Theater

Vorspiel im Garten

„ithAKT“ nennt sich ein fast noch jugendliches Ensemble griechischer Enthusiasten. In Berlin-Neukölln bespielen sie ein Nachbarschaftszentrum. Da haben sie nun ihr erstes Stück zur Premiere gebracht. „Migronauten“ heißt es in einer eskapistischen Zusammensetzung von Migration, Mikrokosmos und Argonauten.

Von Freitag, 24.05.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Vorspiel dehnt sich in sechzig Minuten und findet im Garten statt. Die Schauspielerinnen sickern in Kreise ihres Publikums, man merkt nicht gleich, dass das Spiel schon begonnen hat – in der Sprache der Tragödie. Ich lächle, da ich nichts verstehe. Ich bin Zaungast auf einer Gartenparty in den Farben des klassischen Altertums.

Eine Frau erkennt meine Lage, ich weiß sofort, das ist eine Lehrerin. Die Lehrerin heißt Elektra, man ist schließlich nicht zum Spaß Griechin. Elektra ist die Tochter von Agamemnon, seines Zeichens König von Mykene. Klytaimnestra hat sie zur Welt gebracht. Ihre Schwestern haben so tolle Namen wie Iphigenie und Chrysothemis. Elektra nimmt eine Marlboro im Gegenzug, in der Migration fängt man immer wieder bei Null an, glaubt sie. Die zweite und dritte Einwanderungsgeneration hält sie für verloren, das sagte einst Gertrude Stein über die Nullerjahrgänge des 20. Jahrhunderts, die den Krieg vor der Liebe lernten: lost & beaten. Ich teile Elektras Pessimismus nicht und schon geht die Rede so: Ja, wenn man nicht beteiligt ist und das Ganze als Belebung der Kulissen auffasst, ja, dann sieht man nur Fun und die schillernden Facetten doppelter kultureller Auswahl.

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Weitere Termine: 31. Mai 2013 und 01./ 02. Juni 2013; Ort: „To Spiti“, Morusstr. 18A, 12053 Berlin-Neukölln; Einlass: 20:00 Uhr; Eintritt frei; Ungeeignet für Jugendliche unter 16; Aufführungen finden in griechischer und deutscher Sprache statt (mit Übertiteln); Reservierung per Email info@ithakt.com telefonisch 0151 638 550 71 oder 0176 284 540 22 – weitereInfo: ithakt.com, facebook.com

Fun ist ein Stahlbad, Baby, sagt Adorno.

„Schau mich an, Elektra“, sage ich. „Sehe ich aus wie unbeteiligt. Glaubst du, dass man mit meinem Gesicht in dieser Gesellschaft etwas anders sein kann als Kanake?“

Elektra lenkt ein, sie organisiert einen Aschenbecher, die Schauspielerinnen sind mit einer Ausnahme in Griechenland aufgewachsen und mitunter erst zum Studium nach Deutschland gekommen. Sie leben in Berlin wie junge Amerikaner im Paris der 1920iger Jahren gelebt haben. Sie sind easy, kuhle Supereuropäer in der Welt von Facebook und Warcraft. Ihr Präludium geht ungefähr so, in einer Übersetzung von Elekra: „Unser Geld ist auf der Bank (auch nicht sicher), an die Liebe erinnern wir uns nur am Valentinstag, ansonsten leben wir im Gefängnis unseres Single-Seins“.

Unmerklich verlagert sich der Vortrag, plötzlich spielt sich alles im Zentrum ab. Die Schauspielerinnen laufen auf der Stelle, sie fragen: „Siehst du was?“

Ihre Sehnsucht gilt dem Meer, aber das sieht man natürlich in Neukölln nirgendwo. Sie sind auf Gemeinschaft geeicht, sie wollen ihr Leben teilen, das ist ihre Identität. An einer Stelle taucht Griechenland als Sinnbild des Prekariats auf – in einer bizarren Verbindung mit Madonna als Idol. Ich verstehe immer nur Malaka. Es wird geballert – und das ist das Postulat dieser Stunde: „Ich lebe immer nur für den Moment“.

Die Beteiligten:
Konzeption/ Regie: Elena Sokratous
Bühne: Vasia Christopoulou
Videos: Marsia Tzivara
Koordination: Maria Skarkala
Mitwirkende: Eleana Athanasiadou, Gerasimos Bekas, Ioulios Georgiou, Stella Giakoumogiannaki, Lazaros Giousbasis, Ioanna Kryona, Konstantina Mavropoulou, Dora Melissari, Petros Zavrakas

Die Mutterliebe wird angespielt: „Nie mehr ist mir ein Mensch über den Weg gelaufen, dessen Geruch mich beruhigt“.

Erzählt wird die Geschichte von der Königin ohne Kopf, mit ihren zierlichen Füßen strampelte sie Todesurteile.

Auf mich wirkt die Show von Elena Sokratous wie live-life oder life-live, wie abgefilmtes Leben in einem zeitgemäßen Wohngemeinschaftsstil. Ein Freund der Gemeinschaft erscheint in den Nachrichten. Er hat in einer Universitätsbibliothek um sich geschossen. Das macht man doch nicht, angeblich kann man ihm nichts bieten, was attraktiver wäre als der Tod. Er fühlt sich getrennt von der Gesellschaft. Das Sinnliche kommt ihm zu kurz. Auf der Bühne ist das Sinnliche omnipotent. Die Schauspielerinnen sind mit der Leidenschaft von Laien am Start, das lohnt sich immer. Denn für Feuer gibt es keinen Ersatz. Aktuell Rezension

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