Allensbach Studie

Leistungskluft zwischen Schülern verschiedener sozialer Herkunft wächst weiter

Die soziale Herkunft bestimmt in Deutschland den Bildungserfolg. Das ist bekannt. Neu ist: Die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft wird sogar stärker, die Leistungskluft wächst. Das zeigt eine aktuelle Allensbach-Studie.

Freitag, 26.04.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Dass es dem deutschen Bildungssystem nicht gelingt, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abzukoppeln, ist nichts Neues. Bereits seit Jahren verweisen zahlreiche Studien auf diesen Missstand hin und auch darauf, dass Kinder mit Migrationshintergrund in besonderem Maße betroffen sind. So auch eine aktuelle Allensbach-Studie, die im Auftrag der Vodafone-Stiftung durchgeführt wurde.

Danach gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der sozialen Schicht des Elternhauses und der besuchten Schule: So lernen aktuell 70 Prozent der Kinder aus gut situiertem Hause aber nur 30 Prozent aus sozial schwächeren Elternhäusern auf einem Gymnasium, und während Erstere zu 96 Prozent das Abitur oder die Fachhochschulreife anstreben, gilt dies bei Letzteren nur für 41 Prozent.

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Leistungskluft wächst
Wie aus der Studie weiter hervorgeht, gelingt es Deutschland einfach nicht, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abzukoppeln. Im Gegenteil, dieser Missstand wird sogar größer. So ist der Studie zu entnehmen, dass mehr als jeder zweite Lehrer (54 Prozent) der Ansicht ist, dass die Leistungsunterschiede zwischen Schülern aus verschiedenen sozialen Schichten zugenommen haben. Besonders häufig trifft dies auf Lehrer an Haupt- und Realschulen zu (63 Prozent).

Auch bei der Selbsteinschätzung der Schüler zu ihren schulischen Leistungen und ihrer Neigung zum Schulbesuch sind die sozialen Unterschiede deutlich erkennbar: Schüler aus sozial hohen Schichten attestieren sich zu 63 Prozent gute Leistungen und gehen zu 42 Prozent gern zur Schule, während sich nur 37 Prozent der Schüler aus sozial schwächeren Schichten gute Leistungen bescheinigen und auch nur jeder Vierte dieser Schüler (25 Prozent) gern zur Schule geht.

Ungleiche Chancen
Dessen ungeachtet betonen Lehrer aber mit deutlicher Mehrheit (83 Prozent), dass die soziale Herkunft der Schüler bei der Empfehlung für die Wahl einer weiterführenden Schule keine Rolle spielen sollte. Gleichzeitig belegte die Studie auch, dass fast alle Lehrer in Deutschland (96 Prozent) davon überzeugt sind, dass der soziale Hintergrund des Elternhauses die Leistung von Schulkindern beeinflusst – 83 Prozent halten diesen Einfluss sogar für groß bis sehr groß.

Wie aus der Studie weiter hervorgeht, bezweifeln fast zwei Drittel der Lehrer zudem, dass Schüler ungeachtet ihrer sozialen Herkunft die gleichen Bildungschancen haben: 61 Prozent sehen eine Chancengerechtigkeit an deutschen Schulen grundsätzlich nur unzureichend oder überhaupt nicht gegeben. Drei Viertel der Lehrer (74 Prozent) sind zudem der Ansicht, dass eine individuelle Förderung einzelner Schüler – zum Beispiel zur Verringerung bestehender Leistungsunterschiede – im Rahmen der Lehrpläne kaum oder gar nicht möglich ist.

