angeblich zu lasche „Ausländerpolitik“ (1982)
Und einflussreiche Medien gossen immer wieder Öl ins Feuer, wie beispielsweise der Spiegel am 9.September 1991 mit seinem Titel „Ansturm der Armen“ und die Bildzeitung am 2. April 1992 mit dem alarmistischen Titel „Fast jede Minute ein neuer Asylant. Die Flut steigt – wann sinkt das Boot?“
Hier ist nicht das Boot gemeint, in dem wir alle sitzen, sondern „unser Boot“, das von „den anderen“ überfüllt wird. Es ist eine ausgrenzende Metapher, die durch das Bild einer „Flut“ noch ergänzt und verstärkt wird. Solche Metaphern haben nicht nur eine entmenschlichende Qualität, sie haben auch immer einen impliziten Aufforderungscharakter – etwa den, dass man gegen diese Bedrohungen vorgehen müsse. Und genauso haben manche der Tatverdächtigen argumentiert, als sie vor Gericht nach ihren Beweggründen gefragt wurden. Einer meinte, dass man „endlich etwas getan“ habe, während „die Alten ja nur reden“. Der Aufforderungscharakter von Debatten wird nach wie vor unterschätzt, wenn auch drastische Beispiele wie das des Terroristen Breivik in Norwegen von dem Potential des Hasses zeugen, das das abfällige Reden über Menschengruppen erzeugen kann.
Bevor aber solche diskursiven Zusammenhänge genauer beleuchtet werden sollen, sollte noch ein beunruhigendes Fakt bezüglich des Solinger Brandanschlags in Erinnerung gerufen werden. Ungeklärt ist nämlich bis heute die Rolle von Bernd Schmitt, der als V-Mann des sog. Verfassungsschutzes tätig war und in dessen Kampfsportschule drei der vier jugendlichen Attentäter gingen. Schmitt gehörte der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) an, eine Vorläuferorganisation der Partei pro-Köln mit einigen personellen Überschneidungen. Wie der Spiegel 1994 recherchierte, schien Schmitt vor einer Hausdurchsuchung gewarnt worden zu sein, so dass Unterlagen wie Kontoauszüge nicht auffindbar waren, jedoch andere Gegenstände „wie drapiert“ und zurecht gelegt erschienen (Spiegel 6.6.1994).
Von Sabine Schiffer und Constantin Wagner
Im Lichte der aktuellen Enthüllungen um mögliche Verstrickungen des sog. NSU mit staatlichen Stellen muss dieser Fund umso mehr beunruhigen. Inzwischen sind alle vier Verurteilten des Solinger Brandanschlags wieder auf freiem Fuß, wurden teilweise wegen guter Führung entlassen.
Erinnern alleine reicht nicht…
Die Erinnerung an die Opfer und das Einfordern restloser Aufklärung sind nur das Mindeste, was in diesen Tagen getan werden muss. Denn es geht nach wie vor um das Verstehen der Zusammenhänge, um Vergleichbares zu verhindern – ganz im Sinne des unermüdlichen Einsatzes von Mevlüde Genc, der Großmutter der getöteten Kinder von Solingen. Das Entsetzen vieler Solinger und anderer damals wie heute war echt und wichtig. Das ebenso vorkommende Wegguckenwollen verantwortlicher Stellen bleibt uns ein Warnsignal.
Es gibt weiterhin vergleichbare Brandanschläge und inzwischen sind noch Anschläge auf Moscheen hinzu gekommen. Der Rassismus, der gerne „Ausländerfeindlichkeit“ genannt wird, scheint sich inzwischen vielfach in eine Muslimfeindlichkeit verwandelt zu haben. Davon zeugt ja nicht zuletzt die Verbindung zwischen DLVH und pro-Köln. Neben einer zunehmenden Muslimfeindlichkeit leben aber auch andere Formen von Rassismus fort, etwa der im Moment vielfach thematisierte gegen Osteuropäer. Muslimfeindlichkeit hat aber einen „Vorteil“ gegenüber geächteten Formen des Hasses wie Antisemitismus und Antiziganismus: sie ist weit verbreitet – wiederum bis hinein in die Mitte der Gesellschaft – und dies spricht ihr eine gewisse Legitimität und auch politische Anschlussfähigkeit zu.
Wer heute in der breiten Masse punkten will, kann dies mit Muslimfeindlichkeit tun, mit Antisemitismus nicht – wenn dies auch lange nicht bedeutet, dass es keinen Antisemitismus mehr gibt. Letzterer ist jedoch zumindest offiziell verpönt und es gibt Schutzprogramme für jüdische Einrichtungen. Im Falle von Muslimfeindlichkeit fehlt eine vergleichbare Sensibilität, wie nicht zuletzt die Aussagen des Präsidenten des Inlandsgeheimdienstes belegen. Am 23. April diesen Jahres betonte Hans-Georg Maaßen beim Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass das antiislamische Hetzblog „Politically Incorrect“ von seiner Behörde nicht beobachtet werde, da man den Islam ja nicht lieben müsse – so sinngemäß. Dies war Wasser auf die Mühlen der Kulturrassisten, die ihre Hetze gegen Islam und Muslime gerne als legitime Religionskritik tarnen – im Internet vielfach nachlesbar. Leitartikel Meinung
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