Defizite im Elternhaus
Sowohl Lehrer als auch Eltern sind sich einig: Defizite im Elternhaus sind die wesentliche Ursache dafür, dass einige Kinder schlechtere Chancen haben als andere. 84 Prozent der Lehrer und 79 Prozent der Eltern betonen vor allem das fehlende Interesse von Eltern an einer Beschäftigung mit den eigenen Kindern. Auch nennen Lehrer und Eltern Erziehungsmängel im Hinblick auf gewissenhaftes Arbeiten (77 bzw. 76 Prozent), eine fehlende Vorbildfunktion der Eltern (75 bzw. 78 Prozent) und zu wenig Zeit der Eltern für ihre Kinder (69 bzw. 65 Prozent) als Hauptursachen.

Download: Die aktuelle Studie mit dem Titel „Hindernis Herkunft: Eine Umfrage unter Schülern, Lehrern und Eltern zum Bildungsalltag in Deutschland“, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland durchgeführt hat, kann man hier kostenlos herunterladen.

Wie die Studie weiter zeigt, sind mehr als drei Viertel aller Lehrer (76 Prozent) der Meinung, Eltern aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten zeigen vergleichsweise wenig Interesse am schulischen Alltag ihrer Kinder. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, dass diese Eltern weniger mit ihren Kindern über deren Schulalltag sprechen: 69 Prozent geben an, dies häufig zu tun – und damit 16 Prozentpunkte weniger als bei Eltern aus höheren sozialen Schichten (85 Prozent). Auch ist der Anteil von Schülern, die ihren Eltern wenig bis gar kein Interesse an deren Schulalltag attestieren, in sozial schwachen Bevölkerungsschichten fast doppelt so hoch (23 Prozent) wie im Durchschnitt aller befragten Schüler (13 Prozent).

In Deutschland sind Eltern gefordert
„In Deutschland wird die Verantwortung für die Förderung von Kindern jedoch weitaus stärker einseitig den Eltern zugewiesen“, so Prof. Dr. Renate Köcher, vom Allensbach Institut. Entsprechend sieht die Realität in Deutschland aus. „Eltern werden in Deutschland weniger als in anderen europäischen Ländern bei der Förderung ihrer Kinder durch andere Institutionen unterstützt. Die frühkindliche Förderung wird weit überwiegend in den Elternhäusern geleistet. Dies trägt dazu bei, dass Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in das Bildungssystem eintreten. Das gilt umso mehr, als viele Kinder heute aus Familien mit Migrationshintergrund kommen und viele von ihnen zu Hause nicht deutsch sprechen“, so Köcher.

Der aktuellen Erhebung zufolge sind Lehrer wie Eltern überzeugt, dass hier mehr getan werden kann und getan werden muss. Neben den Bemühungen der Schulen, durch kostenlose Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe zu helfen, halten Lehrer wie Eltern es für besonders wichtig, dass es ausreichende Betreuungseinrichtungen zur gezielten Förderung von Kleinkindern gibt und dass bereits vor der Einschulung Sprachtests und Sprachunterricht durchgeführt werden. Köcher weiter: „Mehr Anstrengungen auf diesen Feldern sind ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit und Investitionen, die sich für die ganze Gesellschaft lohnen.“

Ansprüche an gute Schulen sind unerfüllt
Bei der Beurteilung dessen, was eine ideale Schule ausmacht, sind sich Lehrer und Eltern weitgehend einig: 94 Prozent der Lehrer und 92 Prozent der Eltern betonen vor allem das Engagement der Pädagogen, auf deren gute Ausbildung legen 85 Prozent aller Lehrer und 83 Prozent aller Eltern besonderen Wert. Auch in der Gesamtbevölkerung sind 83 Prozent aller Befragten der Meinung, dass der Schulerfolg eines Kindes primär davon abhängt, wie gut dessen Lehrer sind. Allerdings teilen Lehrer und Eltern auch die Auffassung, dass die Situation an den Schulen teils weit hinter diesem Ideal zurückbleibt. Ein hohes Engagement der Lehrerschaft erkennen 79 Prozent der Lehrer und 65 Prozent der Eltern, eine gute Ausbildung hingegen nur 64 Prozent aller Lehrer und 46 Prozent aller Eltern. Auch bei geeigneten Räumlichkeiten und gutem Lehrmaterial sehen beide Gruppen großen Nachholbedarf.

Die mit Abstand größte Diskrepanz zwischen dem Anspruch an eine gute Schule und der Wirklichkeit besteht jedoch bei den Klassengrößen und bei der individuellen Förderung von Schülern. So legen 76 Prozent der Lehrer und 80 Prozent der Eltern besonderen Wert auf kleine Klassen, allerdings sehen diese nur 23 Prozent der Lehrer sowie 19 Prozent der Eltern auch umgesetzt.

Eine gezielte Förderung nach den Begabungen der Kinder halten 75 Prozent der Lehrer für wichtig aber nur 29 Prozent für verwirklicht. Eltern betonen diesen Aspekt zu 78 Prozent, finden ihn jedoch nur zu 20 Prozent im Schulalltag vor. Spezielle Förderkurse für benachteiligte Schüler fordern 69 Prozent aller Lehrer sowie 71 Prozent aller Eltern, schulische Realität sind diese jedoch nur aus Sicht von 44 Prozent der Lehrer und 25 Prozent der Eltern.

Mehrgliedrigem Schulsystem verliert an Zustimmung
Einigkeit legen die befragten Lehrer und Eltern zudem bei der Frage an den Tag, ob auf die Grundschule besser ein mehrgliedriges Schulsystem oder eine Gemeinschaftsschule folgen sollte: 59 Prozent der befragten Pädagogen und 54 Prozent aller Eltern von Schulkindern sprechen sich für die Beibehaltung des mehrgliedrigen Schulsystems aus. Allerdings fällt auf, dass Eltern von Grundschülern mit beachtlicher Mehrheit (54 Prozent) für ein Gesamtschulmodell plädieren. In der Gesamtbevölkerung wird das mehrgliedrige Schulsystem derzeit noch von insgesamt 51 Prozent aller Befragten befürwortet, allerdings liegt dieser Wert sieben Prozentpunkte unter dem des Vorjahres (58 Prozent). (sb) Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Es ist bedauerlich, dass es Deutschland nicht gelingt Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Es kommt noch erschwerend hinzu, dass diese Bildungsungerechtigkeit nur der Ausdruck einer noch viel umfassenderen Tendenz zu sozialer Ungerechtigkeit in Deutschland darstellt.

    Wobei sich sogar eindeutige Fälle von Strukturmaßnahmen erkennen lassen, die ohne Zweifel Menschenrechtsverletzungen darstellen.
    Es ist an der Zeit den Anfängen zu wehren … höchste Zeit.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)

  2. Pingback: Freie Bildung für die Gebildeten? | Der soziale Blog

  3. Susanne Ketteniß sagt:

    Leider muss ich mich Hrn. Özcan in vollem Umfang anschließen, nicht ohne mich zu schämen. Als Erzieherin in der DDR ausgebildet, war ich 1989 als Berufseinsteiger davon überzeugt, allen Kindern meiner Kinder- Gruppe gleiche Bildungschancen bieten zu können. (Vernetzung, familienorientiertes Arbeiten, Integration, Inklusion..) Inzwischen und nach vielen eigenen weiteren Bildungsabschlüssen, u.a. B.A. bin ich aus dem Beruf ausgeschieden, weil ich diese Ungerechtigkeit bzw. Chancenungleichheit, nicht mittragen wollte. Ich habe Lernen immer als etwas schönes empfunden, Die Institution Schule war mein Zugang zur Gesellschaft, der Lehrer, später Dozent, stand im Zentrum und seine Persönlichkeit prägte u.a. meine persönlichen Werte (z.B. das Recht auf Bildung für alle Kinder). Meine Kinder (Abiturient,16 bzw. Student, 20) bezeichnen meine Sicht auf Bildung als Traumtänzerei.

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